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Sie konnte es nicht glauben. Ihre erste Reaktion kam einfach so aus ihr heraus. »Aber ich bin extra ihretwegen hier.« Das war albern. Sie wusste es, aber die Enttäuschung war so groß.

      Am liebsten hätte der entnervte Schaltermann wahrscheinlich seine Augen verdreht, aber übertrieben geduldig wie mit einem Kind oder jemandem kurz vor dem Wahnsinn ging er auch noch auf diesen Einwand ein. »Ich bin mir sicher, wir haben noch ein paar andere fähige Ärzte. Ich vertrete heute zwar nur einen Kollegen und bin sonst nicht an der Anmeldung, aber ich könnte versuchen, Sie direkt an einen zu vermitteln.«

      Ihrer Linie treubleibend quengelte Maxi auch wie ein Kind weiter. »Aber ich wollte doch noch einmal zu ihr.«

      Carolina rüstete sich derweil für die nächste Attacke und hatte den Mund bereits offen – was auch immer sie da noch erreichen wollte, wenn die Ärztin gar nicht mehr hier arbeitete –, als der Schaltermann wieder mit einem versichernden Blick in alle Richtungen eine neue Information herausließ.

      »Wilhelmine hat jetzt eine eigene Praxis. Oder macht sie demnächst auf. So genau weiß ich das nicht. Allerdings nicht hier.«

      Maxi lag als Erstes auf der Zunge zu sagen, dass Frau Doktor Schneck aber immer noch auf der Homepage des Klinikums als Mitarbeiterin zu finden war.

      »Wo denn?«, fragte Carolina sofort, bevor Maxi reagieren und ihren absurden Einwand mit dem Internetauftritt anbringen konnte. Aber das hätte natürlich auch ihre erste Frage sein sollen, wenn sie denn geistesgegenwärtig genug gewesen wäre.

      »Auf dem Land«, kam gleich die Antwort. Ihr Gesprächspartner hatte sich mittlerweile anscheinend in sein Schicksal gefügt. »In einem Kaff namens Weiler. Kennt kein Mensch.«

      Wieder war Maxi so geschockt, dass einfach aus ihrem Mund sprudelte, was ihr in der ersten Sekunde in den Kopf schoss. »Ich wohne auch in Weiler.«

      Das schien eine Erinnerung in ihrem Schaltermann wachzurufen. »War das der Pferdetritt letzte Woche? Die Feuerwehrfrau? Ich hatte zu der Zeit auch Dienst. Ich bin eigentlich Krankenpfleger.«

      Auf seinem Namensschild stand Georg, wie Maxi jetzt das erste Mal wahrnahm. Sie konnte sich an ihn allerdings nicht erinnern, was vermutlich kein Wunder war.

      »Das war ich. Der Ausdruck Ich glaub, mich tritt ein Pferd hat eine ganz neue Bedeutung erhalten.«

      Maxi fragte sich wieder, ob ihre Erinnerungen an die Nacht nicht völlig verzerrt waren und sie beim nächsten Mal, wenn sie Doktor Schneck sah, ganz enttäuscht sein würde.

      Der Pfleger namens Georg lachte über ihren Scherz und schien jetzt gänzlich befriedet zu sein. Er lächelte und sah einigermaßen entspannt aus. Für seine bisherigen Verhältnisse. »Es sollte in Weiler nicht schwierig sein, in Erfahrung zu bringen, wann und wo Frau Doktor Wilhelmine Schneck praktiziert. Der halbe Ort ist schließlich mit ihr verwandt. Kennen Sie nicht ein paar davon?«, fragte er.

      Aber Maxi konnte ihm nicht folgen. »Was meinen Sie? Ein paar wovon?«

      Jetzt sah Georg, der Schaltermann oder Pfleger, schon wieder genervt aus. Es schien ihm gerade einzufallen, dass im Warteraum die Hölle los war und er so langsam mal voranmachen musste. »Na, von ihren Verwandten. Die heißen doch in Weiler alle Schneck mit Nachnamen«, sagte er gehetzt, und mit einer Geste gab er ihnen zu verstehen, dass seine Geduld jetzt am Ende war. Er drückte eine Taste auf seinem Computer und rief die nächste Nummer auf.

      Maxi hörte das Pling-Geräusch, das daraufhin im Warteraum erklang. »Das wusste ich nicht«, sagte sie noch im Wegdrehen vom Schalter. Aber wenn sie es recht bedachte, hieß eine ihrer Nachbarinnen tatsächlich Schneck. Die Nette, deren Mann Imker war.

      Carolina zog sie am Ärmel ihres guten Armes mit sich. Gerade noch rechtzeitig aus dem Weg, als schon der nächste Patient massiv und ungeduldig angestürmt kam und sie mit einem Zwillingskinderwagen fast über den Haufen gefahren hätte.

      Als sie unverrichteter Dinge von der Anmeldung weggingen, hörte sie den genervten Schnaufer von Georg, der heute nur aushalf. Armer Mann. So plattgewalzt von Carolina und jetzt dem Zwillingsmann.

