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die Uhr. Alena sollte jetzt eigentlich jeden Moment eintreffen.

      »Dr. Parker ist hier«, flüsterte Irmgard dem jungen Assistenzarzt zu.

      Unmerklich atmete Stefan auf. Es tat gut zu wissen, daß er nicht mehr völlig allein war, wenn ihm der Anästhesist im Ernstfall auch nicht viel helfen konnte. Sicher, für die Narkose brauchte er ihn unbedingt, aber wenn der Kaiserschnitt tatsächlich unvermeidbar sein würde, dann würde Stefan ganz allein am OP-Tisch stehen.

      »Sie hat schon fast zehn Zentimeter«, erkärte die Hebamme, dann sah sie Stefan sehr ernst an. »Es ist ein großes Kind, nicht wahr?«

      »Ja, ich fürchte sogar, ein sehr großes.«

      »Gibt es Probleme?« mischte sich Horst besorgt ein. Er hatte gemerkt, wie Arzt und Hebamme leise miteinander gesprochen hatten.

      »Nein, im Moment läuft alles normal«, antwortete Anna Lüder, dann lächelte sie die werdende Mutter aufmunternd an. »Sie machen das ganz prima, Frau Kemmerer.«

      »Normal?« kreischte Jana beinahe hysterisch. »Wenn das normal ist, dann will ich nie wieder ein Kind haben! Und was soll ich prima machen? Ich werde nur von unerträglichen Schmerzen gepeinigt, gegen die ich nichts machen kann! Aber das wurde in den Kursen nicht gesagt, und…« Sie verstummte abrupt, weil wieder eine Wehe kam. Hilflos krallte sie sich an Horst fest und schrie dabei aus voller Kehle.

      »Helfen Sie ihr!« fuhr Horst die Hebamme und Stefan an.

      »Das kann ich nicht«, entgegnete der junge Assistenzarzt bedauernd. »Für eine PDA… eine Periduralanästhesie ist es bereits zu spät. Bis sie wirken würde, hätte Ihre Frau das Kind vermutlich schon zur Welt gebracht. Alles andere kann ich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht verantworten.«

      »Weil Sie noch gar kein richtiger Arzt sind!« fuhr Horst ihn an. »Ihr Vater würde meine Frau nicht so leiden lassen!«

      Der Vorwurf traf Stefan zutiefst, obwohl er wußte, daß die Worte des nervösen und mit sei-ner Frau leidenden Mannes nicht ganz ernstzunehmen waren.

      »Ihr Vater hätte dieselbe Entscheidung getroffen«, meinte Anna Lüder leise, weil sie Stefans Gesichtsausdruck sehr wohl deuten konnte, dann sah sie Horst an. »Eine Geburt ist nun mal schmerzhaft, aber in der Regel ist sie durchaus auch ohne Schmerzmittel auszuhalten – vor allem, wenn die Eröffnungsphase so kurz ist wie bei Ihrer Frau, und das kommt selten genug vor.«

      Doch ihre Worte verhallten ungehört, denn Horst widmete sich ganz seiner Frau, die jetzt wieder erschöpft in den Kissen lag. Währenddessen ging Anna Lüder daran, eine erneute Untersuchung vorzunehmen, dann kniete sie sich auf das breite Bett.

      »So, Frau Kemmerer, jetzt werden Sie nicht mehr schreien, sondern fest pressen«, erklärte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

      »Pressen?« wiederholte Jana verständnislos, als hätte Anna Lüder chinesisch gesprochen, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich kann nicht mehr!«

      »Doch, Kindchen, Sie können. Ihr Baby will jetzt raus.«

      Die nächste Wehe überrollte Jana.

      »Pressen! Pressen! Pressen!« befahl Anna Lüder.

      Währenddessen wandte sich Stefan an die Nachtschwester. »Rufen Sie Dr. Leitner an. Wenn das Baby da ist, brauchen wir unbedingt einen Kinderarzt.«

      Schwester Irmgard eilte hinaus und kehrte wenige Minuten später wieder zurück.

      »Dr. Leitner ist unterwegs.« Sie zögerte, wußte aber, daß sie auch die andere Nachricht, die sie empfangen hatte, weitergeben mußte. »Frau Dr. Reintaler steckt auf der Autobahn fest. Es hat einen schweren Verkehrsunfall gegeben, der die ganze Fahrbahn blockiert hat. Sie steht im Stau.«

      Sekundenlang schloß Stefan die Augen. Auch das noch! Dann warf er Anna Lüder einen kurzen Blick zu und sah, daß hier eigentlich alles so lief wie immer. Es hatte den Anschein, als würde das Baby doch auf normale Weise geboren werden, und alle seine Bedenken waren vielleicht ja doch umsonst gewesen.

