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tanzt!«

      »Nach Ih­rer Mei­nung wäre ich also ein Dumm­kopf?«

      »Im Ge­gen­teil, Sie ver­ste­hen mich bloß nicht.«

      »Bil­dung, schö­ner Un­sinn! Mon­sieur Hei­nef­fet­ter­mach gibt die Zahl der ge­druck­ten Bü­cher mit mehr als ei­ner Mil­li­ar­de an, und das Le­ben ei­nes Men­schen er­laubt ihm nicht, 150 000 da­von zu le­sen. Er­klä­ren Sie mir also, was das Wort ›Bil­dung‹ be­deu­tet? Für die einen be­steht die Bil­dung dar­in, die Na­men des Pfer­des von Alex­an­der, der Dog­ge Be­re­cil­lo, des Seigneur des Ac­cords zu ken­nen, und von dem Man­ne nichts zu wis­sen, dem wir das Flö­ßen des Hol­zes oder das Por­zel­lan ver­dan­ken. Für die an­de­ren ist ›ge­bil­det sein‹ ein Te­sta­ment ver­bren­nen und als ge­ach­te­te, an­ge­se­he­ne Leu­te zu le­ben, an­statt rück­fäl­lig zu wer­den, eine Uhr zu steh­len und mit den fünf er­schwe­ren­den Um­stän­den ent­ehrt und ge­haßt auf der Place de Grè­ve zu en­den.«

      »Wird Na­than über­dau­ern?«

      »Nun, sei­ne Mit­ar­bei­ter ha­ben sehr viel Geist.«

      »Und Cana­lis?«

      »Das ist ein großer Mann, re­den wir nicht mehr von ihm.«

      »Ihr seid be­trun­ken!«

      »Die un­mit­tel­ba­re Fol­ge ei­ner Kon­sti­tu­ti­on ist die Ver­fla­chung der Geis­ter. Küns­te, Wis­sen­schaf­ten, Bau­wer­ke, al­les wird von ei­nem ent­setz­li­chen Ego­is­mus, der Le­pra un­se­rer Zeit, zer­fres­sen. Eure 300 Bür­ger, die auf Bän­ken hocken, wer­den nur dar­an den­ken, Pap­peln zu pflan­zen. Der Des­po­tis­mus ver­rich­tet il­le­gal große Din­ge, die Frei­heit macht sich nicht ein­mal die Mühe, sehr klei­ne auf le­ga­le Wei­se zu tun.«

      »Eure all­ge­mei­ne Bil­dung fa­bri­ziert 100-Sous-Stücke aus Men­schen­fleisch«, un­ter­brach sie ein An­hän­ger des Ab­so­lu­tis­mus. »Die In­di­vi­dua­li­tä­ten ver­schwin­den bei ei­nem Volk, das durch Bil­dung ni­vel­liert ist.«

      »Ist es denn aber nicht der Zweck der Ge­sell­schaft, ei­nem je­den den Wohl­stand zu ver­schaf­fen?« frag­te der Saint-Si­mo­nist.

      »Wenn Sie 50 000 Li­vres Ren­te hät­ten, wür­den Sie nicht ans Volk den­ken. Wenn Sie von ei­ner so ed­len Lei­den­schaft für die Mensch­heit er­grif­fen sind, ge­hen Sie nach Ma­da­gas­kar: dort fin­den Sie ein ganz neu­es net­tes klei­nes Volk, was Sie noch saint-si­mo­ni­sie­ren, klas­si­fi­zie­ren, in Glas­ge­fäße sper­ren kön­nen; aber hier hat je­der sei­ne Hül­le, in die er ganz na­tür­lich hin­ein­paßt wie ein Pfropf ins Spund­loch. Die Por­tiers sind Por­tiers, und die Tröp­fe sind Tröp­fe, ohne erst von ei­nem Bi­schofs­kol­le­gi­um dazu er­nannt zu wer­den. Haha!«

      »Sie Sind Kar­list!«

      »Wa­rum nicht? Ich lie­be den Des­po­tis­mus. Er zeugt von ei­ner ge­wis­sen Ver­ach­tung der mensch­li­chen Ras­se. Ich has­se die Kö­ni­ge nicht. Sie sind so spa­ßig. In ei­ner Kam­mer auf dem Thron zu sit­zen, drei­ßig Mil­lio­nen Mei­len von der Son­ne ent­fernt, ist das gar nichts?«