      Aber Maxi hätte im Nachhinein betrachtet keine Sekunde anders gemacht. Immerhin hatte sie jetzt das, was sie wollte. Sie würde zur Nachbehandlung zu Doktor Wilhelmine Schneck gehen. Und sie wiedersehen. Wenn auch ein bisschen später als geplant.

2. Akt

      1

      Willa war jetzt schon eine ganze Woche in ihrer neuen Praxis tätig, aber in Sachen Feuerwehrfrau noch keinen Schritt weitergekommen.

      Moment. Das stimmte nicht ganz: Sie wusste inzwischen, dass es bei der Feuerwehr eine Frau namens Maxi Gnädig gab und sie einen Unfall mit einem Pferd hatte, was zu der fast einhelligen Meinung im Dorf führte, dass Frauen in der Feuerwehr nichts verloren hatten. Das überraschte Willa überhaupt nicht und war genau das, was ihre Mutter mit Sicherheit auch dachte. Aber da sie über beide Ohren mit Arbeit eingedeckt war, hatte sie Gott sei Dank noch keine Gelegenheit gehabt, sich die Standpauke abzuholen, die sie wegen Larissa erwartete, sowie sonst irgendwelcher vorgefassten Meinungen von Gertrud Schneck.

      Mehr hatte sie also nicht herausbekommen und war deswegen auch schon ordentlich frustriert. Aber sie musste zugeben, dass sie auch nicht wirklich zum Fragen gekommen war. Ihr war die Bude gestürmt worden mit Antrittsbesuchen wie dem von Tante Margit, gepaart mit nützlichen und unnützen Geschenken und Wehwehchen der geringfügigsten Art.

      Wenn sie es dazwischen geschafft hatte, das Gespräch auf die Geschehnisse im Ort zu lenken, waren massig Informationen über Geburten, Heiraten, Todesfälle und Sonstiges gekommen und nur ganz selten Informationen über die Freiwillige Feuerwehr.

      Bislang hatte sie sich noch nicht getraut, dezidierter nach Maxi Gnädig zu fragen. Sie war ein echter Feigling.

      Heute Morgen standen die ersten Hausbesuche an. Ihr Vorgänger hatte das immer so gemacht, und obwohl sich das wirtschaftlich wohl überhaupt nicht rechnete, fühlte Willa sich verpflichtet, diese Tradition beizubehalten. Ihr war natürlich klar, dass manche Leute sonst den Krankenwagen hätten holen müssen. Vor allem manche ihrer älteren Patienten schafften den Gang in die Praxis nicht. Und eigentlich fand sie auch, dass das zu einer Hausarztpraxis auf dem Dorf einfach dazugehörte.

      Sie parkte ihren gelben VW Beetle vor dem Einfamilienhaus, wo die dreiundneunzigjährige Patientin angeblich allein wohnte. Das hatte ihr Larissa gestern noch in einem sehr nützlichen Briefing mit auf den Weg gegeben.

      Nachdem sie klingelte, wurde ihr fast sofort mit dem Türöffner aufgemacht. Ohne Nachfrage, wer an der Tür stand. Das war eben das Leben auf dem Dorf.

      Im Eingang kam ein junger Mann im Jogginganzug auf sie zu. »Hallo Mine«, sagte er, aber sie erkannte ihn nicht. Hätte sie das sollen, oder sprach er sie so an, weil das viele im Dorf taten?

      »Guten Morgen«, sagte sie daher neutral. »Ich bin hier für Frau Schmelzling.«

      Der Mann streckte ihr zur Begrüßung die Hand hin und lächelte sehr breit. Seufzend schüttelte Willa sie, weil sie keinerlei Ausweg hatte. Das war jetzt schon mehrfach vorgekommen. Sie würde mehr Desinfektionsmittel bestellen müssen. Auch solches für unterwegs.

      »Das ist meine Oma. Du erkennst mich nicht, stimmt’s?«, fragte der Mann im Händeschütteln auf sehr nette Art.

      Ertappt. Offenbar war ihr neutraler Gesichtsausdruck nicht so neutral und nichtssagend, wie sie gehofft hatte. Sie sah ihn noch mal genauer an. Kinnbärtchen, kurze braune Haare in einem Allerweltsherrenschnitt, freundliches Lächeln. Nichts weiter Erwähnenswertes an Merkmalen.

      »Tut mir leid. Ich treffe gerade so viele Leute wieder«, gestand sie. »Hilfst du mir auf die Sprünge?« Daran, von allen Leuten, die sie von früher kannten, geduzt zu werden, hatte sie sich bereits gewöhnt.

      »Ich bin Dieter. Dieter Schmelzling. Du bist mit meiner Schwester in eine Klasse gegangen«, sagte der Mann und wartete wieder auf eine Reaktion von ihr.

      Dunkel dämmerte ihr etwas. Der Name Schmelzling hatte gleich bekannt gewirkt.

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