      »Versuchen Sie es auf dem Gröber-Hof noch einmal«, ordnete Stefan trotzdem an. »Mir wäre wohler, wenn der Chefarzt oder der Oberarzt kommen könnten.«

      Wieder verschwand Irmgard nahezu lautlos, und diesmal dauerte es länger, bis sie zu-rückkehrte. Bedauernd zuckte sie die Schultern. »Es ist belegt.«

      Stefan seufzte, dann trat er neben Anna Lüder. Das Köpfchen des Babys war bereits zu sehen. Stefan atmete auf. Anscheinend hatte er die Pferde doch grundlos scheu gemacht.

      »Das Kind steckt fest«, erklärte die Hebamme in diesem Moment.

      »Aber der Kopf ist doch schon zu sehen«, meinte Stefan. In diesem Moment rückte die Hebamme ein wenig zur Seite, und nun konnte Stefan sehen, daß der Kopf des Kindes fast vollständig geboren war. Es steckte offensichtlich mit einer Schulter am Schambein der Mutter fest.

      »Oh, mein Gott«, stieß Stefan hervor, dann drängte er Anna Lüder zur Seite und versuchte vorsichtig, das Baby freizubekommen, doch es ging nicht. Das Kleine steckte fest, und es konnte sich nur noch um wenige Augenblicke handeln, bis es unweigerlich in Lebensgefahr geraten würde.

      »Sofort in den OP!« befahl Stefan, dann sah er Anna Lüder an. »Drücken Sie das Kind zurück. Ich werde einen Kaiserschnitt machen.«

      Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte Horst den jungen Assistenzarzt an. »Jezt auf einmal entschließen Sie sich zum Kaiserschnitt? Meine Güte, das Baby ist doch fast geboren!«

      Aber Stefan hörte nicht auf ihn. Für ihn war jetzt nur noch wichtig, daß Jana Kemmerer auf der Stelle in den Operationssaal kam. In fliegender Hast wurde die Patientin auf eine fahrbare Trage gehoben. Jana schrie und krümmte sich vor Schmerzen, während die Hebamme auf der Trage kniete und das Baby vorsichtig, aber mit dem nötigen Kraftaufwand in den Geburtskanal zurückschob. Die Herztöne des Kindes, die der Wehenschreiber aufzeichnete, begannen zu holpern – ein untrügliches Zeichen, daß es jetzt wirklich schnell gehen mußte, wenn das Baby noch gerettet werden sollte.

      Dr. Parker hatte inzwischen schon mitbekommen, daß eine Notoperation erforderlich wurde. Während sich Stefan eiligst, aber dennoch mit der gebotenen Gründlichkeit die Hände wusch, leitete der Anästhesist schon die Narkose ein. Im Laufschritt kam Stefan in den OP, blieb dann aber abrupt stehen.

      Er sah die Patientin an, die jetzt reglos auf dem OP-Tisch lag, und die Hebamme, die noch immer das Baby zurückdrückte. Übelkeit stieg in ihm auf.

      »Jeff, meine Güte, was soll ich jetzt bloß tun?« wandte er sich verzweifelt an den Anästhesisten. »Ich habe noch nie einen Kaiserschnitt gemacht.«

      »Aber du warst schon oft dabei, Stefan«, entgegnete Dr. Parker, und der Assistenzarzt fragte sich, woher Jeff seine Gelassenheit nahm. Er selbst war im Moment das reinste Nervenbündel.

      »Komm schon«, fuhr Dr. Parker drängend, aber noch immer mit bewundernswerter Ruhe fort. »Hier sind zwei Menschen, die dich dringend brauchen. Das Baby wird sterben, wenn du nicht sofort den Kaiserschnitt machst.« Der Blick seiner blauen Augen war zwingend. »Stefan, du bist ein erstklassiger Arzt – genau wie dein Vater. Du kannst es.«

      Der junge Assistenzarzt wurde jetzt merklich ruhiger. Er trat an den OP-Tisch und versuchte sich an die Kaiserschnitte zu erinnern, bei denen er assistiert hatte, doch in seinem Kopf

      herrschte gähnende Leere. Wieder drohte er in Panik zu geraten, doch da fielen ihm die Worte ein, die sein Vater nach einer schwierigen Operation einmal zu ihm gesagt hatte.

      »Weißt du, Stefan, es nützt niemanden, wenn man angesichts einer solchen Situation die Nerven verliert. Das ist zwar manchmal leichter gesagt als getan, aber wenn du einmal in eine solche Lage geraten solltest, atme tief durch, zähle in Gedanken bis zehn, und dann fang mit deiner Arbeit an. Mach das Wichtigste zuerst und kümmere dich nicht um den Zustand des Patienten. Dafür ist der Anästhesist zuständig, und wir haben hier an der Waldsee-Klinik mit Erika und Jeff die besten Anästhesisten, die man sich nur wünschen kann.«

      Stefan

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