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durch.«

      »Der Herr Baron möchte sicherlich mit Ihnen sprechen, gnädige Frau, das bezweifele ich nicht, aber er müsste auch Zeit dazu haben«, erwiderte der Butler. »Er hatte mehrere Termine heute, bitte gedulden Sie sich einen Augenblick, ich werde ihn von Ihrem Anruf in Kenntnis setzen.«

      »Reden Sie immer so geschwollen daher?« Die junge Anruferin setzte zu einer erneuten Tirade an, die Eberhard Hagedorn jedoch nicht mehr hörte, da er den Knopf drückte, der ihn mit dem Büro von Baron Friedrich verband. Dieser fragte ihn gleich darauf: »Was gibt es denn, Herr Hagedorn? Ich bin mitten in einer Besprechung …«

      »Das ahnte ich, Herr Baron, aber Julietta von Barrentrop ist für Sie am Apparat, und sie hat es sehr dringend gemacht.«

      »Na gut, das kann ja nicht lange dauern, stellen Sie sie bitte durch!«

      Das tat der Butler, und fast bedauerte er es ein wenig, dass er das nun folgende Gespräch nicht hören konnte. Schmunzelnd machte er sich auf den Weg zur Küche. Sollte die junge Frau von Barrentrop tatsächlich, wie man hörte, einige Monate auf Sternberg verbringen, standen ihnen allen wohl interessante Zeiten bevor.

      *

      »Entschuldigen Sie mich einen Moment, Herr Hagen«, bat der Baron seinen Verwalter Volker Hagen, »aber dieses Gespräch muss ich schnell führen, es kann nicht lange dauern.«

      »Ich warte so lange draußen, Herr Baron.«

      Friedrich wollte Einspruch erheben, doch der Verwalter hatte das Büro bereits verlassen. »Onkel Fritz?«, klang eine ungeduldige Stimme an Friedrichs Ohr.

      »Hallo, Julietta«, erwiderte er.

      »Schafft euch mal einen besseren Butler an!«, sprudelte es aus ihr heraus. »Der wollte mich doch glatt abwimmeln, stell dir das mal vor!«

      »Er wusste, dass ich in einer Besprechung bin, Julietta, und deshalb wollte er mich nicht stören. Darf ich dich bitten, dich kurz zu fassen? Ich möchte meinen Verwalter nicht gern über Gebühr warten lassen. Also: Worum geht es?«

      »Oh.« Sie hatte offenbar mit einer anderen Reaktion gerechnet, fasste sich jedoch schnell wieder. »Ich wollte nur sagen, dass ich zu euch komme, in einer Woche.«

      »Du meinst, wenn es uns recht ist«, erwiderte Friedrich ruhig.

      Wieder entschlüpfte ihr ein erstauntes: »Oh«, dann setzte sie hinzu: »Aber ihr habt doch gesagt, dass ich bei euch als Praktikantin anfangen kann. Jedenfalls hat Papa das erzählt.«

      »Nur über den Beginn deiner Tätigkeit hatten wir uns noch nicht geeinigt. Aber wenn du sagst, dass du in einer Woche anfangen kannst, dann werde ich das so weitergeben an unseren Stallmeister – und auch an Sofia. Sollte uns ein späterer Beginn lieber sein, werden wir uns noch einmal melden. Und jetzt entschuldige mich bitte, wie gesagt, ich bin mitten in einer Besprechung. Grüß deine Eltern, Julietta, bis dann.« Mit einem Knopfdruck beendete Friedrich das Gespräch und rief Volker Hagen wieder zu sich.

      »Eine gute Nachricht, Herr Baron?«, fragte der Verwalter, als er Friedrichs Schmunzeln sah.

      »Wie bitte? Äh, nein …, nein, eigentlich nicht, Herr Hagen. Ich habe nur gerade versucht, einer jungen Dame mit Umgangsformen, die zu wünschen übrig ließen, eine kleine Lektion zu erteilen.«

      »Ihrem Lächeln nach zu urteilen muss es Ihnen gelungen sein.«

      »Wir werden sehen«, murmelte der Baron nachdenklich. »Weiter mit den notwendigen Reparaturen, Herr Hagen.«

      Sie beugten sich gemeinsam wieder über die Liste, die der Verwalter erstellt hatte. Sie war so lang, dass der Baron bei den Ausgaben, die in nächster Zeit auf sie zukamen, einen tiefen Seufzer unterdrücken musste.

      *

      Das Haus war voll an diesem Wochenende. Die Nachricht, dass die Jüngste für einige Monate als Praktikantin nach Sternberg gehen würde, hatte Juliettas Geschwister nach Hause eilen lassen.

