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große Coda an, nicht ohne daß das orchestrale Grundmotiv des ganzen Allegros

      auch in ihrem Verlauf wiederkehrte. Das ist ein Aufbau, der Mozarts Formgefühl ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Er schuf sich damit eine musikalische Form, die durch sich selbst wirkte und neben dem Vorteil leichter Übersichtlichkeit auch noch den weiteren hatte, daß sie dem Komponisten das Eingehen auf die einzelnen Gedanken des Textes bedeutend erleichterte. Auch das Prinzip der durchgehenden Orchestermotive ist strenger durchgeführt als früher, das Motiv des Kyrie

      erscheint sogar im zweiten Teil des Dona wieder – der erste Versuch Mozarts, Anfangs- und Schlußsatz der Messe motivisch miteinander zu verbinden; allerdings handelt es sich bei allen diesen Motiven um Gebilde von recht wenig kirchlichem Gepräge; sie sind mehr in der Buffooper zu Hause als in der Kirche, ein Zug, der freilich der gesamten neapolitanischen Messe jener Zeit zu eigen ist. Überhaupt ist das Gleichgewicht zwischen Gesang und Orchester, besonders in den homophonen Partien, gegenüber der letzten Messe wieder beträchtlich zuungunsten der Singstimmen verschoben: manchmal klingen sie dem Orchestersatz gegenüber geradezu wie bloße harmonische Füllstimmen, wie z.B. beim Beginn des Gloria; in andern Sätzen, wie dem "Et in spiritum sanctum" und "Benedictus", wird hinsichtlich des thematischen Materials zwischen beiden kaum ein Unterschied gemacht. Nur das Agnus macht eine Ausnahme, es ist aber auch seiner Auffassung nach von den früheren Kompositionen dieses Textes verschieden, obwohl es die Zweiteilung mit Tempogegensatz festhält. Der schwere Gefühlsdruck weicht einer innigen, kindlichen Bitte, das "Dona" aber ist ein streng kontrapunktischer Satz der vier Singstimmen, der von einem kurzen, beständig in Imitationen geführten Gegenmotiv begleitet wird und in eine überschwengliche, homophone Coda ausläuft, nicht ohne daß am Ende die Wiederkehr des kontrapunktischen Themas auch hier den Kreis schlösse.

      Damit stehen wir vor dem letzten Merkmal, das diese Messe von den früheren unterscheidet und auf die folgende F-Dur-Messe vorausweist: dem weit größeren Anteil des Kontrapunkts. Freilich handelt es sich dabei nicht um ein Zurückgreifen auf den Brauch älterer Zeiten, wo der Kontrapunkt den ganzen Stil durchdrang. Auch jetzt bleibt er innerhalb des im wesentlichen homophonen Kunstwerks auf die herkömmlichen Partien beschränkt und trägt nur Episodencharakter. Aber wo er auftritt, handelt es sich nicht um schüchterne imitatorische Ansätze, sondern um breit ausgeführte Gebilde, wie z.B. gleich im Mittelsatz des Kyrie57. Hierin wird man wohl nicht mit Unrecht Mich. Haydns Einfluß erblicken dürfen. Auch im Ausdruck zeigen diese Partien einen ganz wesentlichen Fortschritt: vor allem ist die alte, trockene Scholastik einem freieren und namentlich gesangsmäßigeren Geiste gewichen, der unverkennbar auf die Lehrzeit bei Padre Martini hinweist.

      In der Textauffassung im einzelnen hat sich wenig geändert, nur daß, wie schon bemerkt, alle Gegensätze einen leiseren Charakter tragen. Die mystischen Klänge des "Et incarnatus" führen diesen Satz hoch über das Krippenbild der letzten Messe hinaus, dagegen ist auch hier das "Et in spiritum sanctum", obwohl es vom ganzen Ensemble gesungen wird, der leichteste und opernhafteste Teil der ganzen Messe. Dafür ist das – ebenfalls dreiteilige – "Benedictus" diesmal herber ausgefallen, vor allem dank der imitatorischen Führung der Geigen und den Vorhalten in den Oboen. Zu den am wenigsten eigentümlichen Teilen gehört auch hier, wie in der Mehrzahl dieser Jugendmessen, Sanctus und Osanna.

