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rührte in dem Topf, ließ dann die Dorfjugend sich in einer Reihe anstellen und gab jedem Kind einen Löffel voll. Eintauchen, das nächste Kind. Alle waren hingerissen, auch meine Schwester und ich. Wann kriegte man damals schon gratis einen Löffel Schokolade!

      Ich war voll des Glücks und dachte, diese Akrimaner müssen ein tolles Volk sein, wenn die solche Sachen haben. Zu Hause berichtete ich strahlend meiner Mutter, was wir eben erlebt hatten. Von der Mutter kam keine Reaktion. Was hat sie denn?, dachte ich mir.

      »Moment«, sagte Mutter dann, »alle Kinder haben von einem Löffel gegessen?«

      Wir nickten und wurden daraufhin von ihr vergattert, das nie wieder zu tun. Es wäre überhaupt das Ansteckendste, wenn alle Dorfkinder von einem Löffel essen, das sei unvorstellbar. Was für Krankheiten könne man sich dabei holen! Wir waren natürlich richtig sauer, denn die nächste Schokolade wurde nämlich ohne uns verteilt.

      Ich erinnere mich auch noch daran, wie die Amerikaner eine Gruppe deutscher Offiziere abführten, die auch im Hotel logiert hatte. Vater hatte uns das gesagt; wir Kinder hatten keine Ahnung, was das für Leute waren. Für uns war zum Beispiel ein Kürzel wie SS so fremd wie »Akrimaner«. Die Offiziere hatten diese langen Ledermäntel an, in einem blassen, stählernen Blau. Das sah wahnsinnig militärisch und bedrohlich aus und hat mich doch irgendwie fasziniert. Nun wurden sie von den US-Soldaten auf einen Lastwagen verfrachtet, waren gezwungen, dort zu stehen, was den Herren wirklich contre cœur ging.

      Ich sehe noch, dass mein Vater dem Chef der Truppe, die aus fünf Mann und einem Major bestand, die Hand schüttelte und sagte, es sei halt so und alles Gute oder so ähnlich. Und dann waren die weg.

      Bald waren auch wir weg aus Sölden, wurden in Innsbruck einquartiert, am Hofgraben Nummer 5, im fünften Stock ohne Lift, wenn mich nicht alles täuscht. Die Familie Weigand hatte uns aufgenommen. Mutti Weigand besaß eine Parfümerie, sie hatte drei Töchter, ihr Mann lebte nicht mehr. Diese Frau war eine große Verehrerin meiner Mutter und nahm unsere ganze Familie bereitwillig auf, weil sie wegen der Größe der Wohnung ohnehin Einquartierungen annehmen musste. Wir hatten eineinhalb oder zwei Zimmer, waren aber im Haushalt integriert.

      Damals waren meine Eltern als Schauspieler noch nicht gesperrt und konnten am Innsbrucker Landestheater in Arthur Schnitzlers »Liebelei« spielen, meine Mutter die Christine, mein Vater den Fremden Herrn. Die Premiere war am 30. August 1945 und für Innsbruck eine Sensation. Erst danach erhielten meine Eltern für einige Monate Berufsverbot, weil sie in einem Nazi-Film mitgespielt hatten, in dem unseligen Propagandafilm »Heimkehr«. Das Verbot wurde aber erst nach der Rückkehr nach Wien erlassen. Noch wussten meine Eltern nicht, wer, wo, wie, wann, wofür und wie lange gesperrt werden würde, denn im Westen Österreichs waren Schauspieler, die in die Nazi-Propaganda involviert waren, noch nicht davon betroffen.

      Das Verbot stürzte meine Mutter in eine schwere Nervenkrise. Die Eltern litten tatsächlich Existenzängste. Meine Mutter hat später öfter gesagt: »Der Vater war ja viel länger gesperrt, ich war es nur ein Dreivierteljahr.«

      Über diese Aussage habe ich mich gewundert. Als ob das etwas zum Aufrechnen sei!

      Vom Beruf der Eltern wussten wir damals, wie gesagt, eigentlich noch gar nichts aus eigener Anschauung. Sie haben immer sehr darauf geachtet, dass wir mit dem Theater in keiner Weise in Berührung kommen, als ob es anrüchig wäre. Wir sahen nur Aufführungen wie Engelbert Humperdincks »Hänsel und Gretel« im Landestheater in Innsbruck. Da gab es eine Balletteinlage mit Tänzerinnen in Strumpfhosen – sie spielten Käfer, die auf dem Rücken lagen und strampelten, aber nicht alle im Rhythmus.

      In Innsbruck ging ich noch in die vierte Volksschulklasse; das Lernen dort war lustig für mich, denn jetzt fing das Lesen richtig an, in einer großen Stadt und bei Klosterschwestern, bei den Ursulinen am Innrain. Zu Weihnachten, als Bundeskanzler Leopold Figl nach dem verheerenden Krieg seine berührende Radioansprache an die Österreicher hielt, bekam ich Felix Saltens »Bambi« und ein abenteuerliches französisches Buch mit dem Titel »Marcel«, in das ich mich richtig einlebte, von dem ich auch träumte.

