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Sandra. »Und ich freue mich auf das Kind.«

      Gunter hatte sie zwar verloren, aber das Kind konnte ihr niemand nehmen. Es war ihr Kind, und sie wollte dafür sorgen, daß es nichts entbehren mußte. Auch andere Frauen brachten Kinder zur Welt, ohne verheiratet zu sein, und sie als Ärztin stand sich besser als die meisten ledigen Mütter.

      »Sie werden das Kind hier in der Klinik zur Welt bringen?«

      »Selbstverständlich. Ich wüßte keinen besseren Ort.«

      Der Professor schüttelte ihr die Hand.

      »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, Frau Kollegin. Wir sehen uns wieder. Sie können auf meine Unterstützung rechnen, soweit es mir möglich ist.«

      »Vielen Dank, Herr Professor.«

      Auf dem Flur begegnete Sandra Dr. Stanitz. Sie unterhielten sich eine Weile. »Falls ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, lassen Sie es mich wissen«, sagte der Chirurg. »Darf ich Sie einmal besuchen?«

      »Liegt Ihnen soviel an mir?«

      »Ich schätze Sie als Mensch. Ich muß nicht mit jeder hübschen Frau etwas anfangen, auch wenn man mir das nachredet. Außerdem mag ich Kinder, sie sind der bessere Teil der Menschheit. Wenn ich mich endlich mal auf eine Frau festlegen könnte, hätte ich gern mehrere Kinder.«

      Dr. Stanitz war ein Schwerenöter, aber er hatte Herz. Wer seine sonstige flapsige Redeweise kannte, hätte das nicht erwartet. Sandra erhielt, als sie ihre persönlichen Dinge zusammenpackte, ein Weihnachtsgeschenk vom Pflegepersonal und den Kollegen im voraus. Kinder von der Station brachten ihr einen Blumenstrauß und sangen ein Lied.

      Gerührt verließ Sandra die Klinik. Die Pförtner trug ihre umfangreiche Ledertasche. Er öffnete ihr die Autotür.

      »Alles Gute, Frau Doktor, und fröhliche Weihnachten.«

      Sandra fürchtete, daß es recht einsame Festtage werden würden. Der erste Schnee fiel, als sie zu ihrer Wohnung fuhr. Gunters Bild stand nicht mehr auf dem Side­board. Sie hatte es in die Schublade gelegt. Nur manchmal holte sie es hervor. Dann brannten Tränen in ihren Augen. Aber sie verdrängte sie energisch.

      Weihnachten wurde dann keineswegs einsam. Sandra verbrachte die Feiertage bei ihrer Freundin Ga­brie­le Anders, einer Studienreferendarin, und deren Freund und Lebensgefährten Holger Stuhlmann. Holger arbeitete als wissenschaftlicher Assistent an einem Institut in Frankfurt und bereitete sich auf die Doktorarbeit vor.

      Er und Gabi Anders engagierten sich sehr für den Umweltschutz. Holger redete öfter davon, ein Bauernhaus im Taunus zu kaufen und zum einfachen Leben in der Natur zurückzukehren.

      Gabi hatte sehr moderne Ansichten. Sie hielt viel von Emanzipation und fand es gut, daß Sandra ihr Kind vaterlos aufziehen wollte.

      »Von den Männern kommt alles Unheil in dieser Welt«, sagte Gabi, als sie am Tag vor Heiligabend in der Altbauwohnung am Kamin saßen. »Technologisches Denken und die Überbetonung des Verstandes sind die Grundübel. Hast du dem etwas entgegenzusetzen, Holger?«

      »Ja, bitte: Zwei Stück Zucker, wie üblich.«

      »Bitte?«

      Der kahlköpfige Holger schaute von seinem Buch über alternative Anbaumethoden in der Landwirtschaft auf, in das er vertieft gewesen war.

      »Ich dachte, du hättest mir Kaffee angeboten, Gabi? Was wolltest du wissen?«

      »Nichts, du bist wieder geistesabwesend, wie üblich. Koch dir deinen Kaffee doch selber. Nein, warte, ich lasse welchen durchlaufen. Du nimmst Kakao, Sandra?«

      Sandra nickte. Am Heiligabend stand bei Holger und Gabi kein Weihnachtsbaum in der Stube.

      »Wir wollen dem Waldsterben nicht noch Vorschub leisten«, sagte Gabi. »Der saure Regen ist schlimm genug.«

      Eine ganze Schar junger Leute, darunter viele Studenten, kamen zusammen. Es wurde viel diskutiert, und Zeit zum Grübeln blieb nicht.

      Nach den Feiertagen kehrte San­dra in ihre Wohnung zurück. Die letzten Schwangerschaftswochen wurden ihr immer beschwerlicher.

      Vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin spürte sie, wie sich das Kind in ihrem Leib senkte. Die letzten Tage der Schwangerschaft näherten sich.

      Sandra war zuversichtlich und versuchte, immer seltener an Gunter zu denken.

      *

      Wegen der Herbstjagd und dem Ball hatte Gunter Befürchtungen gehabt. Aber es zeigte sich, daß er mit anzüglichen Bemerkungen verschont blieb. Auch beim Adel gab es Scheidungen, Affären und unglückliche Ehen. Gunters Pech erzeugte keine Riesensensation. Nur ihm selbst war das Ende seiner Liebe entsetzlich erschienen.

      Er stellte fest, daß seine Mutter recht hatte: Das Leben ging weiter. An einem gebrochenen Herzen starben nur sehr wenige, die übrigen lebten damit und entwickelten eine neue Lebenseinstellung. Die beste Heilwirkung ging von der Zeit aus.

      Nach dem Ball zeigte sich Gunter wieder gelegentlich bei gesellschaftlichen Anlässen. Er traf Marion von Balsingen ein paarmal und war freundlich und förmlich. Die Weihnachtsfeiertage wollte Gunter im Schloß verbringen, bisher war er im Wohnhaus bei der Porzellanmanufaktur geblieben.

      Um Weihnachten herum wurde ihm immer melancholischer zumute. Er dachte an Sandra. Heilig­abend hielt es Gunter nicht länger aus. Er versuchte, Sandra telefonisch zu erreichen. Es gelang nicht, niemand nahm ab.

      Der Weihnachtsbaum im Schloß reichte bis unter die Decke des Ahnensaals und strahlte im Lichterglanz. Zum Weihnachtsempfang erschienen auch Baron Edgar und Marion von Balsingen. Fürstin Claudia repräsentierte und war ganz in ihrem Element.

      Zwischen den Jahren fuhr Gunter zu Sandra nach Wiesbaden. Er schimpfte sich einen Schwächling deswegen, aber es trieb ihn hin. Er wollte sie sehen und mit ihr reden. Was er sich eigentlich davon erwartete, wußte er nicht.

      Er parkte seinen Wagen in der Nähe des Hauses, in dem sie wohnte, und ging im Schneegestöber an der Haustür vorbei. In Sandras Wohnung brannte Licht, sie war also zu Hause. Gunter zögerte, zu klingeln. Er wartete auf der andern Straßenseite, um einen Entschluß zu fassen.

      Da sah er einen Wagen vor dem Haus halten und jemanden aussteigen. Es war Dr. René Stanitz. Gunter kannte ihn von seinem Krankenhausaufenthalt wegen der Unterschenkelfraktur zu Anfang des Jahres. Gunters Herz krampfte sich zusammen. Dr. Stanitz klingelte, wo, das konnte Gunter sich denken, und verschwand im Haus.

      Der Fürst fuhr wieder weg. Am nächsten Tag lud er Marion zum Silvesterball im Wiesbadener Schloß ein. Auch Dr. Stanitz war dort, mit seinem neuesten Schwarm, einer blonden Fabrikantentochter. Es hieß, daß er sich mit ihr verloben wollte.

      In einer Tanzpause geschah es, daß Gunter und Marion neben Dr. Stanitz und seiner Begleiterin auf dem Parkett standen. Der Chirurg grüßte freundlich.

      »Ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen, Durchlaucht.« Er blickte auf Gunters Bein, hatte damals ausgesehen, als ob eine Operation erforderlich sei, das war dann aber doch nicht der Fall gewesen. »Sie haben keine Beschwerden mehr?«

      Das Blut wich aus Gunters Gesicht. Brüsk drehte er sich um und führte Marion einige Schritte weit weg. Er drehte Dr. Stanitz betont den Rücken zu.

      »Was hat er denn?« fragte die Fabrikantentochter leise, als der nächste Walzer begonnen hatte.

      »Keine Ahnung, eine fürstliche Laune vermutlich«, antwortete Dr. Stanitz, der den Vorfall weiter nicht tragisch nahm. »Er ist eben ein eingebildeter adliger Snob.«

      Auch Marion wunderte sich. »Wer war das? Warum hast du ihn geschnitten?« fragte sie.

      Gunter nannte den Namen des Arztes.

      »Mit einem solchen Charakterlumpen verkehre ich nicht. Er tanzt hier mit einer Millionenerbin und amüsiert sich, während eine andere Frau von ihm schwanger ist.«

      Marion dachte sich ihr Teil, wer diese andere Frau sei. Sie schwieg dazu. Sie glaubte, jetzt den Vater

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