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Paula Wessely erging’s nicht anders. In ihrer ersten Rolle, noch während der Studienzeit als Elevin am Deutschen Volkstheater, war sie die Kammerzofe Josephine in Victorien Sardous Lustspiel Cyprienne. »Unter den sonstigen lebendigen Requisiten des Abends gab es ein paar sehr reizende, so zum Beispiel das spitz-graziöse Fräulein Wessely«, schrieb kein Geringerer als Alfred Polgar im Morgen vom 22. Dezember 1924.

      Es folgten kleine Rollen am Volks- und am gleichfalls von ihrem Lehrer Rudolf Beer geleiteten Raimundtheater, an dem sie im Jahr darauf als Ottilie Giesecke im Weißen Rössl – damals noch ein Sprechstück – neben der Volksschauspielerin Hansi Niese auf der Bühne stand. Wer hätte gedacht, dass man das Fräulein Wessely ein paar Jahre später als »neue Hansi Niese« bezeichnen würde.

      Noch konnte sie nicht zeigen, was wirklich in ihr steckte, aber immerhin fielen in den frühen Rezensionen schon Worte wie »Entdeckung«, »Überraschung«, »neue Begabung«, »diskreter Humor«, »wirkliches Talent«. Und Paula Wessely hatte vom ersten Tag an eine ungeheure Demut zum Theater. »Die Ehrfurcht vor den Künstlern war so groß, dass ich es nicht wagte, meinen Fuß ins Konversationszimmer des Deutschen Volkstheaters zu setzen. Denn dort saßen die Schauspieler, die die großen Rollen spielten, und vor ihnen hatte ich tiefen Respekt.«

      Noch ehe sie nach erfolgreicher Abschlussprüfung an der Akademie in ihr erstes festes Engagement geht, ist Paula Wessely eine, für ihr jugendliches Alter, weit gereiste Künstlerin. Auf einem Gastspiel begleitet sie den großen Alexander Moissi mit Ibsens Drama Gespenster durch Ungarn, wobei der Kritiker des Pester Lloyd neben Moissi nur die Wessely erwähnt, »die den Übergang von der verhaltenen Leidenschaft zur brutalen Lebensbejahung echt und wahr zu gestalten wusste«. Begegnungen wie die mit Moissi erweisen sich als prägend für Paula Wesselys Leben, wird sie doch eine der letzten Schauspielerinnen ihrer Generation sein, die noch mit Jahrhundertgestalten wie Moissi, Bassermann, Emil Jannings, Heinrich George, Max Pallenberg, Hansi Niese oder Asta Nielsen auf einer Bühne standen.

      Wieder in Wien, tritt sie in der Rolle der kleinen Pamplemousse, »einer frechen Pariser Pflanze«, in Sacha Guitrys Lustspiel Der Löwe und das Kätzchen auf, in dem der Theaterdirektor Leopold Kramer sitzt und sie vom Fleck weg nach Prag holt. Ein wahrhaft schicksalhaftes Engagement – in jeder Beziehung.

      »WAS NIMMST DU FÜR EINEN

      KÜNSTLERNAMEN?«

       Paul und Attila werden Schauspieler

      Im Herbst 1926, als Paula Wessely in Prag ihr Quartier bezog, war dem dortigen Deutschen Theater einer seiner Lieblinge abhanden gekommen. Er hieß Hörbiger, war 32 Jahre alt und hatte beim Publikum richtig »abgeräumt«. Nein, nicht Attila, sondern Paul war sein Name. Dieser Paul hatte, abgesehen von Attila, noch zwei weitere Brüder: Hans Robert und Alfred, die wie ihr Vater Maschinenbau studiert hatten, Alfred war darüber hinaus auch akademischer Maler. Die beiden jüngeren hatten in Internaten die Matura abgelegt – Paul im Stiftsgymnasium von St. Paul im Lavanttal, Attila in Waidhofen an der Thaya – und waren in den Ersten Weltkrieg gezogen, nach dessen unrühmlichem Ende sie abrüsteten. Attila als Leutnant, Paul als Oberleutnant. Der Ältere fasste gleich in den ersten Nachkriegstagen den Entschluss, Schauspieler zu werden. Er absolvierte ganze sieben Stunden an der Theaterschule Otto in der Wiener Operngasse, »aber nur, weil da eine Elevin war, die mein Interesse geweckt hatte«, wie Paul in seinen Memoiren verriet. »Einen geraden Satz sprechen zu können, schien mir und meinen Klassenkollegen weniger bedeutsam als die Frage ›Was nimmst du für einen Künstlernamen?‹. Das war das Hauptthema, darüber konnten wir stundenlang diskutieren.« Paul entschied sich für das hochtrabende Pseudonym Paul di Pauli – auch um den guten Namen seines Vaters nicht mit dem Theater in Verbindung zu bringen.

