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sie fest, »aber die Zeichnung ist nicht gut genug. Sie müssen einen Sattel zeichnen, aus dem Stecknadeln herausschauen, und daneben einen, der weich ist, vielleicht könnten Sie ein richtiges Kissen daraufmalen.«

      Valerie versprach, sie werde schauen, was sich machen lasse, und Adele bot an, ihrem Bruder die Anzeige anzukündigen, damit er Platz in der Zeitung freihielt. Sruli, der älteste der Goldfarb-Söhne, akquirierte neuerdings als Lehrling die Inserate für die Zeitung der orthodoxen Juden, und Adele genoss es, Valerie zuliebe ihre Connections spielen zu lassen.

      Plötzlich fragte Adele: »Was sind Neonazis?«

      Valerie fühlte sich überrumpelt und ein wenig überfordert. Wusste das Mädchen, wer die Nazis gewesen waren? Wie gingen jüdische Eltern mit solchen Informationen um? Wurden zehnjährige Kinder über alles informiert oder wurden sie geschützt, bis sie älter waren?

      »Nicht wahr, die Neonazis mögen Juden nicht?«, fuhr Adele fort.

      »Das stimmt«, bestätigte Valerie.

      »Wissen Sie, warum?«

      Valerie überlegte einen Moment, weil sie das Kind nicht mit einer billigen Antwort abspeisen wollte.

      Aber Adele fragte schon weiter: »Gibt es in der Schweiz viele Neonazis?«

      »Nein«, schüttelte Valerie den Kopf, »es sind nur wenige.«

      »Kennen Sie selbst Neonazis?«

      »Nein, mit Neonazis mag ich nichts zu tun haben. Ich kenne niemanden, der so denkt.«

      Adele bedachte sie mit einem langen Blick.

      »Fragst du mich das aus einem bestimmten Grund, Adele?«, hakte Valerie nach. »Möchtest du mir etwas erzählen?«

      Die Kleine schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich muss nach Hause, meine Mama wartet auf mich«, erklärte sie und stieg die Wendeltreppe hinauf. Sie blieb nochmals stehen: »Ich kenne einen Neonazi. Er mag mich nicht.« Dann war sie weg.

      *

      Eine Minute später stand Markus vor Valerie. Er wirkte beunruhigt. Der sportliche Typ, der sich Mountainbikes habe zeigen lassen, sei von einer Probefahrt nicht zurückgekehrt. Wann er denn losgefahren sei, wollte Valerie wissen. Vor einer Stunde, gab Markus zu.

      »Hast du ihm ein Pfand abgeknöpft?«, fragte Valerie.

      »Ja, die Identitätskarte.«

      »Na, dann ist ja gut. Wir rufen ihn einfach an«, meinte Valerie, der es vor Jahren einmal passiert war, dass sie unfreiwillig ein Fahrrad gegen eine Jeansjacke eingetauscht hatte. Die Jacke war ihr überdies zu groß gewesen. Lorenz hatte sie deshalb eine Weile getragen.

      Sie rief den jungen Mann an, der tatsächlich zu Hause war; den Vorwurf, ein Fahrrad angesehen zu haben und zu einer Probefahrt aufgebrochen zu sein, aber weit von sich wies. Das Rätsel wurde rasch und unerfreulich aufgeklärt. Seine Identitätskarte war ihm an diesem Morgen gestohlen worden, zusammen mit einer Reihe weiterer Ausweise. Er hatte den Diebstahl der Polizei bereits gemeldet und war im Moment dabei, Kreditkarten und andere Chipkarten unschädlich zu machen beziehungsweise sperren zu lassen. Armer Tropf. Immerhin erhielt er jetzt seine ID wieder. Er kam vorbei und er war in der Tat nicht jener Kunde, der zur Probefahrt gestartet war. Ein ähnlicher Typ, jung, blond, sportlich. Valerie machte Markus keinen Vorwurf, sie hätte vermutlich ebenfalls nicht so genau hingeschaut und sich austricksen lassen. Aber verdammt unangenehm war es schon. Sie ging zum zweiten Mal an diesem Tag zum Polizeiposten hinüber, diesmal in Begleitung eines betretenen und eines unschuldigen jungen Mannes und erstattete Anzeige.

      Kurz nach 19 Uhr kam sie nach Hause und schaute nach ihrer Post. Im Postkasten lag ein Paket. Ohne Absender. Valerie runzelte die Stirn. Geburtstag hatte sie nicht und bestellt hatte sie auch nichts. Der Hund schnupperte.

      »Na«, fragte Valerie lachend, »ist das für dich? Hast du heimlich Hundefutter bestellt? Passt es dir nicht mehr, was ich dir vorsetze?«

      Irgendwie schien es auch ihr, dass das Paket ein bisschen roch. In der Wohnung riss sie es auf. Sie starrte ein paar Sekunden auf den Inhalt. Ihr Herz klopfte heftig, noch bevor ihr Verstand begriff.

