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Stunden auf Sternberg angekommen war – und er wusste, wie wichtig es war, bestimmte Dinge gleich am Anfang zu klären. Wenn sie sich einbildete, sie könnte ihm hier auf der Nase herumtanzen, weil ihre Eltern mit der Familie von Kant befreundet waren, dann musste er ihr diese Idee möglichst schnell austreiben.

      »Was kannst du?«, fragte er, während sie den Hof überquerten.

      »Was meinen Sie damit?«, fragte sie zurück. »Ich kann reiten und mit Pferden umgehen – mehr muss ich ja wohl nicht können, um hier ein Praktikum zu machen, oder?«

      »Du musst einiges mehr können«, bemerkte er gelassen. »Reiten und mit Pferden umgehen kann hier jeder. Verstehst du? Ohne Ausnahme jeder.«

      »Aber nicht so gut wie ich«, trumpfte Julietta auf.

      »Sei dir nur nicht zu sicher«, warnte Robert. Sie betraten den ersten Stall, und er beobachtete Juliettas Reaktion aus den Augenwinkeln. Sie war gebührend beeindruckt – gut so! An der Art und Weise, wie sie sich jetzt der ersten Box näherte, sah er, dass sie tatsächlich mit Pferden umgehen konnte. Immerhin ein Pluspunkt, vermutlich der einzige, er machte sich in dieser Hinsicht keine Illusionen. Sie würde sofort anecken mit ihrer hochfahrenden Art, er war gespannt auf die Reaktion der anderen Pferdepfleger, wenn er sie vorstellte.

      »Du musst zum Beispiel mit deinen Kolleginnen und Kollegen auskommen«, fuhr er fort. »Die arbeiten alle hart und erwarten von dir, dass du das auch tust. Was weißt du über die Pflege von Pferden? Über ihre Nahrung? Über das, was sie brauchen, um sich wohlzufühlen?«

      Es stellte sich schnell heraus, dass Julietta nur über begrenzte Kenntnisse verfügte – genauso hatte er sich das vorgestellt. Sie ritt wahrscheinlich leidenschaftlich gern und auch sehr gut, sie hatte eine natürliche Begabung im Umgang mit Pferden, aber um alles, was mühsam zu lernen war oder Anstrengung bedeutete, hatte sie bisher einen großen Bogen gemacht.

      »Du bist morgen zum Frühdienst eingeteilt«, sagte er, als sie sich dem zweiten Stall näherten. »Und zwar deshalb, weil ich dann ebenfalls anwesend sein werde und dich einweisen kann. Später wird das unser erster Pferdepfleger übernehmen, aber morgen kümmere ich mich persönlich um dich.«

      »Frühdienst?«, fragte Julietta misstrauisch. »Ich bin eine Nachteule, ich arbeite lieber abends.«

      »Es geht leider nicht danach, was du am liebsten machst«, erklärte Robert. »Die Pferde müssen versorgt werden, und da ist jeder mal mit dem Frühdienst dran. Sei froh, du machst das ja nur eine Woche, dann hast du es erst einmal hinter dir, weil es jemanden anders trifft. Wir treffen uns um fünf Uhr in meinem Büro.«

      Julietta blieb stehen. »Spinnen Sie?«, fragte sie. »Da muss ich ja um halb fünf schon aufstehen.«

      »Wenn du noch einmal in einem solchen Ton mit mir sprichst, bist du schneller wieder draußen, als du es dir vorstellen kannst«, erwiderte Robert scharf. »Falls du es noch nicht begriffen hast: Ich bin hier dein Vorgesetzter und erwartet respektvolles Benehmen, so wie ich auch dich respektvoll behandele – obwohl ich mich allmählich frage, womit du das eigentlich verdienst, so wie du dich aufführst.«

      Sie hatte eine hitzige Erwiderung auf der Zunge, das sah er, doch sie bezähmte sich. Immerhin, dachte er, sie gibt sich Mühe, das spricht für sie. Milder setzte er hinzu: »In diesem Stall stehen die Pferde, die wir demnächst verkaufen werden.«

      Der Anblick der wundervollen Pferde half Julietta, ihre Fassung zurückzugewinnen. Sie war sich nicht bewusst, dass Robert Wenger sie die ganze Zeit beobachtete, und erst recht ahnte sie nicht, dass sein Urteil über sie viel milder ausfiel, als er es zunächst selbst angenommen hatte. Die Liebe zu den Pferden war ihr so deutlich anzusehen, dass der gestrenge Stallmeister beschloss, der jungen Dame einiges nachzusehen, bevor er den Baron bitten würde, sie zu ihren Eltern zurückzuschicken.

      Sie hatte einen guten Kern, das war mehr, als er erwartet hatte.

