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hat das Spi­tal denn so Furcht­ba­res?« frag­te die schreck­li­che Aqui­li­na. »Wenn wir we­der Müt­ter noch Gat­tin­nen sind, wenn das Al­ter uns schwar­ze St­rümp­fe auf die Bei­ne und Run­zeln über un­se­re Stir­nen zieht, wenn es al­les, was an uns Weib ist, welk macht und die Freu­de in den Bli­cken un­se­rer Freun­de aus­löscht, was kön­nen wir dann noch wei­ter wol­len? Von all un­se­rer jet­zi­gen Schön­heit seht ihr nur mehr ein Stück Dreck in uns, das auf zwei Bei­nen ein­her­schlot­tert, kalt, dürr und ent­stellt ist und im Ge­hen ra­schelt wie wel­kes Laub. Der schöns­te Putz wird uns zu Lum­pen, das Am­bra, das un­ser Bou­doir durch­duf­te­te, riecht nach Mo­der und Ver­we­sung; und wenn in die­sem Kot ein Herz steckt, so sprecht ihr alle ihm Hohn und ge­stat­tet uns nicht ein­mal die Erin­ne­rung. Ob wir also dann in ei­nem rei­chen Haus woh­nen und Hun­de war­ten oder im Spi­tal Lum­pen sor­tie­ren, ist un­ser Da­sein nicht ge­nau das­sel­be? Ob wir un­se­re wei­ßen Haa­re un­ter ei­nem rot-blau ka­rier­ten Ta­schen­tuch oder un­ter Spit­zen ver­ste­cken, ob wir die Stra­ße mit Ru­ten­be­sen oder die Stu­fen der Tui­le­ri­en mit At­las­schlep­pen fe­gen, ob wir an ver­gol­de­ten Ka­mi­nen sit­zen oder uns die Hän­de an ei­nem ir­de­nen Koh­len-Topf wär­men, dem Spek­ta­kel auf der Place de Grè­ve zu­schau­en oder in die Oper ge­hen: Ist das ein so großer Un­ter­schied?«

      »Aqui­li­na mia, nie­mals hast du in all dei­ner Verzweif­lung so recht ge­habt«, sag­te Eu­phra­sie; »ja, Kasch­mir, Spit­zen, Par­füms, Gold, Sei­de und Lu­xus, al­les, was glänzt, was ge­fällt, steht nur der Ju­gend gut. Die Zeit al­lein könn­te ge­gen un­se­re Tor­hei­ten recht be­hal­ten, aber das Glück spricht uns frei. – Sie la­chen über mei­ne Wor­te«, rief sie und lä­chel­te den bei­den Freun­den bos­haft zu; »habe ich nicht recht? Ich st­er­be lie­ber am Ver­gnü­gen als an ei­ner Krank­heit. Ich habe we­der die Ma­nie, lan­ge le­ben zu wol­len, noch großen Re­spekt vor der mensch­li­chen Gat­tung, wenn ich sehe, was Gott dar­aus macht. Gebt mir Mil­lio­nen, ich wer­de sie durch­brin­gen; nicht einen Cen­ti­me da­von wür­de ich für das nächs­te Jahr spa­ren. Le­ben, um zu ge­fal­len und zu herr­schen, das ist die Ma­xi­me, die je­der Schlag mei­nes Her­zens kund­gibt. Die Ge­sell­schaft pflich­tet mir bei; be­frie­digt sie nicht dau­ernd mei­ne Ver­gnü­gungs­sucht? Wa­rum läßt mir denn der lie­be Gott je­den Mor­gen zu­kom­men, was ich am Abend aus­ge­be? Wa­rum baut ihr uns Spi­tä­ler? Da er uns nicht die Wahl ge­las­sen hat zwi­schen dem Gu­ten und dem Bö­sen, da­mit wir wäh­len, was uns kränkt und wi­der­wär­tig ist, so wäre ich ja sehr dumm, wenn ich mich nicht amü­sier­te.«

      »Und die an­de­ren?« frag­te Émi­le.

      »Die an­de­ren? Nun, mö­gen sie doch nach ih­rer Fas­son se­lig wer­den! Ich will lie­ber über ihre Lei­den la­chen, als über mei­ne ei­ge­nen wei­nen zu müs­sen. Ich rate es kei­nem Mann, mir den ge­rings­ten Kum­mer zu­zu­fü­gen.«

      »Was hast du denn ge­lit­ten, um so zu den­ken?« frag­te Ra­pha­el.

