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Wie die Zeit vergeht. Georg Markus
Читать онлайн.Название Wie die Zeit vergeht
Год выпуска 0
isbn 9783902998590
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
»An wen sollte ich mich dort wenden?«, fragte der Offizier. »Sie glauben doch nicht, dass die hohen Herren für unsereins zu sprechen sind.«
»Wenn’s weiter nichts ist«, sagte der Monarch, »ich gelte was beim Kaiser, ich will Sie empfehlen.«
Der päpstliche Offizier lachte über den jungen Mann, den er für einen Leutnant hielt, blieb aber höflich und bedankte sich.
»Um Ihnen zu beweisen, dass ich nicht mehr verspreche, als ich halten kann«, fuhr Josef fort, »will ich Ihnen einen Brief geben, der an eine hohe Standesperson gerichtet ist, die in wenigen Stunden hier durchkommen wird.« Der Kaiser schrieb den Brief und versiegelte ihn, adressiert an seinen Oberstallmeister Graf Dietrichstein.
Stunden später sprach der Fremde bei Dietrichstein vor, übergab ihm das Kuvert und versank fast im Erdboden, als der sagte: »Mein Herr, ich gratuliere, Sie haben den Kaiser selbst gesprochen. Er befiehlt mir, Ihnen vierhundert Zechinen zu geben, damit Sie sich zu dem Regiment verfügen, in dem er Ihnen eine Kompanie anvertraut.«
Der Offizier erhielt eine hohe und wesentlich besser bezahlte Stellung.
Seine große menschliche Breite führte auch dazu, dass Josef II. die mittelalterliche Leibeigenschaft der Bauern abschaffte, Mann und Frau in der Ehe gleichstellte, das Wiener Allgemeine Krankenhaus gründete, Folter und Todesstrafe abschaffte und die Steuereintreibung reformierte. Josefs Wirtschaftsmaßnahmen verdoppelten in manchen Ländern der Monarchie die Beschäftigungszahlen, seine Sozialreformen brachten Ansätze zur Kranken- und Altersversorgung. Er gründete das Burgtheater, ließ Presse und Bühne durch eine liberalere Zensurpolitik größere Freiräume, ja er duldete sogar Kritik an seiner Person. Mit dem »Toleranzpatent« gewährte er schließlich die freie Religionsausübung.
Im Gegensatz zu seiner Mutter, die behutsam reformierte, konnte es Josef nicht schnell genug gehen. Kraft und Tempo seiner Maßnahmen schufen viele Gegner – vor allem in der katholischen Kirche, als er ein Drittel aller Klöster sperren ließ, um in den frei werdenden Gebäuden Spitäler und andere soziale Institutionen zu errichten.
Dabei war Josef ein guter Christ. Als er den bis dahin nur Aristokraten zugänglichen Prater für jedermann öffnen ließ, pilgerten Tausende Familien in das Erholungsparadies. Sie stürmten Wirtshäuser und Erfrischungszelte, in denen Kaffee, Tee und Eis ausgeschenkt wurde. Kaiser Josef beobachtete an mehreren Sonntagvormittagen das bunte Treiben, ehe er in Gesprächen und Beobachtungen erkannte, dass viele Ausflügler in den Prater gingen, statt in die Kirche. Er schloss daraufhin die Parkanlage an den Sonntagvormittagen wieder. Um sie ab zehn Uhr, als die Messen vorbei waren, wieder zu öffnen. Nun gingen die Wiener in die Kirche – und danach in den Prater.
In seinem Privatleben bewies Josef II., dass er Staatsreform und Sparsamkeit nicht nur predigte: Er selbst lebte spartanisch, sperrte Schönbrunn und einen Teil der Hofburg zu, entließ die Dienerschaft seiner Mutter und kam mit einer einzigen Köchin aus. Er war der erste Herrscher, der sich alleine rasierte und selbst für die Körperpflege sorgte. Er entschärfte das Hofzeremoniell, schaffte Hofknicks und Handkuss ab und empfing Bittsteller aus dem Volk persönlich.
Wenn auch äußerst umstritten, war der »Reformkaiser« seiner Zeit um ein Jahrhundert voraus und ersparte Österreich damit möglicherweise einen Umsturz im Stil der Französischen Revolution. In den zehn Jahren, die der josefinischen Epoche gegeben waren, wurde in Österreich mehr verändert als in den Jahrhunderten davor.
Ein Aristokrat, dem die Öffnung zum Volke gar nicht recht war, beschwerte sich bei Josef: »Jetzt gibt es in Wien gar keinen Ort mehr, wo man unter seinesgleichen sein kann.«
»Ach ja«, stöhnte der Kaiser, »das Problem kenne ich. Wenn ich immer nur unter meinesgleichen sein wollte, müsste ich in die Kapuzinergruft hinuntersteigen!«
Das war eine nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung, die sich aber allzu früh bewahrheiten sollte. Kaiser Josef starb, nur 48 Jahre alt, am 20. Februar 1790. Seine Bedeutung wird auch von der Tatsache nicht geschmälert, dass viele seiner Maßnahmen von seinem Bruder und Nachfolger, Leopold II., zurückgenommen wurden.
