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ist der von der nationalsozialistischen Reichskulturkammer angelegten »Akte Paul Hörbiger«* zu entnehmen. »Der einzige Grund, warum ich diesen idiotischen Ariernachweis nie erbrachte«, erklärte der Volksschauspieler in seinen 1979 veröffentlichten Memoiren, »war die außereheliche Geburt meines Vaters. Mir persönlich wäre diese Tatsache eher wurscht gewesen, aber meine Mutter hat damals noch gelebt, und in ihrer Generation dachte man über solche Dinge noch anders als heute.«

      Hanns Hörbiger hatte schon als dreizehnjähriger Realschüler sein Bett in den Garten geschoben, um »Himmelsbeobachtungen« anzustellen. Seine Forschungen führten ihn in späteren Jahren zu der Ansicht, dass eine riesige Eisschicht der Ursprung der Erde gewesen sei. Als das Eis mit heißen Elementen kollidierte, sei es zu einer gewaltigen Explosion gekommen, die die Bildung der Planeten zur Folge hatte. Alles irdische Leben, schloss Hanns Hörbiger in seiner Welteislehre, stammte aus dem All.

      Doch Hanns Hörbiger setzte auch in seinem »Brotberuf« völlig neue Maßstäbe. Als junger Ingenieur ließ er sich die bahnbrechende Erfindung des »ersten reibungsfrei geführten Stahlplattenventils« patentieren, das als revolutionäre Innovation einen nicht unbedeutenden Anteil am Aufbau der modernen Industriegesellschaft hatte. Gleichzeitig beschäftigte er sich als Konstrukteur der Langschen Maschinenfabrik mit der Planung sowohl einer U-Bahn als auch eines Pavillons für die Millenniums-Ausstellung, die zum tausendsten Geburtstag Ungarns im Jahre 1896 eröffnet werden sollten. Während des mehrjährigen Budapest-Aufenthalts der Familie brachte Hörbigers Frau Leopoldine, geb. Janak, die künftighin so berühmten Söhne zur Welt. Paul 1894 und Attila zwei Jahre später.

      CHRISTL PTACK, die Tochter von Paul Hörbiger: »Weder Paul noch Attila konnten, solange sie in Budapest lebten, auch nur ein deutsches Wort sprechen. Der ungarischen Erziehung entsprechend, waren sie mit ihren Eltern per Sie, nur Hans Robert, der älteste Bruder, durfte du sagen. Ihrer Mutter, die sie immer mit ›Édesanyám‹ – ›Meine süße Mama‹ – ansprachen, galt ihre ganze Liebe. Zweifellos waren ihr Attila und Paul besonders nahe, auch später, als sie zum Theater gingen. Denn das Theater war ihre große Leidenschaft, sie war immer wieder auf Laienbühnen aufgetreten und wäre am liebsten selbst Schauspielerin geworden. In Paul und Attila sah sie dann wohl auch ein bisschen die Erfüllung ihrer eigenen Träume.«

      Das Ungarische blieb den Brüdern ihr Leben lang vertraut. Als Attila Hörbiger mit über sechzig Jahren am Akademietheater einen leicht vertrottelten, aber liebenswerten k.u.k. Generaladjutanten in Franz Molnárs Komödie Olympia spielte, vermerkte Friedrich Torberg, dass er die Rolle »großartig, mit ungeahnten Dimensionen und brillanter Dialektbeherrschung« angelegt hätte, was nicht verwunderlich wäre, »da er ja schließlich in Budapest zur Welt gekommen ist«. Und auch viel später noch, an Pauls Totenbett, werden sich die Brüder der gemeinsamen Sprache ihrer Kindheit erinnern.

      Die Buben übersiedelten während ihrer Volksschulzeit – schweren Herzens, weil sie Angst vor der neuen Sprache hatten – mit ihren Eltern und den beiden älteren Brüdern nach Wien, wo der Herr Papa nun sein eigenes Konstruktionsbüro gründete. Die Familie bezog eine Wohnung im vierten Stock des Hauses Schönbrunner Straße 249 in Meidling, in dem auch das Ehepaar Alfred und Valerie Martinz mit seinem Töchterchen Consuelo wohnte. Consuelo war damals fünf, Attila sieben. Die Spielgefährtin aus den Kindheitstagen sollte seine erste Frau werden.

      Jahre später trafen sie einander wieder. Attila hatte sich erinnert, dass Consuelos Vater Sprech- und Stimmunterricht erteilte. Mittlerweile bereits beim Theater, gab es für ihn Nachholbedarf, da er bis dahin keine Schauspielausbildung erhalten hatte. Also fuhr Attila Hörbiger in den alten Kriegshafen Pola, nahm ein paar Stunden bei Herrn Martinz – und verliebte sich in dessen Tochter.