      »Fas­sen wir nun die­se große Über­sicht über die Zi­vi­li­sa­ti­on zu­sam­men«, sag­te der Ge­lehr­te, der zur Be­leh­rung des un­auf­merk­sa­men Bild­hau­ers ein Ge­spräch über den An­fang der Ge­sell­schaf­ten und die au­to­chtho­nen Völ­ker ge­führt hat­te. »Als die Völ­ker sich her­aus­bil­de­ten, war die Macht ge­wis­ser­ma­ßen ma­te­ri­ell, un­teil­bar und roh; mit der stän­dig wach­sen­den Zahl der Men­schen ha­ben die Re­gie­run­gen dann all­mäh­lich eine mehr oder we­ni­ger ge­schick­te Tei­lung der ur­sprüng­li­chen Macht vor­ge­nom­men. Im frü­hen Al­ter­tum herrsch­te die Theo­kra­tie; der Pries­ter führ­te das Schwert und das Weih­rauch­faß. Spä­ter gab es zwei hei­li­ge Äm­ter: den Pon­ti­fex und den Kö­nig. Heu­te, am End­punkt der Zi­vi­li­sa­ti­on, hat un­se­re Ge­sell­schaft die Macht den Ein­fluß­be­rei­chen ge­mäß auf­ge­teilt, und wir ha­ben nun Macht­grup­pen, die da hei­ßen: In­dus­trie, Ge­dan­ke, Geld, Wort. Die Macht, die kei­ne Ein­heit mehr hat, schrei­tet un­auf­hör­lich ei­ner so­zia­len Auf­lö­sung ent­ge­gen, der nur noch vom Ei­gen­nutz eine Schran­ke ge­setzt wird. Dem­nach stüt­zen wir uns we­der mehr auf die Re­li­gi­on noch auf die ma­te­ri­el­le Ge­walt, son­dern auf den Ver­stand. Wiegt das Buch das Schwert auf, das Wort die Tat? Das ist das Pro­blem.«

      »Der Ver­stand hat al­les ge­tö­tet!« rief der Kar­list. »Hö­ren Sie auf, die un­be­schränk­te Frei­heit führt die Völ­ker zum Selbst­mord, sie lang­wei­len sich in ih­rem Tri­umph wie ein eng­li­scher Mil­lio­när.«

      »Was sa­gen Sie uns Neu­es? Heut­zu­ta­ge fin­det man jeg­li­che Macht lä­cher­lich, und das ist eben­so üb­lich ge­wor­den, wie Gott zu leug­nen. Man hat kei­nen Glau­ben mehr. Da­rum ist auch das Jahr­hun­dert wie ein al­ter Sul­tan der Aus­schwei­fung er­le­gen. Schließ­lich hat euer Lord By­ron in letz­ter poe­ti­scher Verzweif­lung die Lei­den­schaft des Ver­bre­chens be­sun­gen.«

      »Wis­sen Sie«, ant­wor­te­te ihm der voll­trun­ke­ne Bian­chon, »daß uns ein Gran Phos­phor mehr oder we­ni­ger zum Ge­nie oder Bö­se­wicht, zum Mann von Geist oder zum Idio­ten, zum tu­gend­haf­ten Men­schen oder zum Ver­bre­cher macht?«

      »Kann man so von Tu­gend re­den?« rief Cur­sy; »der Tu­gend, dem Ge­gen­stand al­ler Thea­ter­stücke, der Lö­sung al­ler Dra­men, dem Fun­da­ment al­ler Ge­richts­hö­fe.«

      »Ach! schweig doch, du Esel! Dei­ne Tu­gend ist Achil­les ohne Fer­se!« sag­te Bi­xiou.

      »Wein her!«

      »Willst du wet­ten, daß ich eine Fla­sche Cham­pa­gner in ei­nem Zug aus­trin­ke?«

      »Welch ein Zug von Geist!« rief Bi­xiou.

      »Sie sind blau wie Fuhr­knech­te«, sag­te ein jun­ger Mann, der mit erns­ter Mie­ne sei­ner Wes­te zu trin­ken gab.

      »Ja, Ver­ehr­ter, die ge­gen­wär­ti­ge Re­gie­rung re­prä­sen­tiert die Kunst, die öf­fent­li­che Mei­nung herr­schen zu las­sen.«

      »Die öf­fent­li­che Mei­nung? Das ist doch eine ganz las­ter­haf­te käuf­li­che Dir­ne. Wenn man euch Män­nern der Moral und Po­li­tik zu­hört, so müß­te man stets eure Ge­set­ze der Na­tur, die öf­fent­li­che Mei­nung dem Ge­wis­sen vor­zie­hen. Geht mir, al­les ist wahr, al­les ist falsch! Wenn uns die Ge­sell­schaft die Dau­nen zu Kopf­kis­sen gab, so hat sie die­se Wohl­tat si­cher­lich durch die Gicht quitt ge­macht, so wie sie uns die Pro­zeß­ord­nung zur Ein­schrän­kung der Ge­rech­tig­keit und den Schnup­fen als Fol­ge­er­schei­nung des Kasch­mir­schals ge­bracht hat.«

      »Un­ge­heu­er!« rief Émi­le und un­ter­brach den Men­schen­feind, »wie kannst du die Zi­vi­li­sa­ti­on an­ge­sichts die­ser Wei­ne, die­ser köst­li­chen Spei­sen, mit de­nen du dich voll­ge­schla­gen hast, schmä­hen? Friß die­ses Reh samt den ver­gol­de­ten Läu­fen und Hör­nern, nicht aber dei­ne Mut­ter.«

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