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Die Frage bleibt. Freda Meissner-Blau
Читать онлайн.Название Die Frage bleibt
Год выпуска 0
isbn 9783902998088
Автор произведения Freda Meissner-Blau
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Bookwire
Damals dachte ich: Schau mal an, sie ist als Kind in idealen Bedingungen aufgewachsen, mit liebevollen Eltern mitten in der Natur, mit einem Vater, der ihr Gedichte schon in der Wiege vorgesungen hat, ihr die Liebe zum Wort geschenkt hat, zur Dichtung, das Gespür dafür, die Mutter auch … Ein bissel Sehnsucht habe ich da bekommen, eine Art Nostalgie. Bei uns war’s nicht so. Da wurden Anforderungen gestellt, da gab’s kaum Widerrede. Uns Kindern haben die »Erzieherinnen« immer gedroht: »Wart nur, wenn der schwarze Mann kommt!« So hat mich die Angst vor dem Mann im Schwarzenbergpark lange verfolgt. Ein Kind wie die Gaigai dagegen, die konnte frei rauslachen und den Exhibitionisten lächerlich machen. Das hat mir zu denken gegeben, wie wichtig es ist, wie man mit Kindern umgeht.
Später habe ich es bei meinen Kindern zumindest versucht, aber ganz gelungen ist es mir auch nicht. Auch ich habe als Mutter zunächst noch geglaubt, das Beste für sie sei das, was ich als Mutter für das Beste halte. Na ja … Aber ich habe mich unendlich für meine Kinder interessiert. Später einmal hat mich meine Mami, als ich die Zwillinge hatte, in Wien besucht, und da sagte sie: »Du bist eine viel bessere Mutter als ich. Ich hab geglaubt, wenn man euch zu essen gibt und ein Dach überm Kopf, dann genügt das.« Na, Mami, das ist aber dürftig, dachte ich da. Als sie noch meinte: »Du hast ja Angst, dass die Seelen deiner Kinder zu viele blaue Flecken kriegen«, sagte ich: »Ja, das will ich nicht, das möchte ich verhindern, soweit ich’s verhindern kann.«
Drei Generationen: meine Mutter, Aleksandra, Freda
Erst als erwachsene Frau habe ich begriffen, dass meine Mutter gar nicht anders sein kann, dass sie eigentlich ein sehr verschlossener Mensch ist und selbst nie ein Aufgehoben-Sein gekannt hat, sondern immer nur Forderungen, die an sie gestellt worden sind. Dadurch, dass ich das verstanden habe, ist es in ihren letzten Lebensjahren zwischen uns eigentlich ungeheuer friedlich und liebevoll geworden. Nie werde ich vergessen, wie ich einmal zur Tür hereingekommen bin, und sie muss gefühlt haben, dass ich entspannt bin, dass ich nichts mehr suche, und sie sagt: »Da bist du ja, mein Dachs.« Freda, Fredachs, Dachs hat sie mich genannt. Sie war erleichtert, ich war erleichtert. Endlich waren wir auf einer Ebene, dass keine etwas von der anderen gefordert hätte.
Und ich habe sie auch in den Tod begleitet. Sie war 89 Jahre alt und gestürzt; ich war gerade zum ersten gesamteuropäischen Treffen der Grünen in Schweden gefahren. Die Ärzte meinten, sie müsse operiert werden, sonst bleibe nur mehr der Rollstuhl, und sie sagte: »Das muss meine Tochter entscheiden.« Ich habe ihr zur Operation geraten, die aber vermurkst worden ist. Danach ging es ihr ganz schlecht; sie lag im Spital im Sterben. Ich war bei ihr, meine Schwester Doris aus Amerika ist gekommen, auch meine Tochter Aleksandra kam noch rechtzeitig. Wir zündeten Kerzerln an, streichelten ihr die Hände, und sie hat gekämpft. »Mami, lass gehen, lass jetzt gehen«, sagte ich zu ihr. Dann atmete sie noch einmal durch … Wir drei Frauen haben sie da hineinbegleitet, das war wirklich bewegend, und ich war richtig froh über dieses Ende für sie.
Beim ersten gesamteuropäischen Treffen der Grünen in Stockholm 1987, v. l. n. r.: die vier Grünen-Gründerinnen Freda Meissner-Blau (A), Petra Kelly (BRD), Solange Fernex (F), Sarah Parkin (GB)
Also doch auch ein versöhnlicher Rückblick auf Ihre Mutter, überhaupt auf Ihre Eltern?
Auf jeden Fall! Ich möchte meine Eltern im Nachhinein weder verdammen noch be- und schon gar nicht verurteilen. Sie waren ja auch das Produkt ihrer Erziehung und ihrer Prägungen. Es ist nichts schwarz oder weiß. Ich habe ihnen auch vieles zu verdanken: ihr soziales Verantwortungsbewusstsein, viele intellektuelle Anregungen, die Wissbegierde, die Welt und deren Schönheiten auch als ein Abenteuer und Privileg zu sehen. In seiner bildungsbürgerlich-liberalen Einstellung war mein Vater in den 1930er Jahren politisch sehr kritisch gegen die Christlichsozialen, gegen den Ständestaat und später gegen die Nationalsozialisten. Klerikal-faschistisch hat er das System, das zwischen 1933 und 1938 in Österreich herrschte, schon damals genannt. Schließlich gaben mir meine Eltern das Interesse und die Freude an der Kunst mit, damals auch schon an der heute klassischen Moderne.