      *

      »Ich fahre in dieser speziellen Situation nicht gern weg, Sofia«, sagte der Baron, »aber ich will versuchen, diesen jungen Hengst zu kaufen, von dem ich dir erzählt habe, Silberstern. Die Gelegenheit ist günstig, die sollte ich nicht versäumen.« Er zog sie in seine Arme. »Bis jetzt lief es doch einigermaßen mit Julietta, oder?«

      »Das kann man so eigentlich nicht sagen«, murmelte die Baronin. »Sie lässt es gegenüber den Angestellten an Respekt fehlen, Fritz, und ich schäme mich für ihr Benehmen. Wir können niemanden einladen, so lange sie am Tisch herumlümmelt wie in einer miesen Dorfkneipe. Sie scheint es nicht einmal zu merken, dass sie die Einzige ist, deren Arm auf dem Tisch liegt, die schlürft und schmatzt und die Getränke hinunterschüttet, als wäre es Wasser. Ich weiß nicht, wie Caro und Bert das ausgehalten haben – sie müssen es doch tagtäglich vor Augen gehabt haben. Und ich mag sie nicht dauernd maßregeln wie ein kleines Kind, das ist mir selbst peinlich. Gestern hat sie ein Messer abgeleckt, ob du es glaubst oder nicht.«

      »Tatsächlich? Das glaube ich dir nicht, das hast du erfunden.«

      »Habe ich nicht«, erklärte sie niedergeschlagen. »Wenn ihre Eltern nicht unsere Freunde wären und wenn ich nicht Mitleid mit ihnen hätte, dann würde ich sie zurückschicken, Fritz. Es ist nicht unsere Aufgabe, das nachzuholen, was Caro und Bert versäumt haben.«

      »Sie haben es sicherlich nicht versäumt«, entgegnete er. »Und ich könnte schwören, dass Julietta genau weiß, was höfliches Benehmen ist. Vielleicht hat sie es vergessen, weil sie es so lange schon nicht mehr geübt hat, aber im Prinzip weiß sie es. Sie probiert aus, wie weit sie gehen kann.«

      »Wie ein kleines Kind«, murmelte Sofia. »Das ist doch nicht zu fassen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass sie allmählich den Spaß daran verliert, weil sie eher Verständnislosigkeit als Empörung hervorruft.«

      »Siehst du? Den Eindruck hatte ich auch. Und sie ist noch nicht einmal eine Woche bei uns.«

      »Was sagt denn eigentlich Herr Wenger über sie?«

      Der Baron lächelte. »Er ist wild entschlossen, ihr eine Chance zu geben, obwohl sie seine Geduld schwer auf die Probe stellt.«

      »Und warum ist er trotzdem so entschlossen?«

      »Er denkt, sie hat einen guten Kern – und das denke ich auch, Sofia.«

      Die Baronin dachte über diese Worte nach, dann gab sie ein wenig widerwillig zu: »Na ja, wenn ich ehrlich sein soll, ich denke es auch, Fritz.«

      Er gab ihr einen Kuss. »Dann sind wir uns ja einig, Liebste«, sagte er erleichtert. »Ich bleibe höchstens drei Tage weg, in der Zeit wird schon nichts Besonderes passieren.«

      »Hoffentlich«, murmelte Sofia.

      *

      »Mach mal ein bisschen schneller, Julietta«, sagte Patrick Kleber, einer der Pferdepfleger. »Du kannst dich nicht in jeder Box eine halbe Stunde aufhalten, wir müssen sehen, dass wir mit der Arbeit fertig werden!«

      Sein Ton war freundlich, aber entschieden. Der Stallmeister hatte ihn angehalten, die Neue ein bisschen im Auge zu behalten, und natürlich wussten sie alle längst, dass Julietta von Barrentrop drüben im Schloss in einer Gästesuite wohnte – sie war also etwas Besonderes. Andererseits machte sie hier ein Praktikum, an das sich eine Ausbildung anschließen sollte, wenn sich erwies, dass sie das Zeug dazu hatte, und sie wurde vom Stallmeister behandelt wie alle anderen auch. Es hatte leises Gegrummel gegeben an ihrem ersten Tag, aber dann hatten sie es gemacht, wie sie es bei allen Neuen machten: Erst einmal gucken, dann handeln.

      Julietta konnte mit Pferden umgehen, sie ritt ausgezeichnet – und das war auch schon alles, was man an Gutem über sie sagen konnte. Um unangenehme Arbeiten drückte sie sich gern, sie kam morgens regelmäßig zu spät und bildete sich ein, niemand würde es merken, vor allem aber hielt sie Abstand zu den anderen, was diese ihr am meisten ankreideten. War sie hochmütig? Dann hatte sie in den Ställen von Schloss Sternberg nichts zu suchen.

      »Ich mache, so schnell ich kann.« Juliettas Stimme klang genervt. Sie hatte nicht gut geschlafen, war zu spät wach geworden, hatte sich dann gleich

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