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Vorbehalte, die ich meinem hoffnungsfrohen Sohn entgegengehalten hatte. Ich erkenne inzwischen nämlich klar, wie sich ein Muster wiederholte.

      Wie bin denn ich zu meinem Beruf gekommen? Was haben meine Eltern dazu gesagt? Die Szene, in der ich ihnen beichte, dass ich nun doch auch ans Theater wolle, habe ich noch genau vor mir: ihre Ängste, ihre Vorbehalte, meine Hoffnung, die sich in diesem Moment des Geständnisses zu einem Hochgefühl entwickelt. Ich muss noch einmal lachen über diese Parallelaktion, die in meiner Erinnerung hochkommt.

      Es war wahrlich nicht leicht für mich, als Kind berühmter Schauspieler diesen Beruf zu wählen. Ich bin vor fast 60 Jahren wie eine Katze lange um den heißen Brei geschlichen. Meine ungeordneten Gedanken damals waren ungefähr diese: »Ich trau mich nicht. Ich weiß nicht. Sagt mir bitte jemand ehrlich, ob ich begabt bin oder nicht?«

      Ohne Ausbildung, dekretierten meine Eltern, sei dieser Beruf nichts. Dieses Gesetz erließen sie für ihre drei Töchter, obwohl mein Vater keine einzige Schauspielstunde gehabt hatte. Das sei doch ein ganz anderer Fall gewesen, in ganz anderen Zeiten, erwiderten sie auf meine Einwände. Und meine Mutter hatte sehr wohl eine Ausbildung, sie ließ das auch spüren, wenn sie über jene redete, die das nicht hatten.

      Während ich also noch überlegte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, war meine um zwei Jahre jüngere Schwester Christiane noch als Teenager »schwupstiwups« beim Film, und das nach kurzem Hineinschnuppern ins Max Reinhardt Seminar.

      »Uh«, dachte ich mir, »das ging aber schnell.« Sie durfte mit meinem Vater nach München zum Drehen fahren, in Begleitung der alten Kinderschwester. »Aber die Christiane hat ja gar keine richtige Ausbildung, und jetzt ist sie schon beim Film«, dachte ich mir, ganz streng nach der Argumentation unserer Mutter.

      Und ich? Irgendwie traute ich mich noch nicht, hatte Zweifel, obwohl ich mir genau ausmalte, wie es wäre, auf der Bühne zu stehen. Nein, von einem feurigen Erweckungserlebnis kann in meinem Fall keine Rede sein. Durch die beispielgebenden Eltern war mein späterer Beruf schon seines Unschuldszaubers verlustig gegangen. Stets hieß es, ich sei »das Kind von …«.

      Wahrscheinlich hat mich dieses Gerede sogar in meine erste Ehe getrieben, denn dadurch konnte ich endlich draußen sein aus dem Elternhaus. Also machte ich damals in Wien zuerst meine Matura. Ich kam tatsächlich mit Ach und Krach über meine Schwäche, die Mathematik, drüber, mit großer Hilfe unserer sehr strengen, aber gerechten Mathematikprofessorin, die wir alle wegen ihrer Weltlichkeit liebten. Von dieser Frau Professor Knopp reden meine Schulkolleginnen und ich heute noch mit Hochachtung.

      Die meisten Mitschülerinnen wussten nach der Reifeprüfung schon genau, was sie werden wollten – zum Vater in die Bank gehen oder gleich in ein riesiges Geschirrunternehmen heiraten. Die halbe Maturaklasse war bereits verlobt. Nur ich, so empfand ich es damals, hatte als Einzige keine Ahnung, was ich werden wollte. Anscheinend muss ich ein Spätzünder gewesen sein, jedenfalls war ich wohl behütet. Wir drei Hörbiger-Töchter hatten mit dem sogenannten Leben ganz wenig Verbindung. Träumerin war ich schon immer, aber damals nach der Matura war das Schauspiel weit weg von mir.

      Eines Tages sagte meine Mutter, sie wisse schon einen Beruf für mich: »Bei dir muss es etwas Künstlerisches sein, aber zugleich auch etwas Realistisches. Das ist wichtig fürs Leben, man muss ja Geld verdienen.« Das hat meine Mutter selbst immer gemacht, sie war stets selbstständig und hat ihre Töchter nie zum Heiraten erzogen und zum Kinderkriegen, sondern immer nur für einen Beruf. Ich bin ihr dankbar dafür, das war damals gar nicht selbstverständlich.

      Meine Mutter hatte in jungen Jahren sehr um ihren Beruf gekämpft, das gab sie ganz natürlich als Erbe an uns Mädeln weiter. Sie sorgte sich stets um unsere Zukunft. So lange ich mich erinnern kann, fiel immer wieder der schöne Satz der Mutter, der für mich und meine zwei Schwestern zu einer stehenden Redewendung wurde: »Wenn ihr so weiter machts, aus euch wird nie was.« Diesen Satz konnten wir über die Jahre noch häufig abwandeln. Wir hörten ihn zu verschiedenen Anlässen: »Aus euch wird nie was … wenn ihr die Fahrräder im Regen stehen lasst … wenn ihr heimlich in abgelegten Drehbüchern schmökert … wenn ihr die Türen immer zuhaut … wenn ihr freche Antworten gebt … wenn ihr bei Tisch lümmelt … wenn ihr im Kinderzimmer oben so herumtobt, dass unten bei mir im Schlafzimmer der Luster klirrt.«

      Später hat dann meine wunderbare Lehrerin am Max Reinhardt Seminar einen Komplementärsatz geprägt: »Es ist ein Wunder, dass aus euch das geworden ist, was aus euch geworden ist«, erklärte Susi Nicoletti, die sich selten ein Blatt vor den Mund genommen hat, mit Nachdruck. Sie war eine geniale Lehrerin. Fast nie hat sie den Humor verloren und in keiner Weise mit erhobenem Zeigefinger gearbeitet. Niemals.

