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und sich irgendwo eine Wohnung zu suchen. Dann muss sie sehen, wie sie allein zurechtkommt. Wir können nicht länger dulden, dass sie unser aller Nerven strapaziert.«

      Sofia sah ihn betroffen an. »So schlimm ist das?«

      »Ja«, bestätigte er mit müder Stimme, »so schlimm ist das!«

      *

      Julietta von Barrentrop kam wie üblich zu spät zum Essen, dachte aber nicht daran, sich zu entschuldigen, obwohl ihre Mutter an diesem Tag ganz allein am Tisch saß. Ihr Vater war schon sehr früh aufgebrochen – zu einem Geschäftstermin, obwohl Samstag war. Sie erwartete eine Rüge ihrer Mutter, doch Caroline von Barrentrop sagte gar nichts, als ihre Jüngste ihr gegenüber Platz nahm.

      Julietta hatte es nicht für nötig gehalten, sich nach ihrem ausgedehnten Ritt umzuziehen; der Geruch nach Pferdestall war deutlich wahrnehmbar. Ihre hübschen blonden Haare waren zerzaust, das Gesicht sah erhitzt aus, und Caroline vermutete, dass sie sich, um ihre Unabhängigkeit zu beweisen, nicht einmal die Hände gewaschen hatte – sie sahen jedenfalls so aus. Aber auch dazu sagte sie kein Wort.

      Julietta warf ihr einen verunsicherten Blick zu. Das veränderte Verhalten ihrer Mutter gab ihr zu denken, deshalb fragte sie mit aggressivem Unterton. »Was ist los?«

      Caroline zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. Sie war eine elegante Blondine mit porzellanblasser Haut und schönen blauen Augen. Von allen Kindern sah Julietta ihr am ähnlichsten, was man jedoch kaum bemerkte, da es ihr gleichgültig zu sein schien, was sie anzog, ihre blonden Haare niemals geschnitten wurden und sie selbstverständlich nicht einmal einen Lippenstift benutzte. »Was soll los sein?«, fragte Caroline ruhig.

      »Na ja, du guckst so komisch«, sagte Julietta. »Außerdem meckerst du sonst doch auch ständig an mir rum, wieso sagst du jetzt nichts?«

      »Weil ich es aufgegeben habe«, antwortete Caroline und aß weiter.

      »Toll, Mama. Dann lasst ihr mich ab jetzt also einfach in Ruhe?«, fragte Julietta, die einen Arm bis zum Ellbogen auf den Tisch legte und mit dem anderen das Essen in sich hineinschaufelte. Um ihre Mutter zu provozieren, kaute sie außerdem noch besonders geräuschvoll.

      Caroline schien die Frage nicht gehört zu haben, sie setzte ihre Mahlzeit fort.

      »Was soll das, Mama!« fuhr Julietta auf. »Redest du jetzt nicht mehr mit mir? Das ist doch albern, ich habe dir schließlich nichts getan.«

      Caroline hob den Blick und sah ihre Tochter an. Sehr langsam ließ sie ihre Augen über das wandern, was sie sah: die unmögliche Haltung, die dreckige Kleidung, das zottelige Haar. »Das sehe ich anders«, sagte sie schließlich. Dann schob sie ihren Teller von sich und stand auf. »Du entschuldigst mich sicher«, sagte sie liebenswürdig. »Guten Appetit wünsche ich dir weiterhin.« Mit diesen Worten verließ sie das Speisezimmer. Draußen traf sie auf die Haushälterin Hanna Lewens, die ihr einen fragenden Blick zuwandte.

      Caroline nickte leicht, legte einen Finger auf die Lippen und zog sich in ihren Privatsalon zurück, während Hanna Lewens lächelnd in die Küche zurückkehrte. Sie arbeitete schon so lange bei den Barrentrops, dass sie nicht nur eine Angestellte, sondern auch eine Vertraute war – und so teilte sie die Besorgnis ihrer Arbeitgeber um die jüngste Tochter.

      Wie bisher konnte es jedenfalls mit Julietta nicht weitergehen.

      *

      Robert Wenger hatte gerade einen neuen Pferdepfleger zusammengestaucht, der seiner Ansicht nach nicht sorgfältig genug gearbeitet hatte, als Baron Friedrich mit seinem Besucher erschien. »Herr Wenger, haben Sie einen Augenblick Zeit für uns?«

      »Natürlich, Herr Baron.« Der Stallmeister war ein noch junger, gut aussehender Mann, der ein strenges Regiment führte. Doch trotz seiner Strenge war er bei seinen Untergebenen beliebt, denn er bemühte sich um Gerechtigkeit und gab jemandem, der einen Fehler gemacht hatte, immer eine zweite Chance.

      Friedrich stellte die beiden Männer einander vor, dann begaben sie sich zu dritt in das kleine Büro des Stallmeisters.