      »Verdammte Scheiße«, rief sie aus. Zornestränen schossen ihr in die Augen. In dem Paket lag ein toter Fisch. Ein Fisch, der schon eine ganze Weile verendet war. Ein toter Fisch mit glasigen Augen, einem grauen Leib, der jetzt deutlich stank. Sie legte die Schachtel ab und scheuchte den Hund weg. Halb verborgen unter dem Fisch entdeckte sie einen Bogen Papier. Sie zog ihn heraus. ›Beste Grüße‹ stand darauf. Nichts weiter. Der Text bestand aus Buchstaben, die aus einer Zeitung ausgeschnitten und aufgeklebt worden waren. Sie wollte den Zettel schon zerreißen, hielt aber inne. Moment, dachte sie, der Anruf gestern Nacht. Jetzt das Paket. Bevor sie weiter überlegen konnte, klingelte das Telefon. Lina hatte doch gesagt, sie würde heute Abend anrufen. Valerie hob ab. »Lina!«, rief sie. Es war nicht ihre Freundin.

      Es war wieder dieses Kichern von gestern Nacht, dieses Flüstern: »Valerie, wie gefällt dir das? Sieht nicht schön aus, so ein toter Fisch, oder? Du wirst auch nicht besser aussehen, wenn du tot bist.«

      Valerie legte augenblicklich auf. Ihr Zorn war verflogen. Sie hatte auch keine Angst. Sie war plötzlich ganz kühl. War das eine Art Todesdrohung gewesen? Ich muss etwas unternehmen, dachte sie. Sie legte das Paket auf den Balkon und setzte sich an den Küchentisch. Es konnte keine ernst gemeinte Drohung sein. Es gab niemanden, der sie umbringen wollte, da war sie sich sicher. Aber es gab offensichtlich jemanden, der sie in Angst und Schrecken versetzen wollte. Wer? Warum? Hatte er gewusst, dass sie um diese Zeit nach Hause kam? Sie würde sich das nicht bieten lassen. Morgen früh vor der Arbeit würde sie auf dem Polizeiposten vorbeigehen.

Donnerstag, 1. Woche

      1. Teil

      Zita Elmer nahm Valeries Anzeige entgegen. Sehr viel konnte sie nicht tun. Sie würde abklären, ob anderswo in der Stadt in der letzten Zeit weitere Anzeigen wegen ähnlicher Belästigungen eingegangen waren, und das Paket würde sie beim Technischen Dienst auf Fingerabdrücke und andere Spuren untersuchen lassen. Vielleicht konnte man auch herausbekommen, wo der Fisch herkam.

      »Früher, als es noch keine Computer gab, wurden anonyme Briefe so zusammengebastelt. Heute könnte man sie einfach tippen. Vielleicht stammt der Schrieb von einer älteren Person, die nicht mit einem Computer umzugehen weiß, überlegte sie. Haben Sie eine Ahnung, wer Ihnen bös will?«

      »Darüber habe ich mir wirklich den Kopf zerbrochen«, seufzte Valerie, »aber ich kann es mir nicht vorstellen. Natürlich gibt es ab und zu mal Kunden, die unzufrieden sind und sich beschweren. Und vor ein paar Wochen hatte ich eine kurze Affäre mit einem Mann, der es mir übel nahm, als ich nichts weiter von ihm wollte. Aber das sind alles keine Gründe für eine solche Bosheit.«

      »Geben Sie mir trotzdem den Namen jenes Mannes und der Kunden, mit denen Sie in letzter Zeit Auseinandersetzungen hatten.«

      Valerie gestand, von jenem Mann nur den Vornamen zu kennen, was ihr ein bisschen peinlich war. »Krach hatte ich kürzlich mit einer Kundin, Angela Legler. Aber ich bin praktisch sicher, dass die Stimme am Telefon einem Mann gehört hat. Und ich kann sie mir auch nicht beim Basteln eines solchen Briefs vorstellen.«

      Zita Elmer gab Valerie ihre private Handynummer. »Unter Polizeischutz können wir Sie nicht stellen«, entschuldigte sie sich.

      Valerie wehrte ab. »Das will ich auch gar nicht, das brauche ich nicht. Ich käme mir ja komisch vor mit einem Bodyguard.« Es gelang ihr ein Lächeln, auch wenn es etwas verrutscht aussah.

      »Sie können mich jederzeit auch außerhalb meiner Dienstzeiten anrufen, wenn wieder etwas geschieht.«

      »Danke.« Valerie ging zum FahrGut hinüber und Zita Elmer bestellte einen Kurier, der das unappetitliche Fischpaket zur Untersuchung bringen würde.

      Valerie war etwas knapp dran, Markus war schon da. »Guck mal, was ich da gefunden habe. Lag am Boden bei der hinteren Türe.«

      Es war ein schmuddliger Briefumschlag,

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