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dem lauten und bald um eine Ecke verschwindenden Duo nachrannte. Im Geiste sah ich schon einen triumphierenden Purzel mit der kleinen, leblosen Pinpin im Maul.

      In einer Ecke des Ganges fand ich die Tiere wieder. Pinpin setzte gerade zum Sprung ihres Lebens an. Von dem wild knurrenden Purzel bedroht, der zwanzigmal so groß war, mag sie gefürchtet haben, gleich zu einer Hundevorspeise zu werden. Ein offenes Fenster schien die Rettung. Im Bruchteil einer Sekunde sprang sie hinaus und landete auf dem Glasdach der darunterliegenden Einfahrt. Gsaller, inzwischen nachgekommen, kam zu einem schnellen, aber verhängnisvollen Entschluß. »Sie sitzt nur so da«, rief er mir über die Schulter zu und sprang der Katze auf das Glasdach nach. Dieses hatte zwar Pinpin getragen, unter dem Gewicht des schweren Mannes brach es natürlich durch und beide, Gsaller und die Katze, landeten im Splitterregen auf dem Asphalt. Zum Glück im Unglück standen dort weder Autos noch Fahrer noch irgend jemand sonst herum. Das vollkommen unverletzte Kätzchen schoß in Panik auf die Straße hinaus und sprang an einer Dame hinauf, deren Seidenkleid dabei nicht ganz heil blieb, während die Trägerin einen Schock erlitt. Ein Wachebeamter, der zu Hilfe geeilt war, übernahm Pinpin, ein anderer machte sich auf die Suche nach Riechsalz für die Passantin und nach einem Rettungswagen für Gsaller, der in ein Krankenhaus gebracht werden mußte. Viel später als geplant und sehr kleinlaut begleitete ich Mutter in ihr Altersheim.

      Mama hatte die bemerkenswerte Eigenschaft, in schwierigsten Situationen Ruhe zu bewahren. Wie eben jetzt. Sehr wohl beschäftigte mich für den Rest des Tages der Gedanke an Vaters Reaktion. Seine Lippen schienen geradezu zu verschwinden, erzählte mir Liesl beim Frühstück am nächsten Morgen, als er die Zeitungsüberschrift las: »Schuschnigg-Wildkatze greift Dame vor dem Kriegsministerium an.« Was konnte das Schlimmste sein, das mir jetzt bevorstand? Oder was das Beste? Es kam ziemlich auf dasselbe heraus. Mein Taschengeld war wohl dahin, bis folgendes bezahlt war: das Kleid der Dame, Gsallers Krankenhauskosten und das Glasdach über der Einfahrt. Dafür würde ich den Rest meines Lebens brauchen. Ein düsterer Gedanke folgte dem anderen. Schließlich kam die Vorladung, kurz vor meiner Schlafenszeit. Ich ging in den Salon. Papa saß. Ich stand, auf wackeligen Beinen.

      »Kurti, ist dir klar, daß du deine Pflichten vernachlässigt hast?«

      »Jawohl, Papa.«

      »Ist dir klar, welche ernsten Konsequenzen das gehabt hat?«

      »Ja, Papa. Es tut mir sehr leid. Es tut mir so leid, daß sich Gsaller weh getan hat, und es tut mir so leid, daß das Kleid der Dame beschädigt ist, und es tut mir leid, daß das Glasdach kaputt ist. Es tut mir sehr, sehr leid, daß das in die Zeitung gekommen ist.«

      Papa runzelte die Stirn, als ich die Zeitung erwähnte. Er schien weich zu werden.

      »Komm her, mein Sohn.«

      Er streckte die Arme aus und hob mich auf den Schoß. Eine willkommene Wendung. Er erklärte mir, daß es nicht fair gewesen sei, Pinpin im selben Haushalt mit einem Hund zu halten, besonders mit einem so großen und starken wie Purzel einer geworden sei, und daß Klettern für ein Kätzchen ganz natürlich sei. Wir müßten nun das tun, was für Pinpin das Beste sei. Sie komme in den Zoo, um mit all den anderen wilden Katzen zu leben, und dort könne ich sie, sooft ich wolle, besuchen. Meine Erleichterung war groß. Pinpin würde also glücklich und in Sicherheit sein. Ganz egal, was Mutter dachte, Minister Stockinger hätte Pinpin ja doch aus dem Fenster geworfen.

      Purzel war wieder in meinem Zimmer. Gsaller hatte sich nichts gebrochen, nur das Handgelenk verstaucht, und er mußte ein bißchen genäht werden. Alles in allem hätte es viel schlimmer ausgehen können.

      Einer der spektakuläreren Räume des Kriegsministeriums war der große Neo-Rokoko-Ballsaal. Marmorwände, ein schöner, hoher Plafond mit schweren Lustern, vergoldete, mit rotem Samt tapezierte Möbel, dazwischen dekorative Spiegel. In der Mitte stand ein immer perfekt gestimmter Konzertflügel. Mutter sorgte dafür, daß dieser Saal nicht ungenützt blieb. Jeder Maestro und jede Diva der Zeit wurde eingeladen, dort aufzutreten. Es waren die schönsten Abende für meine Eltern. Meine Erfahrungen mit dem Ballsaal waren vergleichsweise banal. Die Kinderfeste, die für mich und meine Freunde ausgerichtet wurden, fanden ebendort statt. Wenn Mutter ihre nie nachlassende Energie und ihren Erfindungsreichtum für diese Arrangements verwendete, blieben die Ergebnisse immer im Gedächtnis haften. Die Feste zu Nikolo, im Fasching oder zu Geburtstagen waren voll klug ausgedachter und phantasievoller Spiele. Es gab so viel »Kracherl«, Zitronen- oder Orangenlimonade, und Torten, daß uns manchmal davon übel wurde.