Nach Leopolds nur zweijähriger Regentschaft – er starb ebenso überraschend wie sein Bruder – begann der Niedergang des Hauses Habsburg, dem Leopolds engstirniger Sohn, Kaiser Franz, nur wenig entgegenzusetzen hatte. Er hat den Thron 1792 als Franz II. bestiegen und ist 43 Jahre später als Franz I. gestorben. Das lag daran, dass er 1806 als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zurücktrat und fortan als Kaiser von Österreich (und somit Franz I.) weiterregierte.
Wie jeder Habsburger musste er ein Handwerk erlernen, wobei Franz sich für die Gärtnerei entschieden hatte, an der er sein Leben lang mehr Interesse zeigte als an der Politik. Er selbst soll einmal über seine schlichte Auffassung, die Staatsgeschäfte zu leiten, gesagt haben: »Kaiser, das ist ein großes Wort, aber ein guter Hofrat wär ich schon geworden.«
In der Tat war Franz einer der bürokratischsten Herrscher auf dem Thron der Habsburger. Diese Episode ist für ihn symptomatisch: Als sein Finanzminister Franz Graf O’Donnell 1810 starb, weilte der Kaiser zufällig in Prag, wo er sich nun auf die Suche nach einem Nachfolger für dieses schwierige Amt begab. Er befahl den Verwalter des Hradschin, Joseph Graf Wallis, zu sich und sagte ihm: »Ich will Sie, lieber Graf, für Ihre treuen Dienste belohnen. O’Donnell ist tot, Sie sollen sein Nachfolger werden.«
»Ich bitte Eure Majestät«, meinte der Verwalter, »allergnädigst bedenken zu wollen, dass ich vom Finanzwesen nichts verstehe und mich auch darum nie gekümmert habe.«
»Das macht gar nichts«, entgegnete der Kaiser, »genau solche Leute brauche ich. Sie waren ein treuer Burggraf und werden ein nicht minder treuer Finanzminister sein.«
Es folgte, was zu erwarten war: der Staatsbankrott.
Dem Kaiser blieb wenig Zeit, das Regieren zu erlernen: Gleich nach seinem Amtsantritt erklärte ihm das revolutionäre Frankreich den Krieg, in dessen Folge Österreich erhebliche Gebietsverluste erlitt. Zwei Persönlichkeiten prägten die Regierungszeit des »guten Kaisers Franz«: Metternich auf der einen und Napoleon auf der anderen Seite. Beide hatten wesentlichen Anteil am Zustandekommen des wohl wichtigsten politischen Ereignisses dieser Epoche, dem »Wiener Kongress«, zu dem ab September 1814 Monarchen und Staatsmänner sonder Zahl nach Wien reisten, um nach dem vermuteten Ende der Herrschaft Napoleons – der nach der verlorenen Schlacht bei Leipzig im Exil auf Elba saß – über eine »Neuordnung Europas« zu verhandeln.
Und zu tanzen, wie es heißt. Ja, gefeiert wurde viel, wobei der 28. Juni 1815 den festlichen Höhepunkt bildete: Der König von Dänemark hatte Geburtstag, die Königin von Bayern, der Herzog von Sachsen-Weimar und der Großherzog von Baden hatten Namenstag. Wie es das Zeremoniell vorschrieb, wurde Zar Alexander als Europas ranghöchster Monarch während des Diners neben Maria Ludovika, die Frau des österreichischen Kaisers, platziert. Leider hat man bei der Tischordnung nicht bedacht, dass sowohl Zar als auch Kaiserin auf je einem Ohr taub waren. Nun saßen die beiden unglücklicherweise so, dass sie nicht hören konnten, was ihr Gesprächspartner gerade sagte. Boshafte Wiener stellten die Konversation der Kaiserin mit dem Zaren so dar:
»Wie schmeckt’s Euer Majestät?«
»Schrecklich müde.«
»Freut mich sehr.«
Der Kongress kostete, vor allem wegen seiner vielen Feierlichkeiten, ein Vermögen, was ein geflügeltes Wort zur Folge hatte: »Der Zar von Russland liebt für alle, der König von Preußen denkt für alle, der König von Dänemark spricht für alle, der König von Bayern trinkt für alle, der König von Württemberg frisst für alle und der Kaiser von Österreich zahlt für alle.«
Aber der »Kongress« brachte auch ein politisches Ergebnis: Die Großmächte stellten ihr Gleichgewicht wieder her, mit anderen Worten: Alles war, wie es vor dem Kongress gewesen ist.
Typisch für den Eigensinn des Kaisers Franz war auch, wie er die Frage seiner Nachfolge löste: