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einmal, ein einziges Mal nahm Sophie neben ihrem Mann Platz – ausgerechnet dieses eine Mal. Man befand sich weit weg von Wien und damit auch weit weg von den strengen Hütern des Zeremoniells. Das war an jenem 28. Juni 1914, an dem sie im Auto an der Seite des Thronfolgers durch Sarajewo fuhr. Und in dem sie von den tödlichen Kugeln des Attentäters Gavrilo Princip getroffen wurde. Von den Kugeln, die jener Monarchie galten, die sie angesichts ihrer »niedrigen Herkunft« so lange gedemütigt hatte.

      Die Montag- und Donnerstagvormittage des Kaisers waren für Audienzen reserviert. Im Prinzip hatte jeder Staatsbürger mit gutem Leumund die Möglichkeit, seinen Kaiser persönlich zu sprechen. Entsprechend dicht war das Programm an den Besuchstagen: »Gestern hatte ich 127, heute werde ich 108 Audienzen geben«, schreibt Franz Joseph in einem Brief an Katharina Schratt. Insgesamt empfing er in den fast sieben Jahrzehnten seiner Regentschaft mindestens 200 000 Personen in Audienz. Während der bis zu zehn Minuten dauernden Begegnungen blieben sowohl der Kaiser als auch seine Besucher stehen. Seine Hand reichte Franz Joseph nur Ministern, Geheimen Räten und Aristokraten – Bürgerlichen nie. Dennoch bestand Handschuhpflicht für alle, die sich ihm nähern durften. Herren erschienen im Frack, Militärs in Uniform, Damen im hochgeschlossenen Kleid mit Hut. Für Arme und Mittellose gab es keine Toilettenvorschriften.

      Bei Betreten des Raumes mussten die Damen in den großen Hofknicks versinken, die Herren in eine tiefe Verbeugung. Erheben durften sie sich erst auf Aufforderung des Kaisers. Der stand an seinem Pult und las dem Besucher den Grund seines Begehrs vor (als ob er den nicht selbst gekannt hätte) und teilte ihm das Ergebnis der Angelegenheit mit. Der Besucher sprach seinen Dank aus und bewegte sich – in nach rückwärts gerichteten Schritten und unter ständigen Verbeugungen – wieder dem Ausgang zu.

      Entscheidend für die Geschichtsschreibung ist jedoch, was von den 68 Regierungsjahren Kaiser Franz Josephs blieb. Im Guten wie im Schlechten.

      •Wien und viele andere Städte der ehemaligen Donaumonarchie verdanken den von Kaiser Franz Joseph eingeleiteten Städteplanungen ihr heutiges Erscheinungsbild. Er hat das Kaiserreich aus dem Biedermeier geführt, jeder Bahnhof, jedes Theatergebäude, jedes Amtshaus ist von seiner Zeit geprägt.

      •Auch wenn er selbst kaum daran Anteil nahm, kam es während seiner Regentschaft zu einem Aufbruch des Geistes- und Kulturlebens in Österreich. Die franzisko-josephinische Ära war die Zeit von Freud, Schnitzler, Karl Kraus, Gustav Mahler, Klimt und Schiele.

      •Franz Joseph hat durch die notwendigen Schritte der Industrialisierung entscheidend zur Modernisierung der Donaumonarchie beigetragen und damit ihren wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht.

      Demgegenüber stehen folgenschwere Fehler:

      •Während der Kaiser die Demokratisierung seines Reichs nur bedingt zuließ, waren andere Staaten viel weiter, übertrugen ihren Parlamenten größere Vollmachten. Die ersten freien Wahlen gab es in Österreich erst 1907; Frauen durften, solange es die Monarchie gab, überhaupt nicht wählen. Großbritannien zeigte sich wesentlich liberaler – und konnte auf diese Weise seinen imperialen Glanz bewahren.

      •Die drückende Armut konnte trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht besiegt werden.

      •Franz Joseph fand keine Lösung für die überbordenden Nationalitätenkonflikte, die letztlich zum Untergang des Kaiserreichs führten.

      •Auch als Oberstem Kriegsherrn war ihm wenig Glück beschieden, verlor er doch die wesentlichen Schlachten seiner Regentschaft. Als man den zurückgetretenen Kaiser Ferdinand in Prag von den österreichischen Niederlagen in der Lombardei und in Königgrätz informierte, brummte er: »Also, des hätt i aa no z’sammbracht!«

      Die folgenschwerste Unterschrift seines Lebens setzte Kaiser Franz Joseph am 28. Juli 1914 unter die Kriegserklärung an Serbien, die den Ersten Weltkrieg auslöste und das 20. Jahrhundert ins Verderben stürzte.

