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des perfekt gekämmten, dünner werdenden braunen Haares bis zur Sohle seiner stets polierten, handgemachten Schuhe.

      Elmayer-Kurse waren in Altersklassen aufgeteilt. Wir Sechsjährigen wurden einer kleinen Gruppe von Damen anvertraut, die für die Durchsetzung von Onkel Willys Lehrplan zuständig war. Manchmal unterrichtete er uns auch selbst, aber nur diejenigen, die er persönlich auswählte. Unter seiner Anleitung wurde perfektes Verhalten erwartet. Er kombinierte militärische Disziplin mit dem Blick eines Scharfschützen, dem nichts entging. Ein falscher Schritt bei einem Menuett, ein Stolpern über die eigenen Füße oder, schlimmer, über die der Partnerin, die geringste Unaufmerksamkeit, und schon mußte man in der Ecke stehen, mit Blick auf die Wand. Diese besondere Art der erhöhten Aufmerksamkeit dauerte vier bis fünf Minuten, und früher oder später besuchte jeder die Ecken des Salons in der Bräunerstraße. Aber der gestrenge Onkel Willy konnte auch nett sein. Wir fanden ihn alle großartig. Unser Erfolg als Elmayer-Schüler war die treibende Kraft in seinem Leben.

      Manchmal wurden Schüler ausgewählt, um an Theater- oder karitativen Auftritten mitzuwirken. Besonders diesen schenkte Onkel Willy sein Talent und seine Zeit. Er hielt solche Aktivitäten für notwendig, um an »Präsenz« zu gewinnen. Manchmal mußten wir in Biedermeierkostümen herumstiefeln, doch meistens spielten wir einen Teil einer Schneeflocke, einen Busch oder ähnlich Harmloses. Wir nahmen das überaus ernst, alles andere wäre ein Verrat an Onkel Willys Lehren gewesen. Keiner von uns ließ zu, daß auch nur ein Blatt sich vom Kostüm löste. Während einer Aufführung versuchte ein Neuling neben mir, heldenhaft ein Niesen zu unterdrücken, hielt den Atem an, bis sein Gesicht knallrot wurde und seine Augen durch die ziegeldicke Brille zu stoßen drohten. Nach ein paar Sekunden schüttelte es ihn, und die Brille fiel von seiner Stupsnase auf die Bühne. In einer fließenden Bewegung bückte er sich nach seiner Brille, trat dabei aber darauf und zerbrach sie. Und Onkel Willy? Onkel Willy war begeistert.

      Die Gespräche der Erwachsenen wurden von nur einem Thema beherrscht, dem beunruhigenden Wachstum der NSDAP in Österreich. Schon Ende 1932 waren die Auswirkungen bereits auf der Straße spürbar. Öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte oder Kinos wurden von Nazidemonstranten gestört. Gruppen von Nazis versperrten die Ein- und Ausgänge der Universität Wien, bis die Polizei die Ordnung wiederherstellte.

      Im März 1932 erschreckte die Entführung des Sohnes des amerikanischen Fliegers Charles Lindbergh die gesamte zivilisierte Welt. Nicht nur amerikanische Publikationen, auch alle europäischen berichteten in allen Details über das »Lindbergh Baby«, und alle Eltern waren entsetzt. Das sollte auch für mich Konsequenzen haben. Fortan hatte ich nicht nur mein Kinderfräulein, sondern auch einen Polizeibeamten in Zivil als Dauerbegleiter. Auch wenn dieser drei Meter hinter mir ging, war er so unauffällig wie eine ganze Rinderherde. Noch peinlicher war, daß er während des Unterrichts auf dem Gang vor meiner Klasse sitzen mußte. Ich flehte wochenlang, von dieser Qual erlöst zu werden, und stellte schließlich fest, daß das nicht mehr auszuhalten war. Daß Vater in der Öffentlichkeit stand, war mir egal, und daß es Unruhen auf den Straßen Wiens gab, erst recht. Meinen Eltern erklärte ich, es lieber mit einem Kidnapper aufnehmen zu wollen, als noch einen Tag diese Peinlichkeit zu ertragen. Die Sticheleien meiner Klassenkollegen waren einfach zuviel. Ich stampfte mit dem Fuß auf, um deutlich zu machen, daß es mir ernst war. Die Reaktion meines Vaters: »Was fällt dir ein, vor deiner Mutter mit dem Fuß zu stampfen!« Nachdem ich alles aufgeboten hatte, schwieg ich. Eine Art wortloser Kommunikation schien zwischen meinen Eltern stattzufinden, und schließlich gaben sie nach.

      Am nächsten Tag ging ich mit einem außergewöhnlichen Gefühl von Befreiung und Leichtigkeit in die Schule, ohne über meine Schulter schauen zu müssen. Ich grüßte meinen Freund Peter Mayer und erzählte ihm sofort die guten Neuigkeiten. Er sah mich erstaunt an. Dann hob er den Kopf und drehte die Augen seitwärts. »Wenn das so ist, dann hat der einen Zwilling.« Ich drehte mich schnell um und sah ihn keine zehn Meter weit weg. Er hatte eine Zeitung vor dem Gesicht, aber auch wenn ihn das kurzfristig verdeckte, waren der karierte Anzug, die Melone und die braunen Schuhe das untrügliche Zeichen des Staatspolizisten. Mir fiel nichts mehr ein. Hatte der Mann es vergessen? Hatte man ihm nicht gesagt, daß er mir nicht mehr folgen sollte? Mittags wieder zuhause, schmollte ich, stellte meine Mutter zur Rede und erfuhr eine häßliche Wahrheit: Ist es im Interesse ihrer Kinder, dürfen Eltern auch lügen.