      Attila hatte zu diesem Zeitpunkt noch ganz andere Pläne. »Ich inskribierte an der Hochschule für Bodenkultur, weil ich in die Molkereiwirtschaft gehen wollte. Mir schwebte die Erzeugung von österreichischem Qualitätskäse nach Schweizerischem Vorbild vor.«

      Kaum hatte Paul Hörbiger – dann doch unter seinem wirklichen Namen – im Juni 1919 in dem böhmischen Städtchen Reichenberg sein erstes Engagement angetreten, wollte er seinen neuen Beruf schon wieder an den Nagel hängen. »Ich hatte von der Profession des Schauspielers ganz andere Vorstellungen. Wenn man gesehen hat, wie sich ein Kainz oder ein Girardi in ihren Erfolgen sonnten, dann fühlte man sich am Stadttheater von Reichenberg als armer Schlucker. Gespielt wurde alles – Oper, Operette, Klassiker, Lustspiel, aber wir vom festen Ensemble waren zu winzigen Rollen verdammt. Die dankbaren Aufgaben fielen den Gaststars zu.«

      Dass diese Gaststars – Alexander Moissi, Max Pallenberg, Rudolf Tyrolt und Paul Morgan – Anfang der zwanziger Jahre überhaupt im kleinen Reichenberg auftraten, lag daran, dass die Inflationsrate in Böhmen wesentlich geringer war als in Deutschland und Österreich. Der gute Kurswert der tschechischen Krone machte die Engagements an den deutschsprachigen Bühnen dieser Region auch für berühmte Künstler attraktiv.

      Doch der von seinem neuen Beruf vorerst so enttäuschte Paul Hörbiger sollte bald seine erste Chance bekommen. Als einer der Stars erkrankte, durfte er eine Hauptrolle übernehmen, in der er auf Anhieb gefiel. Und er wurde, nachdem er sich ein paar Mal als »Einspringer« bewährt hatte, schnell ein Liebling des Publikums.

      Sein Hang zum Volkstümlichen zeichnete sich damals schon ab. Paul »hasste die Klassiker« und trat lieber in einer dem Theater angeschlossenen Kleinkunstbühne auf, wo er nach der Vorstellung mit seinen Soloprogrammen glänzte. Als er eines Nachts das Wienerlied Drah ma um und drah ma auf, was liegt scho dran sang, meinte ein Kollege in Anspielung auf den hohen Alkoholkonsum an diesem Abend: »Mich würde interessieren, wie der Paul das in einer Stunde singt.«

      Damit war die Geburtsstunde seiner Nummer Dasselbe Lied eine Stunde später gekommen. Er begann das Lied in nüchternem Zustand zu singen, und der Sketch endete mit einer Darbietung desselben im Vollrausch. Dazwischen lag eine Palette, die einem Komödianten seines Ranges alle Möglichkeiten bot, sich zu produzieren.

      Reichenberg wurde durch die Vielfalt der Stücke und Rollen, die er spielte, zum Sprungbrett des späteren Volksschauspielers. »Ich habe hier viel gelernt und die Grundbegriffe der Schauspielkunst erfahren«, erinnerte er sich. Einer der Stars, die hier gastierten, war Hermine Medelsky vom Deutschen Theater in Prag. Ihr fiel Paul Hörbigers überragendes Talent auf, worauf sie ihn ihrem Direktor Leopold Kramer empfahl, der ihn sofort in die Metropole an der Moldau engagierte.

      Sein Bruder Attila trat das Molkereistudium an der Hochschule für Bodenkultur nie wirklich an, »weil unser Vater bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs als braver Patriot sein ganzes Vermögen in Kriegsanleihen gezeichnet hatte«, erklärte er später. »Jetzt war alles weg und fürs Studium kein Geld mehr da.«

      Attila war mit den Eltern mehrmals nach Reichenberg gefahren, um Paul auf der Bühne zu bewundern. »Bei ihm habe ich gesehen, wie schnell man beim Theater Geld verdienen kann. Und so wurde auch ich Schauspieler.« Das war die einzige Aussage, mit der einer der bedeutendsten Bühnenkünstler des 20. Jahrhunderts erklärt hat, warum er Schauspieler geworden war. Etwas anderes hat er dazu nie bemerkt, weder war je von »innerer Berufung« noch von »unbezwingbarem Spieldrang« die Rede. Attila Hörbiger war derlei Pathos fremd, für ihn bestand der Reiz darin, »schnell Geld zu verdienen«.

      Tatsächlich gab es vorerst nichts, das ihn prädestiniert hätte, Schauspieler zu werden. »Er ging zum Theater«, schrieb Hans Weigel einmal, »wie andere ins Theater gehen und wie man weder zum noch ins Theater gehen sollte: zufällig, unüberlegt, ›nur so‹.«

      Attilas Vater machte sich freilich Sorgen, nun schon den zweiten Sohn als Schauspieler in eine mehr als ungewisse Zukunft schlittern zu sehen. Ingenieur

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