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Der lange Weg nach Hause. Kurt von Schuschnigg
Читать онлайн.Название Der lange Weg nach Hause
Год выпуска 0
isbn 9783903217157
Автор произведения Kurt von Schuschnigg
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Bookwire
»Fräulein Alice, ich werde Vater über den ganzen Wolfgangsee rudern. Ich hole die Würmer und Angelruten.«
»Keine Würmer und Angelruten, Kurti.«
»Na gut.«
Ich ruderte so kräftig, daß es mich selbst überraschte. Vater war zufrieden, und das war mir Lohn genug. Wie schön war es, ihn ganz für mich zu haben und ihn als fast wieder normal zu erleben. Fröhlich plapperte ich über nichts Bestimmtes. Vater hatte andere Gedanken. Er verwies auf Themen, über die man ernst nachdenken müsse. Wenn es auch wichtig sei, kräftig zu sein, sei es noch viel wichtiger für uns, geistig voranzukommen. Ich sei »in beidem ziemlich gut«. – »Mein Sohn, die Dinge können nicht immer so sein, wie wir sie uns wünschen, nicht einmal, wenn wir uns gute Dinge wünschen.«
Ich wußte, daß er Mutter meinte.
»Wir müssen dankbar sein für das, was Gott uns schenkt, egal, wie lang diese Geschenke uns bleiben, und wenn eine Tür zugeht, so geht doch bald eine andere auf.«
Was er als nächstes sagte, ließ mich mitten im Rudern aufhören, mit den Rudern in der Luft.
»Am Tag des Unfalls hat die Polizei einen Mann befragt, der kurz hinter der Unfallstelle an der Bundesstraße wartete. Er stellte sich als Hakenkreuzler heraus, als Nazi. Und er war mit einer Bombe bewaffnet. Ohne den Unfall wären wir jetzt vielleicht alle tot.«
Langsam und schweigend ruderte ich weiter. Für mich waren die Hakenkreuzler aus Deutschland tausendmal schlimmer als die Roten aus Rußland.
»Aber Vater, warum können wir sie nicht aufhalten?«
»Wenn das so einfach wäre, würden wir es tun. Aber das ist nicht die Art Schlacht, wie du sie mit deinen Spielzeugsoldaten führst. Es ist mehr ein Versteckspiel. Sie führen ihre Terroraktionen durch und versuchen, das Mißtrauen gegenüber der Regierung in der Bevölkerung zu schüren, vor allem unter den Arbeitern.«
»Aber warum?«
»Sie wollen, daß Österreich ein Teil von Deutschland wird, doch die Mehrheit der Österreicher will Österreicher bleiben. Deswegen können wir uns nicht leisten, in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Keinen Augenblick lang.«
Es war das erste Mal, daß Vater mit mir wie mit einem Erwachsenen geredet hatte. Während ich ihm ernst zuhörte, schwor ich mir, mich nie mehr über die Leibwächter zu beschweren, und ich hoffte inständig, daß Papas »Schatten« ihn nie aus den Augen lassen werde. Es gab jetzt nur noch uns beide.
Im Laufe des Sommers entwickelten Vater und ich einen geregelten Tagesablauf. Obwohl die Wissenschaft behauptet, daß der Körper mit dem Herzen stirbt, ging das Leben für uns weiter. Fräulein Alice wurde für mich alles, was sie sein konnte, mit dem Urteilsvermögen einer Mutter, voller Weisheit und Liebe. Mit ihr ruderte ich zu den vielen kleinen Buchten des Wolfgangsees, sie grub mit mir Würmer zum Angeln aus und zeigte mir, wie man ein Feuer macht, um Forellen und Maiskolben zu braten. Manchmal wanderten wir auch nur zu einem nahen Bach oder saßen am Ende unseres Steges. Und es waren nicht wenige Forellen, die wir gemeinsam aus dem See zogen, so daß Liesl sich über unsere Triumphe immer weniger freute. Als ich eines Nachmittags den Fang des Tages stolz in die Küche brachte – »Liesl, rate was ich habe?« – und ihr meinen Kübel voller Hauptspeisen zeigte, die noch immer mit den Flossen schlugen, da verharrte sie einen Moment zögernd, um dann zu explodieren.
»Was? Schon wieder Forellen? Ich werde ein paar Kerzen in der Kirche anzünden, damit es regnet. Für heute Abend habe ich so schöne Wildmedaillons vom Fleischhauer.«
Ich sprach mit ihr wie mit einem Kind: »Liesl, du weißt, daß Vater Forellen liebt.«
»Ja. Richtig. Manchmal. Aber nicht täglich. Und ich auch nicht.« Sie wurde immer lauter, stemmte die Fäuste in ihre fülligen Hüften, die Ellbogen spitz nach außen gekehrt. Ein gefährliches Zeichen der Unnachgiebigkeit. Ich spürte die kommende Niederlage.