      Am liebsten aber waren meinen Freunden und mir die Nachmittage mit den Märchentanten. Das waren Schauspielerinnen, die ihre beste Zeit bereits hinter sich hatten. Stundenlang hingen wir an ihren Lippen. Ihre Stoffe schienen unerschöpflich zu sein: Die Schandtaten von Max und Moritz mit der Witwe Bolte von Wilhelm Busch, die phantastischen Märchen der Gebrüder Grimm und vieles mehr. Diese Darbietungen waren so lebendig und fesselnd, daß wir den vergifteten Apfel förmlich zu riechen meinten, in den Schneewittchen biß, und vor Kälte zitterten, wenn Hänsel und Gretel durch den Wald schlichen. Wir lebten jede Minute bei jedem Abenteuer mit.

      Die unangenehme Erinnerung an die eine Nikolofeier – die Episode mit der blauen Bank – trat endlich in den Hintergrund. Mutter durchkämmte das Reservoir an Soldaten außer Dienst mit schauspielerischem Talent, um den perfekten Nikolo und Krampus zu finden. Wurden die beiden angekündigt, trat Stille im Ballsaal ein und Dutzende Augenpaare richteten sich, manche fiebernd, auf die Tür. Herein kam der heilige Nikolaus, prächtig unter seiner Mitra, im goldenen Ornat, mit langem, rauschendem Bart. Im Rhythmus seines würdigen Ganges klopfte er mit seinem schweren, juwelenbesetzten Stab auf den Boden. In der Mitte des Raumes hielt die majestätische Erscheinung an und schaute jedem von uns nachdenklich ins Gesicht, wie um zu entscheiden, welche der zuckenden, aufgeregten kleinen Seelen aus den Fängen des Teufels gerissen werden könne. Dann drehte er sich wortlos zum Eingang um und hob, ähnlich Moses in der Wüste, beide Arme, senkte sie plötzlich wieder und warf seinen Stab auf den Boden des Saales. Es folgte ein markerschütternder Schrei vom Gang her und Krampus, der Teufel, sprang herein. Jeder im Zimmer zuckte unwillkürlich zusammen. Ein feuerspeiender, kinderfressender Drache hätte uns nicht mehr erschrecken können. In einer Hand hielt der Bösewicht eine Handvoll Ruten, in der anderen die »Ketten der Hölle«. Er drehte sich um sich selbst und sprang herum, seine dunklen Hörner glänzten im Licht des Lusters, sein langer Schweif peitschte den Boden. Von Kopf bis Fuß war er schwarz gekleidet, in einem halblangen Umhang mit hohem, steifem Kragen. Aus dem leichenblassen Antlitz blitzten uns kohlebemalte Augen entgegen. Die einzige Farbe in seinem Gesicht war der breite, rote Mund, aus dem ein fürchterliches Lachen nach dem anderen gellte. Die grauenvolle Erscheinung ließ uns in unseren Sitzen erstarren. Das Gerassel der Ketten begleitete jede seiner Bewegungen. Nur ab und zu hörte er auf, um einem von uns aufs Kinn zu klopfen. Natürlich wußten wir, daß er nicht echt war. Das wußten wir schon, bevor er hereinkam. Doch wenn das Böse ein Gesicht hatte, dann sahen wir es jetzt. Mit verächtlichen und drohenden Bemerkungen stieg er im Saal herum. »Ich hab gehört, daß du in der Schule kein braver Bub warst? – Du gehorchst also deiner Mutter nicht immer, kleines Mädchen?«

      Endlich verbannte ihn der heilige Nikolaus in die Ecke, wo er hockend knurrte und uns anblitzte. Der Nikolo verteilte Obst, Geschenke und Nüsse. Es folgten noch die Torten, das Eis und was immer sonst Liesl zwei Tage lang für uns hergerichtet hatte. Schließlich gab es noch jede Menge Spiele.

      Doch zuerst kam der Abgang des Star-Duos. Der heilige Nikolaus schritt den ganzen Ballsaal majestätisch ab und hielt vor der Tür. Mit würdigen Worten kamen die üblichen Ermahnungen: »Bleibt immer brav und denkt daran, daß ich alles erfahre, was ihr macht.« Währenddessen stampfte der Krampus in seiner Ecke herum. Als er an die Reihe kam, stieß er einen schrillen Schrei aus, sprang in die Luft und ließ noch einmal seine Ketten rasseln. Dann rutschte er hinüber zum Nikolo und zischte mit seinen blutroten Lippen: »Ich weiß auch, was ihr macht, und ich werde euch genau beobachten.« Woraufhin beide unter begeistertem Applaus den Saal verließen.

      In der Hoffnung, sie in die Wolken oder in einem Feuerball verschwinden zu sehen, rannten wir zum Fenster. Nur daß ihr Verkehrsmittel ein Polizeitransporter war, hat unsere Phantasie ein wenig gestört. Trotzdem reckten wir die Hälse, um sie wegfahren zu sehen. Wir schrien: »Nikolo! Krampus!

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