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einmal eine richtig große Gesellschaft auf Schloss Sternberg«, seufzte Marie. »Etwas, das mich herausfordert.«

      »Das kommt vielleicht schneller, als Sie denken, Marie.« Er wandte sich zum Gehen. »Die Frau Baronin und der Herr Baron sitzen noch in der Bibliothek, alle anderen haben sich bereits verabschiedet. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Marie, falls wir uns nicht mehr sehen.«

      »Gute Nacht, Herr Hagedorn.«

      Er eilte in die Bibliothek, musste aber feststellen, dass seine Dienste nicht gebraucht wurden, denn Sofia und Friedrich waren in ein intensives Gespräch vertieft. Dennoch dachte er nicht daran, sich bereits in seine Privaträume zurückzuziehen. Er war derjenige auf Schloss Sternberg, der als Letzter schlafen ging – so war es, seit er hier in Diensten stand, und so würde es bleiben.

      *

      Christian war noch mit auf Annas Zimmer gegangen, denn natürlich mussten sie über die veränderte Julietta reden, die sich ihnen an diesem Abend gezeigt hatte. Was war davon zu halten? Sie hatten eben begonnen, sich darüber auszutauschen, als es zaghaft an Annas Tür klopfte.

      Das konnte nur Herr Hagedorn sein, und so rief Anna: »Herein!«

      Doch sie und Christian erlebten eine Überraschung, denn als sich die Tür öffnete, stand nicht der Butler vor ihnen, sondern Julietta.

      Anna rutschte ein überraschtes »Oh!« heraus. Es war das erste Mal seit ihrer Ankunft auf Sternberg, dass Julietta an ihre Tür geklopft hatte. »Was …, ich meine, ist etwas passiert?«

      Christian betrachtete Julietta aufmerksam. Sie wirkte unglaublich verändert dadurch, dass sie ihre langen blonden Haare gewaschen und gekämmt hatte. Sie fielen ihr in lockeren Wellen bis auf die Schultern und verdeckten nicht, wie sonst, das halbe Gesicht. Es war ein bemerkenswert schönes Gesicht, das hatte er bereits während des Abendessens festgestellt.

      »Du hast mich ›Trampel‹ genannt«, erwiderte Julietta.

      Anna lief rosarot an, schaffte es aber trotzdem, angriffslustig zu reagieren.

      »Hast du uns belauscht?«, fragte sie.

      »Unfreiwillig, ja«, gestand Julietta. »Ich war schon öfter in dem alten Stall, weil man da ungestört ist.«

      »Deshalb gehen wir da auch hin«, warf Christian in dem Bemühen ein, der Situation ein wenig von ihrer Schärfe zu nehmen.

      »Jedenfalls war ich in der Nähe, als ich gemerkt habe, dass ich nicht allein bin. Ich wollte eigentlich gleich wieder gehen, bis ich meinen Namen hörte, da bin ich geblieben. Es war … ziemlich hart, wie ihr euch über mich geäußert habt.«

      »Willst du dich nicht setzen?«, fragte der kleine Fürst, bevor Anna etwas erwidern konnte. »Dann erklären wir dir, warum wir so über dich denken.«

      Julietta zögerte, nahm den Vorschlag dann aber an.

      Anna verzog das Gesicht, es war schließlich ihr Zimmer, und sie hätte Julietta von sich aus nicht zum Platznehmen eingeladen, doch sie leistete keinen Widerstand – es war ja jetzt sowieso zu spät. Sie sah keinen Anlass, etwas von ihren Worten zurückzunehmen, und so begann sie, Julietta zu erläutern, warum sie sich so geäußert hatte.

      Julietta hörte ihr schweigend zu. Eigentlich, stellte sie fest, unterschied sich das, was Anna jetzt sagte, nicht so sehr von dem, was sie sich schon oft von ihren Eltern hatte anhören müssen, und doch gab es einen Unterschied: Dieses Mal hörte sie freiwillig zu – ja, sie hatte, indem sie an die Tür von Annas Zimmer geklopft hatte, in gewisser Weise sogar um diese Erklärungen gebeten.

      »So, jetzt weißt du Bescheid«, sagte Anna endlich. »Und ich will dir noch was sagen: Ich hatte mich gefreut, dass du kommst, weil ich nämlich gern eine große Schwester hätte, mit der ich über Dinge reden kann, die man nur mit Frauen bespricht. Aber du hast von Anfang an klar gemacht, dass du mit uns überhaupt nichts zu tun haben willst. Du hast immer nur deine Rolle gespielt.«

      »Welche Rolle denn?«, fragte Julietta.

