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Die Hörbigers. Georg Markus
Читать онлайн.Название Die Hörbigers
Год выпуска 0
isbn 9783902998569
Автор произведения Georg Markus
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Bookwire
Vor allem erhoffte sie sich bessere und größere Rollen als bei ihren ersten Gehversuchen am Wiener Volkstheater. »Wenn ich was zu spielen hab, dann bin ich lieber in Prag, als dass ich in Wien spazieren geh«, wird sie im Wiener Tagblatt vom 2. September 1926, im wahrscheinlich ersten Interview ihres Lebens, zitiert. Zwar sind’s auch hier wieder vorwiegend harmlose Lustspiele, in denen sie ihr Können zeigt, aber Paula Wessely erkennt treffsicher: »Die Karrieren werden ja doch nur draußen gemacht« – womit sie, ohne es auszusprechen, »die Provinz« meinte, die damals tatsächlich die Voraussetzungen für ein Engagement auf einer der großen Bühnen in Wien und Berlin schuf. Kaum ein bedeutender Schauspieler, der nicht die beschwerlichen, aber lehrreichen Theaterstationen von Mährisch-Ostrau, Teplitz-Schönau, Gablonz, Reichenberg und Prag auf sich genommen hätte. So hatten sie alle begonnen, der Kainz, der Moissi, der Werner Krauß, die Elisabeth Bergner.
Wie schnell Paula Wessely in der tschechischen Metropole ihr Publikum eroberte, ist einem Kurzporträt der Illustrierten Zeit im Bild vom 15. Oktober 1926 zu entnehmen: »Es ist kaum ein Monat verflossen, seit sie an die Prager Bühne kam, und schon ist jeder, der Gelegenheit hatte, die junge Wienerin zu sehen, ihr unbedingter Verehrer geworden.«
CHRISTIANE HÖRBIGER: »Ich fuhr mit meiner Mutter im Herbst 1990, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, nach Prag. Es war ein wunderbares Erlebnis für sie, mit 83 Jahren noch einmal durch die Straßen zu gehen, die sie nur aus dem Blickwinkel einer 19-Jährigen gekannt hatte. Wir spazierten zum Haus der Familie Dittrich, in dem sie seinerzeit gewohnt hatte, und sie war glücklich, es nach so langer Zeit auf Anhieb gefunden zu haben. Dann gingen wir zum Deutschen Theater, vor dessen Bühneneingang immer noch die kleine Bank stand, auf der sich Schauspieler und Bühnenarbeiter zum Tratsch getroffen hatten. Ich bewunderte ihr Gedächtnis, sie erinnerte sich an zahllose Details, auch an ein Gastspiel Leo Slezaks, der aus Prag mit so vielen Koffern und Paketen abgereist war, dass er nicht ins Eisenbahncoupé hinein kam. Sie wusste sogar noch, dass der Theaterportier Podlesak hieß. Besonders berührte es sie, dass sie mit dem Theater jener Stätte wieder begegnet war, an der sie meinen Vater kennen gelernt hatte, der drei Jahre vor unserer Reise nach Prag verstorben war.«
Ihre zweite Premiere in Prag feiert die junge Paula Wessely mit dem Stück Kopf oder Schrift von Louis Verneuil, dem Schwiegersohn der großen Sarah Bernhardt. Sie spielt eine französische Studentin, die einen verarmten Grafen liebt, der – wie sich’s für ein Lustspiel geziemt – gar nicht so arm ist, wie er sagt. Max Brod schwärmt nach der Premiere im Prager Tagblatt von Paula Wessely, »die mit dem hohen und tiefen Register ihrer Stimme brillant operiert«, ehe er zu dem Schluss gelangt: »Nächstes Mal werde ich wohl schon ›die Wessely‹ schreiben.«
Sehr viele Gelegenheiten wird Max Brod nicht haben, in Prag über »die Wessely« zu schreiben. Denn diese muss bald wieder zurück nach Wien – nicht ohne vorher noch im Mittelpunkt eines richtigen kleinen Theaterskandals zu stehen: Rudolf Beer, der Direktor des Wiener Volkstheaters, hatte der »jugendlichen Salondame« ein Jahr Urlaub gewährt, in dem sie Prag einen Erfolg nach dem anderen bescherte. Doch statt der heimgekehrten Wessely nimmt Beer am 1. September 1927 einen Brief von seinem Kollegen Leopold Kramer in Empfang, in dem dieser mitteilt, er würde dem Volkstheater »60 000 Tschechenkronen Konventionalstrafe bezahlen, wenn Fräulein Wessely in Prag bleiben dürfte«.