      »Ich bin um ei­ner Erb­schaft wil­len ver­las­sen wor­den! Ich!« sag­te sie und nahm eine Hal­tung an, die alle ihre Rei­ze her­vor­tre­ten ließ. »Und da­bei habe ich Tag und Nacht ge­ar­bei­tet, um mei­nen Ge­lieb­ten zu er­näh­ren. Ich will auf kein Lä­cheln, auf kei­ne Ver­spre­chun­gen mehr rein­fal­len und aus mei­nem Le­ben eine lan­ge Ver­gnü­gungs­par­tie ma­chen.«

      »Aber«, rief Ra­pha­el aus, »kommt das Glück denn nicht aus der See­le?«

      »Nun«, er­wi­der­te Aqui­li­na, »ist es nichts, sich be­wun­dert, um­schmei­chelt zu se­hen, über alle Frau­en, selbst die tu­gend­haf­tes­ten, zu tri­um­phie­ren, sie mit un­se­rer Schön­heit, un­se­rem Reich­tum in den Schat­ten zu stel­len? Über­haupt, er­le­ben wir an ei­nem Tage nicht mehr als eine gute Bür­gers­frau in zehn Jah­ren? Und da­mit ist al­les ge­sagt.«

      »Ist eine Frau ohne Tu­gend nicht ver­ab­scheu­ungs­wür­dig?« ver­setz­te Émi­le, zu Ra­pha­el ge­wandt.

      Eu­phra­sie warf ih­nen einen Schlan­gen­blick zu und ant­wor­te­te mit un­nach­ahm­li­cher Iro­nie: »Die Tu­gend über­las­sen wir den Häß­li­chen und Buck­li­gen. Was wä­ren sie denn ohne die­se, die Ar­men?«

      »Schweig!« rief Émi­le, »sprich nicht von Din­gen, die du nicht kennst.«

      »So! Ich ken­ne sie nicht!« rief Eu­phra­sie. »Sich sein gan­zes Le­ben lang ei­nem ver­haß­ten Men­schen hin­ge­ben, Kin­der auf­zie­hen, die einen ver­las­sen, und ih­nen auch noch Dan­ke sa­gen, wenn sie einen ins Herz tref­fen: das sind die Tu­gen­den, die ihr von der Frau ver­langt; und um sie für ihre Ent­sa­gung zu be­loh­nen, legt ihr ihr neue Lei­den auf, in­dem ihr sie zu ver­füh­ren sucht; wi­der­steht sie, so kom­pro­mit­tiert ihr sie. Ein schö­nes Le­ben! Nein, lie­ber doch frei blei­ben, die lie­ben, die uns ge­fal­len, und jung ster­ben.«

      »Fürch­test du denn nicht, da­für ei­nes Ta­ges zah­len zu müs­sen?«

      »Nun«, ant­wor­te­te sie, »statt mei­ne Freu­den mit Leid zu mi­schen, wird mein Le­ben in zwei Hälf­ten zer­teilt: eine ge­wiß fröh­li­che Ju­gend und ein wer weiß wie un­ge­wis­ses Al­ter, wo ich nach Be­lie­ben lei­den kann.«

      »Sie hat nie ge­liebt«, sag­te Aqui­li­na mit dunk­ler Stim­me. »Sie hat nie­mals 100 Mei­len zu­rück­ge­legt, um mit tau­send Won­nen einen Blick zu er­ha­schen und ein ›Nein‹ zu hö­ren; sie hat ihr Le­ben nie an ein Haar ge­hängt, hat nicht so­und­so vie­le Män­ner nie­der­ste­chen wol­len, um ih­ren Herrn, ih­ren Herr­scher, ih­ren Gott zu ret­ten. Für sie war die Lie­be ein hüb­scher Oberst.«

      »Haha! La Ro­chel­le!« er­wi­der­te Eu­phra­sie. »Die Lie­be ist wie der Wind, wir wis­sen nicht, wo­her sie kommt. Im üb­ri­gen, wenn ein Tier dich sehr ge­liebt hät­te, wür­dest du die ver­nunft­be­gab­ten Men­schen ver­ab­scheu­en.«

      »Das Ge­setz ver­bie­tet uns, Tie­re zu lie­ben«, ver­setz­te die große Aqui­li­na spöt­tisch.

      »Ich glaub­te, du seist nach­sich­ti­ger ge­gen das Mi­li­tär!« rief Eu­phra­sie la­chend.

      »Wie glück­lich sind die Frau­en, daß sie sich so ih­rer Ver­nunft ent­äu­ßern kön­nen!« rief Ra­pha­el aus.

      »Glück­lich?« frag­te Aqui­li­na, lä­chel­te mit­lei­dig und ent­setzt und warf den bei­den Freun­den einen furcht­ba­ren Blick zu. »Ach! ihr wißt nicht, was es heißt, mit ei­nem To­ten im Her­zen zum Ver­gnü­gen ver­dammt zu sein.«

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