      Der Älteste war Albert mit seinen sechsundzwanzig Jahren. Er würde das Haus eines Tages übernehmen und die Geschäfte seiner Eltern fortführen. Sein Betriebswirtschaftsstudium hatte er abgeschlossen, nun wollte er noch seinen Doktor machen. Albert war ein zurückhaltender junger Mann, der wenig redete, er hörte lieber zu. Ihm entging nur wenig, er war ein scharfer Beobachter und wohl auch deshalb derjenige unter den Geschwistern, denen sich die anderen am ehesten anvertrauten.

      Die Nächste war die vierundzwanzigjährige Bettina, eine blonde Schönheit mit zahlreichen Verehrern. Ihr Herz gehörte jedoch einem ihrer Lehrer an der Kunstakademie, der leider verheiratet war. Ihre Eltern hofften inständig, dass sie den Mann bald vergaß und sich in einen anderen verliebte.

      Der dreiundzwanzigjährige Johannes stand seiner jüngsten Schwester am nächsten. Er machte eine Ausbildung zum Maschinenbauer, wobei er sich auf medizinische Maschinen spezialisieren wollte. Er hatte Julietta sehr gern, verstand sie aber zunehmend weniger. »Wieso hockst du immer noch hier, statt endlich etwas aus deinem Leben zu machen?«, hatte er sie in den letzten Monaten mehrfach gefragt, ohne eine richtige Antwort zu bekommen.

      Natürlich kannten sie ihre jüngste Schwester gut genug, um sie nicht mit Fragen zu bestürmen, auf die sie ohnehin keine Antworten bekommen hätten. Sie wandten sich vielmehr, wenn Julietta nicht in der Nähe war, an die Eltern und versuchten, diesen zu entlocken, wieso sich Julietta plötzlich bereit erklärt hatte, ihr Elternhaus zu verlassen und zumindest einen Schritt in Richtung Ausbildung zu tun.

      Doch Caroline und Adalbert hielten sich bedeckt. Sie wollten keinen weiteren Druck auf Julietta ausüben, und das schon gar nicht auf dem Umweg über die Geschwister.

      Beim Abendessen am Samstag aber platzte Johannes. »Warum erzählt uns eigentlich niemand, wie es zu diesem Praktikum auf Sternberg gekommen ist?«, rief er. »Ihr tut so verdammt geheimnisvoll!«

      Julietta, die ihre Geschwister nur kurz begrüßt hatte und dann wieder verschwunden war, sah auf. »Wer tut geheimnisvoll?«, fragte sie. »Wen habt ihr denn gefragt? Mich jedenfalls nicht.«

      »Dann erzähl du uns, wieso du jetzt ein Praktikum machst!«

      In die plötzlich aufgekommene Stille hinein ließ Julietta ihre Antwort tropfen: »Weil ich erpresst worden bin.« Jedes einzelne Wort betonte sie. Nach einer kurzen wirkungsvollen Pause fuhr sie anklagend fort: »Mama und Papa hätten mich weggejagt, wenn ich nicht nach Sternberg gegangen wäre – so sieht das aus. Sie haben mir überhaupt keine Wahl gelassen.«

      Niemand sagte ein Wort, bis Johannes seinen Vater fragte: »Stimmt das, Papa?«

      »Es stimmt«, bestätigte Adalbert gelassen. »Wir haben uns lange genug angesehen, wie Julietta ihre Zeit vergeudet – das wollten wir uns nicht länger antun. Sie ist frei zu gehen, wohin sie will und ihr Geld zu verdienen, wie es ihr beliebt, aber wir möchten uns unser Leben jetzt anders einrichten. Sie ist volljährig, sie kann tun und lassen, was sie möchte – aber nicht mehr unter unseren Augen.«

      »Das wurde ja auch mal Zeit«, stellte Bettina fest. »Ihr habt euch das viel zu lange mit angesehen.«

      »Du natürlich wieder!«, fuhr Julietta sie an. »Du fällst mir ja sowieso in den Rücken, wo du nur kannst.«

      »Das stimmt doch gar nicht«, versuchte Albert seine Schwestern zu beschwichtigen.

      »Natürlich stimmt es!«, rief Julietta erregt. »Das war doch gerade wieder ein Beweis.«

      »Wir haben uns alle schon mal Gedanken um dich gemacht, Julietta«, fuhr Albert unbeirrt fort. »Und um es ehrlich zu sagen: Keiner von uns versteht, was du eigentlich willst. Andere in deinem Alter sind schon halb fertig mit ihrem Studium, du machst einfach gar nichts.«

      »Es ist mein Leben«, beharrte Julietta. »Ich kann damit machen, was ich will.«

      Zum ersten Mal ergriff Caroline das Wort. Sie erhob nicht einmal die Stimme, dennoch hörten ihr alle zu.

      »Niemand hindert dich daran, Julietta«, sagte sie ruhig. »Aber du solltest es nicht auf Kosten anderer tun.«

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