Beer lehnt empört ab, denn er freut sich schon die längste Zeit darauf, die Wessely wieder im Ensemble zu haben. Noch dazu, da ihr »Marktwert« mittlerweile kolossal gestiegen ist, zumal sich ihre Prager Erfolge auch in Wien schon herumgesprochen haben. Als Elevin aus ihrer Heimatstadt weggegangen, kehrt sie als anerkannte Schauspielerin zurück. Und die neue Saison scheint sich gut anzulassen, sie spielt jetzt an der Seite des großen Albert Bassermann in Ibsens Die Frau vom Meer. Allerdings vertraut man ihr, abgesehen von dieser anspruchsvollen Aufgabe und der Rolle der Wendla Bergmann in Frank Wedekinds Frühlings Erwachen, wieder nur leichte Kost an, darunter Dover-Calais von Julius Berstl, ein Stück, in dem sie laut Kritik »im Badekostüm ebenso appetitlich aussieht wie in einer wunderschönen Toilette. Sie zeigt, wie man Charleston tanzt, und macht alle in sich verliebt«.
Das nächste Boulevardstück bringt eine Begegnung, die ihr fürs ganze Leben enorm wichtig sein wird. Man spielt auch am Wiener Volkstheater die Komödie Kopf oder Schrift, in der sie in Prag so gefiel, dass Max Brod fast schon »die Wessely« geschrieben hätte. Den gar nicht so armen Grafen, in den sie sich als Studentin zu verlieben hat, gibt jetzt ein attraktiver junger Mann namens Hans Jaray.
Der ist aber nicht nur attraktiv, sondern auch blitzgescheit, charismatisch und überaus sensibel. Er wurde übrigens am selben Tag desselben Jahres geboren wie Paulas erster Flirt, Siegfried Breuer – am 24. Juni 1906. Bald geht die gespielte Liebe zwischen Studentin und dem armen-reichen Grafen nahtlos ins Privatleben über. Paula Wessely und Hans Jaray sind ein Paar, ein auffallendes Paar noch dazu, über das man in Wien noch sprechen wird.
Die große Liebe ist die eine Sache, die ewig leichte Boulevardkost eine andere. Als dann auch noch die von der Direktion des Deutschen Volkstheaters bereits zugesagte Rolle der Jenny in Brechts Dreigroschenoper an ihr vorübergeht, kündigt Paula Wessely ihren Vertrag und geht zur Konkurrenz, zum Theater in der Josefstadt.
An jene traditionsreiche Wiener Bühne also, die seit fünf Jahren zum Imperium des Max Reinhardt gehört. Dieser hatte das alte – und wohl auch veraltete – Theater mithilfe seines Finanziers Camillo Castiglioni nach dem Vorbild des Teatro La Fenice in Venedig völlig neu adaptieren lassen. Die Bühne war wesentlich vergrößert, der alte Holzschnürboden entfernt und der eiserne Vorhang erneuert worden. Für besonderes Aufsehen bei den Wienern sorgte aber der riesige Luster aus Muranoglas, der am Beginn jeder Vorstellung unter dem langsamen Verlöschen der Lichter von der Höhe des ersten Rangs sechs Meter hinauf zur Decke entschwebte. Die Stunde nannte Reinhardts neue »Josefstadt« ein »Meisterwerk aus Geist und Seele, einen vornehmen, warmen, man möchte fast sagen wohnlichen Patriziersalon, in dem Theater gespielt wird«.
Und hier ist jetzt die Wessely. Reinhardts Bruder Edmund, der als kaufmännischer Leiter seiner Bühnen tätig war, und der Dramaturg Franz Horch, der 1937 die erste Wessely-Biografie schreiben sollte, hatten die Wessely im Volkstheater gesehen und ihr ein viel versprechendes Angebot unterbreitet, das sie jetzt annimmt.
Bald kommt es zur ersten Begegnung mit Max Reinhardt. Paula Wessely ist fasziniert von der Persönlichkeit, dem künstlerischen Genie, dem selbstsicheren Auftreten und der Aura, die »den lieben Gott des Theaters« umgibt. »Ich stand ihm zum ersten Mal im legendären Elferzimmer des Theaters in der Josefstadt gegenüber«, erzählte sie mir einmal. »Man hatte mich vorher darauf aufmerksam gemacht: Er bringt junge Schauspieler sehr gerne in Verlegenheit, indem er nichts sagt. Glücklicherweise hatte ich die Kraft, auch nichts zu sagen. So sind wir also eine Zeit lang stumm dagesessen. Dann hat er als erster geredet, mir ein paar Fragen gestellt – und von da an gehörte ich dem Theater in der Josefstadt an.«
Die Zeitungen überschlugen sich vor Begeisterung über »die jüngste Wiener Reinhardt-Schauspielerin«, die laut Reichspost schon in ihrer Antrittsrolle als Kiki in der gleichnamigen Komödie von André Picard »die Sensation des Abends« war. Alles scheint gut zu laufen, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Die Beziehung mit Hans Jaray wird intensiver. Daran ändert auch nichts, dass er immer noch am Volkstheater ist, sie aber schon an der »Josefstadt«.
MARESA HÖRBIGER: »Es war eine große Liebe, meine Mutter hat oft von ihm gesprochen und immer nur in den höchsten Tönen. Während jedoch mein Vater die Gabe besaß, sie aufzurichten, ihr