      Um mich zu beruhigen, gab es doch ein paar kleine Änderungen. Mein »Schatten«, wie ich ihn nannte, mußte sich nun wirklich bemühen. Blitzschnell sprang er hinter Bäume (wenn es welche gab), versteckte sich hinter Autos (sofern sich diese nicht bewegten), manchmal unternahm er sogar das abgeschmackteste aller Manöver, die plötzliche Kehrtwendung. Ihn zu überraschen, verschaffte mir einige Befriedigung. Indem ich mich grundlos umdrehte, ertappte ich ihn manchmal. Er saß nicht mehr auf dem Gang in der Schule, sondern in einer Kammer. Er war da. Ich wußte, daß er da war, und er wußte, daß ich es wußte. Vermutlich hätte er mich gern dafür erwürgt, daß ich ihm das Leben zur Hölle machte.

      Meine engsten Freunde, Peter Mayer und Rudi Fugger, ignorierten den Klotz an meinem Bein. Der vernünftige und ernste Peter war die Sorte Bub, von der jede Mutter träumt: Immer gekämmt, die Socken immer oben, schien er auch nie schmutzig zu werden. Seine dunklen Augen und sein dünnes, eckiges Gesicht strahlten Ernst und Ehrlichkeit aus. Er war ein durch und durch netter und treuer Freund. Nur sechs Jahre später würde er mit seinen Eltern und seinem Bruder aus Österreich fliehen müssen, denn obwohl gläubige Katholiken, gab es einen Tropfen jüdischen Blutes in der Familie. Und dann war da Rudi: stürmisch, witzig, abenteuerlustig, wie ich dünn und drahtig. Seine elektrisierenden blauen Augen und sein Grinsen schienen immer auf der Suche nach dem nächsten Streich. Wir drei waren vollkommen verschieden und standen in dauernder, spielerischer Konkurrenz.

      Rudi: »Ich hab von einem Buben gehört, der auf einer Wiese eingeschlafen ist. Ein Wurm ist in seinen Mund gekrochen, hinunter in seinen Magen und hat das Ganze aufgefressen.«

      Ich: »Na, und ich hab gehört, daß eine Raupe einem Mann ins Hirn gekrochen ist, durch das Ohr. Dort ist sie gestorben und alles ist verfault.«

      Der ernste Peter, mit vor lauter Konzentration gerunzelten Augenbrauen, schaute uns an und explodierte. »Ihr seid beide verrückt. Der Magen würde den Wurm verdauen, und eine Raupe ist viel zu groß, um durch den Gehörgang ins Gehirn zu kommen. Ich glaub’ euch kein Wort.« Peter war auf ruhige Art intelligent und hatte einen gesunden Menschenverstand. Unsere sehr verschiedenen Charaktere ergänzten einander. Vielleicht hatten wir deshalb eine so ausgleichende Wirkung aufeinander.

      Die Freundschaft zwischen Rudi und mir führte dazu, daß auch unsere Mütter Freundinnen wurden, eine Freundschaft, die später entscheidende Auswirkungen auf Vater haben sollte. Rudis Mutter Vera war eine geborene Gräfin Czernin-Chudenitz. Sehr jung hatte sie Leopold Graf Fugger-Babenhausen geheiratet. Rudi hatte drei Schwestern, Nora, Rosemarie und Sylvia. Ihre Eltern lebten getrennt, die Mutter in Wien, der Vater in Deutschland. War dieses Arrangement außergewöhnlich, so schien es doch besser, als das ungeschriebene elfte Gebot zu brechen: »Du sollst dich nicht scheiden lassen.« Im katholischen Österreich und in Bayern sprach man dieses Wort nicht einmal leise aus. Das Thema war so tabu, daß ich Rudi niemals danach fragte.

      Mutter und Vera waren ungefähr gleich alt. Beide galten als Schönheiten. Mama hatte leicht gewelltes, kurzes blondes Haar, leuchtende blaue Augen, hohe Wangenknochen und eine vollere Unterlippe, sie war schlank und mittelgroß. Vera, größer und auch blonder, dies freilich etwas weniger natürlich, schien um ihren Mund herum immer zu lachen. Beide waren sie auffallend hellhäutig. Veras hervorstechendes Merkmal aber waren ihre Augen, was weniger an deren Farbe als an der Form lag. Wie große Mandeln sahen sie aus und gaben ihr einen exotischen, fast ein bißchen asiatischen Anstrich.

      Wenn Rudis Schwestern die Ferien bei ihrem Vater verbrachten, wuchs unsere Dreierfamilie durch Rudi und seine Mutter auf fünf Personen an. Im Winter fuhr man Ski, nicht im schicken Kitzbühel, sondern im ruhigeren St. Anton. Das komfortable Hotel Post lag gleich am Ende der Kandaharpiste. Rudi, mein Kinderfräulein und ich wohnten nebenan, in der bescheideneren Dependance, mit dem großen Vorteil, nicht immer unter der Kontrolle der Eltern zu sein.

      Im Sommer gab es unterschiedliche Reiseziele. In der italienischen Stadt Sistiana erlebte ich zum erstenmal, was für

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