      »Na, die Frau, die sich an keine Regeln hält und sich deshalb nicht mal die Hände waschen muss, bevor sie sich zum Essen an einen Tisch setzt. Du kommst dir ganz toll und unabhängig vor, aber in Wirklichkeit bist du bloß rücksichtslos und egoistisch.«

      Christian sah, dass Julietta ziemlich blass um die Nase geworden war, und es kam ihm außerdem so vor, als hätte sie Mühe, die Tränen zurückzuhalten. »Das reicht jetzt, Anna«, sagte er ruhig. »Jetzt mach du nicht den gleichen Fehler und werde auch rücksichtslos.«

      »Wieso denn ich? Ich habe doch nur …«

      Christian unterbrach sie. »Julietta hat schon verstanden, dass wir einiges an ihr zu kritisieren haben.«

      Julietta wusste nur eins: Wenn sie nicht vor den beiden in Tränen ausbrechen wollte, dann musste sie jetzt gehen – und so sprang sie auf. »Stimmt, ich habe es verstanden«, sagte sie mit gepresster Stimme und ging eilig zur Tür. »Gute Nacht!«, murmelte sie, ohne Anna und Christian noch einmal anzusehen. Im nächsten Augenblick war sie auch schon draußen.

      »Tut mir leid, ich wollte sie doch nicht fertigmachen«, sagte Anna verlegen. »Ich habe mich nur die ganze Zeit so über sie geärgert, weil wir es so toll hätten haben können, während sie hier ist.«

      »Ich schätze mal, ganz so hat sie deine Worte nicht aufgefasst«, erwiderte Christian nachdenklich. »Eins steht jedenfalls fest, Anna, sie ist netter, als wir dachten, aber sie kann nicht so schnell aus ihrer Haut heraus.«

      Sie wechselten einen langen Blick. »Du meinst, wir sollen ihr ein bisschen helfen?«, fragte Anna.

      »Ja, ich schätze, das sollten wir tun«, erwiderte der kleine Fürst.

      *

      »Tut mir leid, dass ich Sie umsonst gerufen habe, Herr Doktor!«, sagte Robert Renninger. »Aber ich dachte, es geht los bei meiner zweiten Kuh.«

      »Macht nichts«, erwiderte Arndt, obwohl ihn der Anruf des Bauern zu nachtschlafender Zeit aus dem Tiefschlaf gerissen hatte. »Kann ja mal vorkommen.«

      Der alte Bauer grinste. »Aber besser nicht allzu oft, oder? Sonst stehen Sie die Vertretung nicht lange durch, Herr Doktor. Nichts für ungut. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Es ist jetzt vier, da lohnt es sich für mich sowieso nicht mehr, wieder ins Bett zu gehen.«

      »Für mich eigentlich auch nicht«, stellte Arndt bedauernd fest. »Wenn Sie einen Kaffee hätten?«

      »Und frische Brötchen!«, sagte Robert Renninger stolz.

      »Um diese Zeit? Das ist unmöglich!«

      »Eingefroren und frisch aufgebacken – speziell für harte Nächte wie diese, Herr Doktor.«

      Und so kam es, dass Arndt um halb fünf morgens in Bauer Renningers Küche saß und frühstückte. Er erfuhr viel Wissenswertes über die Arbeit von Dr. Küppers, über die Tiere der Umgebung – und über den Stolz aller Leute der Umgebung auf ›ihr‹ Schloss Sternberg und die Fürstenfamilie. »Dazu gehören jetzt natürlich auch die Barone von Kant«, sagte der Bauer nachdenklich, »weil sie ja unseren kleinen Fürsten aufziehen. Die machen das schon richtig, tolle Leute sind das, Herr Doktor, das dürfen Sie mir glauben.«

      »Baron von Kant habe ich gerade kennengelernt«, erzählte Arndt. »Er hat einen neuen Hengst gekauft, auf einer großen Auktion. Sympathischer Mann.«

      »SEHR sympathisch«, betonte Robert Renninger. »Unseren kleinen Fürsten kennen Sie also noch nicht?«

      »Nein, aber ich bin gespannt darauf, seine Bekanntschaft zu machen – ich hoffe, die Gelegenheit wird sich bald ergeben.«

      Gegen fünf Uhr verabschiedete sich Arndt. Er fühlte sich nach dem anregenden Frühstück trotz der zu kurzen Nachtruhe frisch und ausgeruht, ja, er freute sich sogar auf den vor ihm liegenden Tag.

      *

      Bettina von Barrentrop gab einer Laune nach, als sie einen Tag später auf dem Weg zu einer Freundin einen Abstecher

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