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      Seine Augenbrauen schossen nach oben. „Zu diesem Thema könnte man ein ganzes Buch schreiben!“

      Nachdem ich versichert hatte, dass ich nur an den wesentlichen Punkten interessiert wäre und nicht an einer erschöpfenden Diskussion, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück.

      „Nun, es ist richtig, dass das Johannes-Evangelium zu den anderen Evangelien mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten aufweist“, begann er. „Nur eine Handvoll von den großen Geschichten aus den drei Synoptikern erscheint im Johannes-Evangelium. Das ändert sich aber merklich, wenn man zu der letzten Lebenswoche Jesu kommt. Ab diesem Punkt sind die Parallelen deutlicher.

      Außerdem scheint der linguistische Stil anders zu sein. Im Johannes-Evangelium verwendet Jesus eine andere Terminologie, er spricht in langen Predigten und es scheint eine höhere Christologie zu geben. Das heißt, dass Jesus direkter und deutlicher behauptet, dass er mit dem Vater eins ist, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben und dass er die Auferstehung und das Leben ist.“

      „Wie erklärt man sich diese Unterschiede?“, fragte ich.

      „Man ging sehr lange davon aus, dass Johannes alles kannte, was Matthäus, Markus und Lukas geschrieben hatten, und keine Notwendigkeit sah, es zu wiederholen. Also habe er beschlossen, ihre Aufzeichnungen zu ergänzen. In jüngerer Zeit nahm man aber auch an, dass Johannes von den drei anderen Evangelien völlig unabhängig ist. Für diese These sprechen nicht nur die Unterschiede in der Materialauswahl, sondern auch die unterschiedliche Sicht von Jesus.“

      Die kühnste Behauptung Jesu

      „Es gibt auch einige theologische Unterschiede zwischen den Synoptikern und Johannes“, stellte ich fest.

      „Das will ich nicht abstreiten, aber muss man sie gleich als Widersprüche bezeichnen? Das glaube ich nicht und ich sage Ihnen auch, warum. Zu fast jedem großen Thema oder Unterschied in Johannes können Sie Parallelen in Matthäus, Markus oder Lukas finden, auch wenn sie nicht gerade im Überfluss vorhanden sind.“

      Das war eine kühne Behauptung. Ich entschloss mich umgehend, sie auf die Probe zu stellen und das vielleicht wichtigste Thema in Bezug auf die Unterschiede zwischen den Synoptikern und dem Johannes-Evangelium anzusprechen.

      „Johannes stellt sehr explizit die Behauptung auf, dass Jesus Gott ist, was viele der Tatsache zuschreiben, dass er sein Evangelium so viel später als die anderen schrieb und damit begann, die Ereignisse auszuschmücken“, warf ich ein. „Findet man dieses Thema der Gottheit Jesu auch bei den Synoptikern?“

      „Ja, kann man“, entgegnete er. „Das Thema findet sich eher implizit, aber es ist vorhanden. Denken Sie an die Geschichte im Matthäus-Evangelium, Kapitel 14, Verse 22 bis 33 und im Markus-Evangelium, Kapitel 6, Verse 45 bis 52, als Jesus auf dem Wasser geht. In den meisten Übersetzungen geht die Bedeutung des griechischen Urtextes verloren. In den Übersetzungen heißt es meistens: ‚Fürchte dich nicht, ich bin es.‘ Doch im Griechischen heißt es wörtlich: ‚Fürchte dich nicht, ich bin.‘ Diese letzten beiden Worte sind identisch mit dem, was Jesus im Johannes-Evangelium, Kapitel 8, Vers 58 sagt, als er den göttlichen Namen ‚Ich bin‘ auf sich bezieht, mit dem sich Gott Mose am brennenden Dornbusch offenbart hatte. Jesus offenbart sich hier also als derjenige, der dieselbe göttliche Macht über die Natur hat wie Jahwe, der Gott des Alten Testamentes.“

      Ich nickte. „Das ist ein Beispiel. Gibt es noch andere?“

      „Ja. In den ersten drei Evangelien ist beispielsweise ‚Menschensohn‘ der Titel, den Jesus am häufigsten für sich selbst verwendet, und –“

      Blomberg schaute verdrießlich. „Wissen Sie“, sagte er in entschiedenem Ton, „entgegen der landläufigen Meinung bezieht sich der Titel ‚Menschensohn‘ in erster Linie nicht auf die Menschlichkeit Jesu. Stattdessen ist er eine direkte Anspielung auf Daniel, Kapitel 7, Verse 13 bis 14.“

      Mit diesen Worten öffnete er das Alte Testament und las diese Worte des Propheten Daniel vor:

      „Immer noch hatte ich die nächtlichen Visionen: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt.

      Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter.“

      Blomberg schlug seine Bibel zu. „Überlegen Sie sich also, was Jesus tat, als er den Begriff ‚Menschensohn‘ auf sich bezog. Der Menschensohn ist jemand, der sich Gott in seinem himmlischen Thronsaal nähert und dem universale Herrschaft und Macht gegeben werden. So wird ‚Menschensohn‘ zu einem Titel, der hohe Erhabenheit und nicht bloße Menschlichkeit ausdrückt.“

      Später fand ich einen Kommentar von einem anderen Wissenschaftler, William Lane Craig, den ich auch noch für dieses Buch interviewen wollte. Er hatte eine ähnliche Beobachtung gemacht:

      Blomberg fuhr fort: „Außerdem behauptet Jesus in den synoptischen Evangelien, dass er Sünden vergeben kann. Das ist etwas, das nur Gott kann. Jesus nimmt Gebet und Anbetung an. Jesus sagt: ‚Wer sich nun vor den Menchen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.‘ Das letzte Gericht, um das es ja hier geht, ist abhängig von der Reaktion eines Menschen auf wen? Auf ein menschliches Wesen? Das wäre eine sehr anmaßende Behauptung. Das letzte Gericht ist abhängig von der Reaktion eines Menschen auf Jesus als Gott.

      Sie sehen also, dass es bei den Synoptikern eine ganze Menge Material zur Gottheit Jesu gibt, das im Johannes-Evangelium expliziter dargestellt ist.“

      Das theologische Programm des Evangeliums

      Beim Abfassen des letzten Evangeliums hatte Johannes den Vorteil, dass er sich die theologischen Themen über einen längeren Zeitraum hinweg durch den Kopf gehen lassen konnte. Also fragte ich Blomberg: „Kann man aus der Tatsache, dass Johannes eine stärkere theologische Neigung hat, schließen, dass sein historisches Material beeinträchtigt und daher weniger verlässlich ist?“

      „Ich glaube nicht, dass Johannes theologischer ist“, betonte Blomberg. „Er hat lediglich einen anderen theologischen Blickwinkel. Matthäus, Markus und Lukas hatten jeweils unterschiedliche theologische Standpunkte, die sie besonders hervorheben wollten. Lukas als Anwalt für die Armen und sozial Benachteiligten, Matthäus, der die Beziehung zwischen Christentum und Judentum verstehen will, und Markus, der Jesus als den leidenden Diener zeigt. Sie können eine lange Liste mit den Unterschieden in der Theologie bei Matthäus, Markus und Lukas aufstellen.“

      Ich unterbrach ihn, weil ich fürchtete, er würde am entscheidenden Punkt vorbeireden. „Gut, aber lassen diese theologischen Motive nicht Zweifel an ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur akkuraten Berichterstattung der Ereignisse aufkommen?“, fragte ich. „Ist es nicht wahrscheinlich, dass ihr theologisches Programm sie dazu verführte, die Geschichte zu färben

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