      Zu den Widersprüchen in seiner Biografie zählt, dass Franz Joseph einerseits als Integrationsfigur gesehen wird, die das schwankende Reich zusammenhielt, andererseits aber auch als Totengräber der Monarchie. »Beides ist richtig«, meint der Historiker Gerhard Jagschitz, »die Integration ist das Ergebnis seiner langen Regentschaft und zum Untergang führte seine Starrheit, die moderne Entwicklungen vielfach nicht zuließ.«

      Wenn an der persönlichen Redlichkeit des »alten Kaisers« auch lange nach seinem Tod kaum Zweifel bestehen und ihm immer noch ein hohes Maß an Sympathie entgegengebracht wird, dann hat das sicher auch mit der Anteilnahme an seinem persönlichen Schicksal – der Hinrichtung seines Bruders Maximilian von Mexiko, dem tragischen Tod seines Sohnes Rudolf, der Ermordung seiner Ehefrau Elisabeth und seines Thronfolgers Franz Ferdinand – zu tun.

      Zu seinen Lebzeiten war Franz Joseph übrigens wesentlich beliebter als »Sisi«, da er als Herrscherpersönlichkeit alles überstrahlte, während die Bevölkerung für das Luxusleben seiner Frau wenig Verständnis zeigte.

      Seiner großen Popularität entsprechend, ranken sich zahllose Episoden um die Figur des alten Kaisers. Die schönste vielleicht erzählt vom täglichen Besuch, den der Monarch frühmorgens von seinem Leibarzt Dr. Kerzl empfing. Die beiden Herren plauderten immer in angeregter Atmosphäre miteinander, meist über ganz harmlose Themen, da sich der Kaiser in den 86 Jahren seines Lebens bester Gesundheit erfreute. Nebenbei und pro forma fragte der Mediziner im Zuge seiner Visiten irgendwann nach dem Allerhöchsten Befinden. Als Dr. Kerzl eines Vormittags aber wie immer zum Kaiser wollte, wurde er von Kammerdiener Eugen Ketterl mit den Worten zurückgehalten: »Majestät bedauern lebhaft, den Herrn Doktor heute nicht empfangen zu können. Majestät fühlen sich nicht ganz wohl und bitten erst morgen wieder zu ihm zu kommen.«

      In den letzten Oktobertagen des Jahres 1916 trat beim Kaiser ein hartnäckiger Bronchialkatarrh auf, der von heftigen Fieberanfällen begleitet wurde. Außerdem konstatierte Hofarzt Kerzl eine bedenkliche Appetitlosigkeit. Mitte November sprach sich Franz Josephs schlechter Gesundheitszustand in Wien herum. Trotz des deutlichen Kräfteverfalls hielt der Monarch seinen seit fast sieben Jahrzehnten gewohnten Lebensrhythmus weiterhin bei. Er stand in aller Früh auf, unterzeichnete Akten, empfing Minister und Abordnungen. »Am Montag, den 20. November, nach einer sehr schlechten, schlaflosen Nacht, in der ihn ein krampfhafter Husten sehr gequält hatte«, notierte Flügeladjutant Albert von Margutti, »saß der Monarch wieder an seinem Schreibtisch, doch die Nacht hatte ihm so übel mitgespielt, dass er kaum atmen konnte und von dem immer noch steigenden Fieber förmlich geschüttelt wurde. Da verlangte er das Heilige Abendmahl.«

      Am selben Tag reiste die engere Familie des Kaisers an. Tags darauf saß er wieder an seinem Schreibtisch, obwohl er sich kaum noch aufrecht halten konnte. »Als Seine Majestät dann endlich zu Bett gebracht war«, hinterließ der Kammerdiener Ketterl, »fragte ich ihn um weitere Befehle. Laut und bestimmt sagte er zu mir: ›Ich bin mit der Arbeit nicht fertig geworden, morgen um halb vier Uhr wecken Sie mich wie gewöhnlich.‹«

      Fünf Minuten vor 21 Uhr am Abend des 21. November 1916 stellten die Ärzte das Ableben Kaiser Franz Joseph I. fest.

      Die Einsegnung des Leichnams fand im Stephansdom statt. Menschen aus allen Teilen der Monarchie strömten nach Wien, um von jenem Mann Abschied zu nehmen, der die Geschicke des Vielvölkerstaates länger als jeder andere gelenkt hatte.

      Eine Monarchie ohne ihn war jenseits jeder Vorstellungskraft. Folgerichtig wurde die Regentschaft seines Neffen und Nachfolgers Kaiser Karl zum Zwischenspiel, das durch die Kriegssituation keine Aussicht auf ein Weiterleben hatte. Und so verzichtete dieser am 11. November 1918 »auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften« und reiste mit seiner Familie über

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