      Die am 24. Juni 1774 komponierte F-Dur-Messe (K.-V. 192, S.I. 6), die vielen als der Höhepunkt von Mozarts Jugendmessen gilt58, geht, was die motivische Einheit der einzelnen Stücke und die Verstärkung des kontrapunktischen Elementes anbetrifft, weit über alles bisherige hinaus, schlägt aber dafür nach anderen Richtungen hin wieder Pfade ein, die man nach dem Vorhergehenden nicht erwartete. Rein äußerlich fällt das Zurückgehen auf das alte Orchester der d-Moll-Messe, zwei Violinen, Baß und Orgel auf. Das bedeutet nicht allein einen Verzicht auf ein glänzendes äußeres Gewand, sondern ein Zurücktreten der Instrumente überhaupt, also einen starken Rückschlag gegenüber dem in den letzten Messen geübten Brauch, womit freilich nicht gesagt ist, daß das Orchester jetzt wieder auf die einfache Aufgabe des Verdoppelns und Füllens zurückgeführt wäre.

      Das Kyrie ist wieder ein Sonatensatz mit zwei Themen, Durchführung (Christe) und Reprise. Doch ist schon hier das Streben nach motivischer Einheit besonders deutlich: das zweite, vom Solosopran angestimmte Thema hat das erste Chorthema im Orchester als Begleiter, im Christe aber bestreiten Chor und Orchester ihr Gedankenmaterial aus dem Orchestervorspiel des Ganzen, ein Beweis dafür, daß Mozart wiederum zwischen vokaler und instrumentaler Thematik nicht unterscheidet, oder besser gesagt, den Gesang einfach den beiden instrumental erfundenen Themen anpaßt, die zudem ein recht wenig kirchliches Gepräge tragen:

      Dagegen schlägt das Gloria gleich zu Anfang ganz andere Töne an. Gleich himmlischen Herolden beginnen die Chorsoprane mit einem Thema voll verklärtem Überschwang:

      das auch wegen der ausdrucksvollen und doch zurückhaltenden Begleitung wichtig ist: ihm antworten alsbald – ein früher an dieser Stelle nie gekannter Gegensatz bei Mozart – die kanonisch geführten Soli mit einem Motiv von echt Mozartscher Süßigkeit59:

      Das sind die beiden Hauptgedanken (a und b), die im Wechsel mit verschiedenen Episoden, variiert und durch die vier Stimmen hinwandelnd, den ganzen Satz beherrschen, der somit folgende Form aufweist: a-b-c (Episode "Laudamus" bis "gratias", mit Orchestermotiv aus a)-a-b-d(Episode "Domine fili," mit demselben Orchestermotiv)-a-b-e (Episode "Qui tollis", ebenso)-f (Episode "Quoniam" mit einzelnen Anklängen an frühere Orchestermotive)-g (Fugato des "Cum sancto spiritu", selbständig)60-b-a. Also auch hier wieder jene freie Rondoform, die es Mozart ermöglicht, den Grundcharakter seliger Träumerei festzuhalten und dabei doch die Regungen der Wehmut ("qui tollis") und Kraft zu Worte kommen zu lassen. Das alles entquillt der Phantasie des Meisters mit wunderbarer Leichtigkeit und trägt den unverkennbaren Stempel seines Genius.

      Noch einheitlicher ist das Credo, das seiner Form nach unter Mozarts sämtlichen Messen ganz allein dasteht. Denn hier läuft in zwölfmaliger Wiederholung ein Hauptmotiv durch, das nicht allein die musikalische Gestaltung durchaus beherrscht, sondern auch die dichterische insofern in Mitleidenschaft zieht, als es mit seiner Textgrundlage, dem ein oder mehrere Male wiederholten Worte Credo, den Text immer wieder parenthesenartig unterbricht. Auch wird es außerdem noch Sätzen zugrunde gelegt, die früher motivisch selbständig waren, wie dem "Crucifixus", "Confiteor" und "Et vitam". Es stammt aus der Liturgie, nämlich aus dem Beginn der Intonation des Magnificat im dritten Ton oder des Gloria:

      Der Kirchenmusik war es seit den Tagen der Niederländer wohl vertraut61 und gerade zu Mozarts Zeit drang es auch in die weltliche Musik ein62; ihn selbst hat es sein ganzes Schaffen hindurch bis zur großen C-Dur-Sinfonie begleitet63. Dieses Motiv beherrscht unseren Satz so vollständig, daß alle andern Gedanken, auch die, die früher zu breiten, selbständigen Bildern ausgeführt worden waren, wie das "Et incarnatus", "Et resurrexit", "Et in spiritum", nur flüchtigen Episodencharakter tragen. Noch ganz am Schluß setzt es sein Siegel unter das Ganze. Überhaupt kennt dieses Credo noch weniger Wortwiederholungen als das damit schon sehr sparsame Gloria und unterscheidet sich schon dadurch scharf von seinen Vorgängern. Selbst die beiden unvermeidlichen Fugensätze am Schluß des Gloria und Credo sind auf einmalige Durchführung ihrer Themen zusammengeschrumpft. Darin liegt abermals ein Zurückgreifen auf das ältere Ideal, dem der Anschluß an den Text alles galt, und ebenso gemahnt an die ältere

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