      Bei den Ursulinen gab es die erste Schwester Mechthild meiner Schulzeit, die zweite kam dann in Wien. In Innsbruck hatte diese Schwester Mechthild auch das Fach Handarbeiten, und das war unvergesslich. Wir mussten diese berühmten runden Deckerln häkeln. Bis heute häkle ich sehr gerne, wenn ich Zeit habe, und ich habe dies auch schon auf der Bühne getan, zuletzt in »Onkel Wanja« am Burgtheater. Anton Tschechow gibt die Anweisung: »Sie sitzt und strickt an ihrem Strumpf.« Da habe ich dem Regisseur Matthias Hartmann gesagt, das mache ich nicht, Stricken liegt mir nicht. Ich häkle. Ich glaube, er hat den Unterschied gar nicht gemerkt, aber irgendwie fand er das halt sehr professionell, was ich da hinten getan habe. Damit war ich aus dem Schneider, denn Schwester Mechthild hat es mir in Innsbruck wirklich gut beigebracht. Ich weiß es noch genau: weißes Häkelgarn, in Kinderhänden, die selten ganz sauber waren, weil Handarbeiten in der letzten Unterrichtsstunde stattfand. So wurde das gehäkelte Stück immer schwärzer.

      Die Mutti Weigand hat dieses geschwärzte Deckerl gesehen und gesagt, das mache gar nichts. Die Parfümeriechefin hat mir ein Packerl Seifen gegeben, die ich den Schwestern brachte. Mutti Weigand hat uns auch gezeigt, wie man das »Gwirks« wieder sauber kriegt, wenn man es kurz ins Wasser steckt. Das hatte ich mich ja zuvor nicht getraut: eine Schularbeit zu waschen. Am nächsten Morgen war das Ding trocken und sauber.

      Frau Weigand war wirklich eine Mutti für uns alle. Sie sorgte fürs leibliche Wohl von einem Baby, zwei Volksschulkindern, deren Cousine und zwei Schauspielern, die bald gesperrt sein würden.

      Grauenvoll ist mir in Innsbruck die Fortsetzung von allem in Erinnerung, was mit Mathematik zusammenhängt. Auch bei den Ursulinen blieb sie mir fremd. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mit mir am Nachmittag intensiv übte, so wie zuvor im Wald beim Beerenpflücken. Meine Schwester Christiane war ein bisschen besser als ich im Rechnen, aber eben auch nicht berühmt. Sie hat mich in dieser Hinsicht überhaupt nicht angestachelt.

      Meine Erfolgserlebnisse holte ich mir damals beim Schulaufsatz. In Deutsch fing es schon an mit dem Gut-Sein, früh entwickelte ich meine Leidenschaft fürs Lesen. Ich schnappte mir, was ich erwischen konnte, aber leider war in der Wohnung der Mutti Weigand am Innsbrucker Hofgarten hoch oben im fünften Stock die Literatur nicht besonders prominent vertreten.

      Kurz nach dem Krieg trat ein »Leutnant Gustl« in mein Leben. Er ist inzwischen leider auch schon tot, wie so viele aus dieser Zeit. Ich nannte ihn erst viel später nach der Figur von Arthur Schnitzler. Er hieß Gustav Breuer und stammte aus der großen Familie des Konrad Mautner. Der Gustl war nach New York emigriert, meldete sich im Krieg selbstverständlich zur US-Armee und kam zu jenen Truppen, die dann auch nach Österreich gelangten.

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      Vater lehrt Mutter Radfahren.

      Eines Tages hält vor dem Haustor am Hofgraben in Innsbruck ein Jeep mit zwei Amerikanern. Der Beifahrer steigt aus und fragt, ob die Frau Wessely hier wohne und der Herr Hörbiger. Auf jeden Fall erschien bei uns im fünften Stock ein GI, ein österreichischer Jude in voller Uniform mit einem Jeep und einem Fahrer. Wir kriegten Kaugummi und fanden das toll. Gustav hat wienerisch geredet, obwohl er wie ein »Akrimaner« angezogen war. Dieser Gustl hat meine Schwester und mich in den Jeep hineingepackt und ist mit uns durch Innsbruck gefahren. Was Besseres gab es gar nicht.

      Ich erinnere mich auch noch daran, dass viele marokkanische Soldaten auf den Parkbänken des Hofgartens mehr lagen als saßen, mit ihren Damen im Arm, ihren Bekanntschaften. Das nannte man Fraternisieren, wie ich später erfuhr. Für uns aber gab es Vorhaltungen von der Mutter: »Müsst ihr denn durch den Park gehen?«

      Also, was gefährlich oder interessant war, wurde weggeschoben, genauso wie das Theater. Erklärungen gab es dazu nicht, nur den erhobenen Zeigefinger, der uns beschied, wie leicht man ins Unglück oder sonst wohin geführt werden könnte.

      Meinem Leutnant Gustl bin ich dann einige Jahre später in den USA wieder begegnet, als ich für ein Jahr ein Stipendium für eine Schule für höhere Töchter in Washington D.C. erhalten

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