      Wenn Mütterchen hingegen schimpfte, dauerte es immer recht lang. Daher schalteten wir zu Beginn der Suada meist schon ein bisschen ab. Uns zu bändigen, gelang immer dem Vater. Er hatte eine trickreichere Methode, spielte den Trauernden, den schwer mit uns Geschlagenen. Immer bin ich ihm senkrecht hereingefallen, wenn er etwa nach einer schlechten Mathematik-Schularbeit, die bei mir öfter vorkam, den bitter Enttäuschten und alles Wissenden vorspielte. Ich wusste zwar ganz genau, dass er im Rechnen als Schüler auch nicht so toll gewesen war, aber er konnte mir tatsächlich ein so schlechtes Gewissen machen, dass ich lernte.

      Ich habe den drohenden Einleitungssatz der Mutter, den ich zum Titel meiner Erinnerungen gemacht habe, später auch als Appell zur Selbstständigkeit verstanden. Denn er hat auch eine durchaus positive Bedeutung für mich, ich sehe meine Mutter als Vorbild. Es sollten nie abhängige Hausfrauen und Mütter aus uns werden, anzustreben waren Selbstständigkeit und Beruf. Ich weiß nicht, ob Mutter glücklicher gewesen wäre, wenn plötzlich eine gesagt hätte, ich werde Cellospielerin bei den Philharmonikern. Wahrscheinlich wäre sie bereits glücklich gewesen mit einem Sicherheit versprechenden Brotberuf. Sie war die Tochter eines Fleischhauers in der Sechshauser Straße im 15. Bezirk.

      Meine Mutter sagte mir also, ich müsse etwas Künstlerisches und zugleich etwas Praktisches machen; unterm Strich kam heraus, dass ich Filmcutterin werden sollte, bei der »Wien Film«. Man verdiene sogar Geld damit. Ich sagte Ja, und schon steckte ich in einem richtigen Arbeitsmantel, als ich in die Kopieranstalt in Grinzing eintrat, vom Vater begleitet. Der Chef war ein strenger, kleiner, mit bösartigem Blick gesegneter Mann. Ich kam in die Positivabteilung, denn die heiklen Negative durften Volontäre nicht angreifen.

      Den Arbeitsmantel habe ich lange gehabt, meine Mutter trug ihn schon im Film »Vagabunden« (1949). Er war extra für sie geschneidert worden und sollte weiß wirken. Weil aber Kameraleute reines Weiß hassen, muss man solch ein Kleidungsstück entweder in eine Blaulauge geben oder durch Tee ziehen. Der Arbeitsmantel, den meine Mutter als Ärztin in »Vagabunden« getragen hatte, war durch Tee gezogen worden, war also von einem undefinierbaren Beige. Ich hasste ihn, aber ich trug ihn brav, weil das eben Vorschrift war und meine Eltern in dieser Hinsicht sparsam waren. In diesem Falle zu Recht, denn das ganze Unternehmen als Cutterin stellte sich als nicht sehr ertragreich heraus, genauso wenig wie der erste Ehemann, der mir dazwischenkam. Doch das ist eine andere Geschichte, und eine sehr kurze.

      Bald wusste ich, dass Cutterin für mich kein Lebensberuf sein würde. Just zu dieser Zeit aber war ein Verehrer unterwegs und hat mich gefragt, was ich da eigentlich mache, beim Film. Dieser Herr meinte dann, als ich es ihm erklärt hatte, ich könnte genauso gut seine Frau werden, was ich dann auch nach einer längeren Phase der Verlobung wurde. Er hat befunden, ich solle etwas Praktisches lernen. Also schob ich die Kunst weg von mir, belegte einen Kurs für Stenografie und Maschinschreiben. Erst als ich bemerkte, dass dieses Praktische ein Fehler gewesen war, wurde der Brei, um den ich ging, wirklich heiß. Da sagte ich mir mit gerade 21 Jahren: »Elisabeth, du musst dich entscheiden. Jetzt heißt es: Spring!«

      Das ist im Nachhinein leicht gesagt. Wie bin ich also gesprungen? Es hatte bei mir auch etwas mit Emanzipation zu tun, so wie die Flucht in eine Ehe eine Form der Loslösung vom Elternhaus war. Ich empfand es besonders am Anfang bedrückend, ja belastend, dass meine Eltern berühmte Schauspieler waren, ja es schien uns Kindern, dass sie sowohl meinen beiden Schwestern als auch mir den Anfang versaut haben. Wir konnten eben nicht als unbeschriebenes Blatt beginnen, waren stets die Tochter eins, die Tochter zwei – hoppla, da ist doch noch eine! So ungefähr muss man sich unsere Ausgangssituation

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