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Natürlich müssen wir diese Möglichkeit ins Auge fassen“, gab er zu. „Es gibt Menschen, die die Geschichte bewusst verdrehen, um sie den Zielen ihrer Ideologie zunutze zu machen. Doch leider kam man zu dem Schluss, dass das immer geschieht, was aber eine Fehleinschätzung ist.

      In der Antike war es einfach nicht üblich, leidenschaftslos, objektiv und ohne ideologische Absichten Geschichte zu schreiben, einfach, um die Ereignisse aufzuzeichnen. Niemand würde Geschichte schreiben, wenn es nicht eine Lektion gab, die man daraus lernen konnte.“

      Ich lächelte. „Ich vermute, man könnte sagen, dass deshalb alles irgendwie verdächtig ist.“

      „Ja, bis zu einem gewissen Grad ist es das tatsächlich“, erwiderte er. „Doch wenn es uns möglich ist, aus allen möglichen anderen historischen Quellen Geschichte genau zu rekonstruieren, dann sollte uns das auch bei den Evangelien gelingen, wenn sie ideologisch gefärbt sind.“

      Blomberg suchte nach einem passenden Beispiel, mit dem er sein Argument illustrieren konnte: „Es gibt eine moderne Parallele aus der Geschichte der Juden, die verdeutlichen könnte, was ich meine. Manche Menschen leugnen die Grausamkeiten des Holocaust oder spielen sie herunter. Das geschieht normalerweise im Zuge antisemitischer Propaganda. Doch es waren jüdische Wissenschaftler, die Museen aufgebaut, Bücher geschrieben, Kunstgegenstände gesammelt und Augenzeugenberichte dokumentiert haben, die den Holocaust betreffen. Auch sie verfolgen ein ideologisches Ziel: Sie wollen sicherstellen, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen kann. Doch gleichzeitig waren sie in ihrer Berichterstattung der Geschehnisse sehr objektiv und wahrheitsgetreu.

      Das Christentum basiert auf der historischen Behauptung, dass Gott auf einzigartige Weise in der Person Jesu von Nazareth in Zeit und Raum gekommen ist. Diese Ideologie erforderte so sorgfältige historische Arbeit wie möglich.“

      Er ließ dieses Beispiel auf mich wirken. Dann schaute er mich direkt an und fragte: „Verstehen Sie, was ich meine?“

      Ich nickte.

      Sensationelle Neuigkeiten aus der Geschichte

      Es ist eine Sache zu sagen, dass die Evangelien direkt oder indirekt auf Augenzeugenberichten basieren. Doch es ist etwas anderes zu behaupten, dass diese Informationen zuverlässig bewahrt worden sind, bis sie schließlich viele Jahre später aufgezeichnet wurden. Dies war, wie ich wusste, ein großer Streitpunkt, und ich wollte Blomberg auf dieses Thema so direkt wie möglich ansprechen.

      Wieder nahm ich Armstrongs populäres Buch A History of God zur Hand und las einen Abschnitt daraus vor.

      Ich steckte das Buch zurück in meine Tasche, wandte mich wieder Blomberg zu und fuhr fort: „Einige Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass die Evangelien so lange nach den eigentlichen Ereignissen geschrieben wurden, dass sich Legenden gebildet und die Geschichte verzerrt haben. So wurde Jesus schließlich vom weisen Lehrer zum mythologischen Sohn Gottes hochstilisiert. Ist das eine vernünftige Hypothese oder gibt es Beweise, die belegen, dass die Evangelien bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgefasst wurden, bevor Legenden zerstören konnten, was letzten Endes berichtet wurde?“

      Blombergs Augen verengten sich und seine Stimme bekam einen unnachgiebigen Ton. „Es geht hier um zwei verschiedene Themen und es ist wichtig, sie voneinander zu trennen“, sagte er. „Ich denke, dass es stichhaltige Beweise für die frühere schriftliche Abfassung der Evangelien gibt. Aber selbst dann greift Armstrongs Argumentation nicht.“

      „Warum nicht?“, fragte ich.

      „Auch in sehr liberalen Kreisen datieren Wissenschaftler das Markus-Evangelium in die Siebzigerjahre des ersten Jahrhunderts, Matthäus und Lukas in die Achtzigerjahre und Johannes in die Neunzigerjahre. Doch beachten Sie: Das alles liegt immer noch innerhalb der Lebensjahre verschiedener Zeitgenossen Jesu, inklusive einiger feindlich eingestellter Augenzeugen, die garantiert Einspruch erhoben hätten, wenn falsche Lehren über Jesus verbreitet worden wären.