      »Es geht um meine jüngste Tochter, Herr Wenger«, begann Adalbert. »Sie macht uns großen Kummer.« Er schilderte, allerdings bedeutend zurückhaltender als zuvor, Juliettas schwierigen Charakter und endete mit der Frage: »Könnten Sie sich vorstellen, unsere Tochter einige Monate lang als Praktikantin aufzunehmen?«

      Robert Wenger warf seinem Arbeitgeber einen raschen forschenden Blick zu. Er begriff sofort, dass Baron Friedrich sich verpflichtet fühlte, einem alten Freund zu helfen und dass es deshalb schwierig sein würde, diesem Wunsch nicht zu entsprechen. Dennoch gab er mit ruhiger Stimme zu bedenken: »Sie könnte hier einiges durcheinanderbringen. Wir züchten Pferde, Herr von Barrentrop – und zwar sehr wertvolle Pferde. Die brauchen Ruhe und professionellen Umgang. Ein Zuchtbetrieb verträgt keine Störungen, das muss ich in aller Deutlichkeit sagen. Und eigensinniges oder egoistisches Verhalten verträgt er auch nicht.«

      Adalbert hatte nicht mit so deutlichen Worten von Seiten eines Angestellten gerechnet, aber er merkte, wie sehr Baron Friedrich dem jungen Stallmeister vertraute. Dafür gab es offenbar gute Gründe. »Das ist mir klar«, erwiderte er. »Alles, worum ich bitte, ist eine Chance für meine Tochter. Vielleicht habe ich einen falschen Eindruck erweckt: Sie hat einen guten Kern, nur gelingt es uns schon länger nicht mehr, bis zu diesem Kern vorzustoßen. Meine Frau und ich glauben, dass sie eine Veränderung braucht, damit sie an der Reaktion von anderen Menschen merkt, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hat. Wenn wir ihr das sagen, nimmt sie es nicht einmal mehr wahr, weil sie es schon viel zu oft gehört hat.«

      »Von mir aus können wir es versuchen«, erklärte Robert Wenger nach einigen Sekunden des Nachdenkens. »Allerdings muss ich die Möglichkeit haben, dieses Experiment zu beenden, wenn ich es für geboten halte. Ich weiß, das ist viel verlangt, und natürlich können Sie, Herr Baron, mir einfach eine Anweisung erteilen – aber ich trage hier eine große Verantwortung, das sollten Sie bedenken.«

      »Einverstanden!«, rief Adalbert. »Wenn Sie es wenigstens versuchen, Herr Wenger!«

      »Ich bin auch einverstanden«, setzte Friedrich hinzu. »Nur sollten Sie in diesem Fall nicht von Anfang an so streng sein wie sonst, Herr Wenger.«

      Der Stallmeister lächelte. »Ach, so streng bin ich auch wieder nicht, wenn ich sehe, dass jemand entwicklungsfähig ist. Aber eins würde mich interessieren, Herr von Barrentrop: Wie wollen Sie denn Ihre Tochter dazu bringen, hierher zu kommen? Das wird sie doch nicht freiwillig tun, oder?«

      »Ich habe ein Druckmittel, Herr Wenger, und das gedenke ich anzuwenden, wenn sie versucht, sich zu weigern. Jedenfalls danke ich Ihnen außerordentlich für Ihr Entgegenkommen – und dir auch, Fritz. Ich weiß durchaus, was das bedeutet.«

      Als sich der Baron mit seinem Gast verabschiedet hatte, sah Robert Wenger den beiden nach. »So ein Mist«, murmelte er. »Eine verzogene Göre, die nicht arbeiten will und wahrscheinlich nur Flausen im Kopf hat – womit habe ich das verdient?« Aber als er gleich darauf einen der Ställe betrat und die schönen Tiere sah, die dort standen, vergaß er Julietta von Barrentrop schnell wieder.

      Sollte sie erst einmal kommen, dann würde er weitersehen.

      *

      »Und was ist an ihr so schrecklich?«, erkundigte sich Christian von Sternberg bei seiner Tante Sofia und seinem Onkel Friedrich, nachdem die beiden ihm und ihren Kindern Anna und Konrad den Grund von Adalberts Besuch erläutert hatten.

      »Das würde mich auch interessieren«, setzte der sechzehnjährige Konrad hinzu. »Wenn sie sie wegschicken, muss sie ja richtig furchtbar sein.«

      »Sie scheint sich nicht anpassen zu können«, antwortete die Baronin nach kurzem Zögern. »Das macht das Zusammenleben mit anderen natürlich schwierig. Außerdem will sie nichts lernen, sie hat sich schon in der Schule nicht angestrengt, und jetzt macht sie genauso weiter. Die Barrentrops sind aber nicht vermögend, ihre Kinder müssen also ihren Lebensunterhalt selbst verdienen.«

      »Eine richtige Zicke also?«, stöhnte Konrad. »Warum muss sie ausgerechnet zu uns kommen?«

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