»Bitte, Liesl, ich will nur, daß Vater weiß, daß ich die für ihn gefangen habe. Das ist wie ein kleines Geschenk von mir.«
Sie überlegte kurz. Meine Hoffnung stieg. »In Ordnung, Kurti. Ich sag dir etwas. Wir machen ein Abkommen. In Zukunft gibt es Fisch in keiner Form öfter als dreimal pro Woche. Das heißt nicht, daß du nicht angeln darfst. Angle, soviel du willst, aber von jetzt an gibst du allen überschüssigen Fang dem Stephan. (Das war der Fahrer, der Tichy ersetzt hatte.) Und jetzt erzählen wir deinem Vater, daß du die Fische für ihn gefangen hast, nachdem das Menü aber schon geplant war, hast du sie dem Stephan gegeben.«
Das war nicht genau das, was ich wollte. »Na jaa«, fing ich an, nur um gleich unterbrochen zu werden. »Das war keine Einleitung zu einer Diskussion, Kurti, das ist eine Feststellung. Dein Vater braucht seine Kräfte, und das bedeutet, er muß mindestens sooft Fleisch essen wie Fisch. Geh jetzt, such Fräulein Alice und sag ihr, daß ich sie kurz sehen möchte, bitte.« – Das war also geregelt.
An einem klaren, sonnigen Tag verkündete Fräulein Alice, daß wir zum Tee nach Bad Ischl fahren. Eine halbe Stunde Autofahrt, nur um eine Tasse Tee zu trinken, klang ein bißchen viel. Doch wir fuhren in die Konditorei Zauner. 1832 hatte Johann Zauner sein Fachwissen über die Wiener Backkunst in die Pfarrgasse 7 nach Bad Ischl gebracht. Die dankbaren Kurgäste erfreuten sich am schönen Jugendstil-Interieur in hohen Räumen, am Licht unzähliger Milchglasleuchten, an einer Mozartsonate oder einer Fuge von Liszt. »Der Zauner« hatte den wohlverdienten Ruf, die leichtesten Kuchen und Torten und die delikatesten Süßigkeiten zu servieren. Vor allem aber konnte er sich rühmen, daß Kaiser Franz Joseph 1849 hier zu Gast gewesen war. »Der Zauner« war zu einer Institution geworden. Obwohl das nicht so ausgedrückt wurde, sollte unser Ausflug mich empfänglicher für die Zeremonie des »Fünf-Uhr-Tees« machen.
Ich war in einem Dilemma. Tags zuvor hatte ich eine kleine Schlange im Garten gefunden und sie in mein Zimmer mitgenommen. Es war nicht auszuschließen, daß Liesl sie in meiner Abwesenheit dort entdeckte. Ich mußte also die Schlange mitnehmen, wohlweislich ohne Fräulein Alice etwas davon zu sagen. So reiste dieser dritte Teilnehmer unserer Gesellschaft gut zusammengerollt in der Tasche meiner Lederhose mit.
Frau Zauner höchstpersönlich setzte sich zu uns. Ich schaute mich um. »Fräulein Alice, hier ist es aber sehr ruhig.«
»Na ja, Kurti, das ist ein Teesalon und kein Sportstadion. Schauen wir uns einmal die Speisekarte an.«
Ich wählte meinen Lieblingskuchen, Himbeertorte mit viel Schlagobers. Fräulein Alice entschied sich für ein Stück Apfelkuchen. Es war nach vier Uhr Nachmittag, der Raum zwar ganz voll, aber kein Gespräch lauter als die gemurmelten Antworten bei der Messe in der Kirche. Mein Blick fiel auf den Tisch vor uns. Zwei Damen schienen wie gegen ihren Willen dort zu sitzen. Die elegante Ältere schaute voll Desinteresse auf ihre jüngere, nüchtern gekleidete Begleiterin. Sie schenkten einander nicht einmal den Anflug eines Lächelns. Manchmal nickte die Ältere herablassend. Ihre Begleiterin war offensichtlich aufgeregt und sprach mit großer Intensität. Was sie sagte, verstand ich nicht, doch tat sie mir leid. Jedes majestätische Nicken der Älteren schien sie noch mehr aufzuregen. Die Adern an ihrem Hals schwollen an. Sie schienen kurz davor zu sein zu platzen.
Was nun folgte, dafür gibt es keine vernünftige Erklärung. Ich griff in meinen Hosensack und nahm die Schlange heraus. Das Tischtuch verdeckte meine Hand. Ohne an die Konsequenzen zu denken, ließ ich die Schlange fallen, hielt den Atem an und steuerte sie mit meiner Willenskraft zu dem Tisch der beiden Damen. Daneben bereitete gerade ein Kellner eine vollendete Teezeremonie vor. Ich fürchtete, er könnte auf meinen kleinen Freund treten und ihn zerquetschen und beugte mich in seine Richtung, auch um zu sehen, wie weit die Schlange schon gekommen war. Die hatte blitzschnell und ohne entdeckt zu werden, den richtigen Tisch gewählt und war unter der bis zum Boden hängenden