Auch sehe ich inzwischen eine bestimmte Form der damaligen Haltung meiner Eltern positiv – eine Haltung, die ich heute weitgehend vermisse: Meine Eltern sind zu ihren Überzeugungen gestanden, auch wenn sie unpopulär waren. Und es gab das, was man Konventionen nennt, zumindest ein Minimum an Konventionen, die das Leben so viel leichter, glatter machen, weil man nicht mit dieser Patzigkeit über andere drübergefahren ist, und, ja, weil dieser extreme Egoismus, über den wir heute überall stolpern, dieses »Was kümmert mich der Nächste? Hauptsache, mir geht’s gut!« dadurch in Schranken gehalten worden ist. Es gab auch damals genug schreiende Ungerechtigkeit, Missbrauch und Ausbeutung, aber auch mehr Verantwortung füreinander.
3GOTTLOSES KIND
Verbleiben wir doch noch ein wenig in Ihrer Kindheit. Als Historiker versuche ich Menschen immer auch aus ihrem Gewordensein zu verstehen. Wenn Sie nun über Ihr Elternhaus, über Ihre Verwandtschaft ein wenig hinausschauen: Welche weiteren wichtigen Erfahrungen gab es für Sie, vielleicht auch solche, wo Sie mehr Freiräume erfahren haben als zu Hause?
Da fällt mir sofort die Natur ein. Mit der Natur habe ich ja noch heute eine unverbrüchliche Zusammengehörigkeit. Sie hat mich getröstet und beschützt, ich habe sie verteidigt und bewundert. Unsere Großeltern hatten dieses gemütliche Holzhaus am Waldrand von Reichenberg, das wir die Alm nannten. Als wir in Linz und Wien lebten, haben wir dort immer die Ferien verbracht. Meine Zuflucht auf der Alm war zwischen zwei Felsen, darüber beugten sich eine Esche und eine Trauerweide. Dorthin flüchtete ich, wenn ich unglücklich war. Dann habe ich mir, was viele Kinder tun, ausgedacht, dass ich andere Eltern habe, dass meine Eltern eigentlich ein König und eine Königin sind und ich bei meinen Eltern nur als Findelkind bin. Und dann, wenn’s ganz schlimm war, habe ich mir vorgestellt, dass ich sterbe und wie sie weinend hinter meinem Sarg hergehen. Dort in meiner Zuflucht habe ich mir auch die verschiedensten Märchen ausgedacht. Ich würde noch heute blind den Weg zu diesen Felsen finden, wenn’s die Wege noch gibt. In dem Moment, wo ich dort gesessen bin, bin ich ruhig gewesen, da konnte mir nichts passieren, es roch so gut, und ich hörte das Summen der Insekten und den Wind, und alles war gut.
Noch heute gehe ich, wenn ich zornig oder traurig bin, in die Natur, und der Zorn und die Trauer verrauchen. Ich bin ja wirklich keine Esoterikerin, das muss ich betonen, aber wenn ich die Hände auf den Stamm einer Eiche oder einer Birke lege, dann pulsiert es, da spüre ich, das ist Kraft, das sind Energien. Ich liebe das so sehr. Ich bewundere die Bäume, und mir tut’s weh um jeden, der geschlägert wird. Das ist eine ganz viszerale Beziehung, die ich mit der Natur habe. Ich spürte schon damals intuitiv, was unser Freund und Mitstreiter gegen Zwentendorf und für die Au, Friedensreich Hundertwasser, fünfzig Jahre später sagte: »Die freie Natur ist unsere Freiheit.« Und heute sage ich mir: Freda, auch wenn du nicht mehr ordentlich gehen kannst, du kannst dich immer noch dort hinsetzen und das anschauen. Die Liebe zur Natur war auch wichtig für mein Engagement in der Ökobewegung, und deshalb haben die Leute leicht sagen können: »Na, Ihnen hat man geglaubt, man spürt bei Ihnen die volle Überzeugung.« Na ja, Kunststück, klar war’s so, denn ich musste ja nicht spielen. »Weißt du, was ein Wald ist?«, hat Bertolt Brecht gefragt. »Ist ein Wald etwa nur 10 000 Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude?«
Ich habe außerdem in meiner Kindheit sehr gerne Sport betrieben, zum Beispiel war ich eine gute Skiläuferin: Und: Ich muss gestehen, ich habe die Geschwindigkeit geliebt. Das hatte für mich etwas von Freiheit. Ich bin immer über meine Verhältnisse gefahren, gerade immer an der Grenze. Das hat mich wahnsinnig gereizt. Einmal