      Am 14. Juni 1924 wurde geheiratet, Attila war jetzt 28, Consuelo 26 Jahre alt. Als er zwei Jahre später in Prag die Wessely traf, soll es schon wieder vorbei gewesen sein mit der großen Liebe.

      CHRISTIANE HÖRBIGER: »Meine Mutter war sicher nicht der Grund für das Scheitern der ersten Ehe meines Vaters. Die Voraussetzungen waren von Anfang an nicht gut. Consuelo hatte Schwierigkeiten mit dem Gehör und musste ihren Beruf als Opernsängerin aufgeben. Mein Vater hat immer gesagt, dass er für sie eher Mitleid als Liebe empfand. Aber sie blieben Freunde, auch dann noch, als sie bereits getrennt waren. Und ihre Freundschaft hielt, solange sie lebten und übertrug sich auch auf meine Mutter, mit der Consuelo in späteren Jahren sehr guten Kontakt hatte. Ich sehe die erste Frau meines Vaters noch vor mir, wie sie uns an den Bahnsteig des Westbahnhofs brachte, als wir im Herbst 1944 nach Tirol flüchteten, weil in Wien die Bomben fielen. Mama war damals schwanger, sie erwartete meine jüngere Schwester Maresa.«

      »MUSSTE SIE PAULA HEISSEN?«

       Ihr Weg zum Theater

      Paula Wesselys Eltern war es vergönnt, den unvergleichlichen Aufstieg ihrer Tochter miterleben und viele ihrer Aufführungen besuchen zu können. Dabei standen Anna und Carl Wessely täglich von früh bis spät in ihrer Fleischerei auf der Sechshauser Straße 14. Fürs Theater und für die Welt der Komödianten hatten sich die beiden seit ihren Kindheitstagen begeistert. Carl – in der Familie »der schöne Carl« genannt – besuchte in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Wiens Deutsches Volkstheater am Weghuberpark, das 1889 für die »kleinen Leute« eröffnet worden war, die sich davor scheuten, in die gutbürgerliche »Josefstadt« oder gar ins aristokratische Burgtheater zu gehen. Carls Abgott war der Schauspieler Rudolf Tyrolt, der die Wiener Volkstypen auf unvergleichliche Weise verkörperte. In manchen Stücken hatte er ihn so oft gesehen, dass er die Texte seiner Rollen mitsprechen konnte.

      Paulas Mutter Anna, geb. Orth, wiederum war als Kind durch ihre große tänzerische Begabung aufgefallen. Sogar Willy Fränzl, der Ballettmeister und ehemalige Solotänzer der Wiener Hofoper, ein Nachbar der Familie Orth, zeigte sich von ihrem Können beeindruckt, doch sie verzichtete auf die Aufnahme ins Corps de ballet, weil ihr Bruder es als Schande empfunden hätte, »so jemanden« in der Familie zu haben. Eine »Balletteuse« wäre seiner Karriere als Lehrer im Weg gestanden, meinte er. Und gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es natürlich das Mädchen, das zu verzichten hatte.

      Anna und Carl Wessely ließen ihr Kind nach altkatholischem Ritus in der Pfarre St. Salvator zu Wien auf den Namen Paula taufen. »Musste sie Paula heißen?«, wird Alfred Kerr 25 Jahre später schreiben, »nun, bitte das macht nichts«. Wir wissen nicht, was Berlins berühmtester Kritiker anlässlich der Aufsehen erregenden Premiere von Gerhart Hauptmanns Schauspiel Rose Bernd gegen den Namen Paula einzuwenden hatte, wir wissen nur, dass die Rezension, die dem Naserümpfen folgte, eine einzige Hymne war.

      Besagte Paula – die auch noch Maria und Anna hieß – verbrachte die Kindheit an der Seite ihrer Eltern und ihrer um sechs Jahre älteren Schwester Marie in warmer, ungetrübter Atmosphäre. Sie besuchte die Volks- und Bürgerschule, wurde als heiteres, ausgelassenes Kind, nicht jedoch als »Wunderkind« beschrieben. Paula war immer Klassenbeste, brachte nur »Einser« mit nach Hause. In der »Vorzugsschülerin« sieht ihre Tochter Christiane den Ursprung ihres großen Lebensproblems, das Jahrzehnte später auf die bereits berühmte Wessely zukommen sollte.

      CHRISTIANE HÖRBIGER: »Die Mama hat immer nur Einser gehabt, zuerst in der Schule, und das hat sich dann später fortgesetzt. Sie wollte in allem perfekt sein, in der Arbeit am Theater und beim Film, aber auch beim Aufbau ihrer Familie. Das ging so lange gut, bis man ihr nach dem Krieg ihre Mitwirkung an dem Propagandafilm Heimkehr vorhielt. Da ist sie dann zusammengebrochen.

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