      Folglich sind auch diese späten Daten für die Abfassung der Evangelien gar nicht so spät. Ich kann Ihnen dazu zwei sehr aufschlussreiche Vergleiche nennen.

      Die zwei frühesten Biografien über Alexander den Großen wurden von Arrian und Plutarch verfasst, und zwar mehr als 400 Jahre nach dem Tod Alexanders des Großen im Jahr 323 vor Christus. Und trotzdem halten die Wissenschaftler sie im Allgemeinen für glaubwürdig. Natürlich entwickelten sich im Laufe der Zeit Legenden um Alexander den Großen, doch erst in den Jahrhunderten nach Arrian und Plutarch.

      Mit anderen Worten: Alexanders Geschichte blieb die ersten 400 Jahre lang nahezu unbeschadet. Die Legenden entstanden erst in den nachfolgenden 500 Jahren. Im Vergleich dazu spielt es eigentlich keine Rolle, ob die Evangelien nun erst 60 oder schon 30 Jahre nach dem Tod Jesu geschrieben wurden. Diese Zeitspanne kann man nach meiner Überzeugung nahezu völlig vernachlässigen.“

      Ich konnte nachvollziehen, was Blomberg sagen wollte. Und gleichzeitig hatte ich einige Vorbehalte dagegen. Für mich schien es logisch zu sein, dass Aufzeichnungen umso weniger in der Gefahr standen, Opfer von Legenden oder schlechtem Gedächtnis zu werden, je kürzer der Abstand zwischen tatsächlichem Geschehen und schriftlicher Abfassung des Geschehens war.

      „Ich möchte Ihren Punkt erst mal so stehen lassen, aber kommen wir noch einmal auf die Datierung der Evangelien zurück“, sagte ich. „Sie haben angedeutet, dass Sie glauben, die Evangelien seien vor dem von Ihnen erwähnten Zeitpunkt geschrieben worden.“

      „Ja, früher“, entgegnete er. „Und wir können diese Annahme stützen, indem wir einen Blick in die Apostelgeschichte werfen, die ebenfalls von Lukas geschrieben wurde. Die Apostelgeschichte endet offensichtlich unvollendet – Paulus ist eine zentrale Figur des Buches und befindet sich unter Hausarrest in Rom. Damit hört das Buch abrupt auf. Was passiert mit Paulus? Aus der Apostelgeschichte erfahren wir das nicht, vermutlich, weil das Buch vor dem Tod von Paulus niedergeschrieben wurde.“

      Blomberg geriet etwas mehr in Fahrt, als er fortfuhr: „Das bedeutet, dass man die Apostelgeschichte nicht später als 62 nach Christus datieren kann. Wenn man diesen Zeitpunkt festgelegt hat, kann man von hier aus weiter zurückgehen. Da die Apostelgeschichte der zweite Teil eines zweiteiligen Werkes ist, wissen wir, dass der erste Teil – das Lukas-Evangelium – vorher geschrieben sein muss. Und da Lukas Teile aus dem Markus-Evangelium integriert, bedeutet das, dass Markus noch früher da gewesen sein muss.

      Wenn Sie für die Entstehung jedes Evangeliums etwa ein Jahr rechnen, dann wurde das Markus-Evangelium nicht später als etwa 60 oder vielleicht Ende der Fünfzigerjahre nach Christus geschrieben. Wenn Jesus im Jahr 30 oder 33 unserer Zeitrechnung zu Tode kam, dann geht es hier um einen zeitlichen Abstand von maximal 30 Jahren oder so.“

      Er lehnte sich mit einem leicht triumphierenden Gesichtsausdruck in seinem Stuhl zurück. „Historisch gesprochen, vor allem im Vergleich mit Alexander dem Großen, ist das wie eine brandaktuelle Nachrichtenmeldung.“

      In der Tat war es sehr eindrucksvoll zu sehen, wie sich die zeitliche Kluft zwischen dem Leben Jesu und der schriftlichen Abfassung der Evangelien so stark schloss, dass man sie nach historischen Standards vernachlässigen konnte. Doch ich wollte noch mehr. Ich wollte die Uhr so weit wie möglich zurückdrehen, um die frühest möglichen Informationen über Jesus zu bekommen.

      Zurück zu den Anfängen

      Ich stand auf und spazierte zu den Bücherregalen hinüber. „Können wir noch weiter zurückgehen?“, fragte ich und wandte mich wieder zu Blomberg um. „Wie früh können wir die ältesten schriftlichen Zeugnisse für den Glauben an das Sühneopfer Jesu, seine Auferstehung und seine einzigartige Verbindung mit Gott ansetzen?“

      „Sie

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