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wollte, musste ich ganz dringend meine Geschichtskenntnisse mit ihr teilen.

      »Das Südvolk lebt, wie der Name schon sagt, im südlichen Teil des Landes«, begann ich. »Der Süden umfasst sehr viele Dörfer und natürlich eine größere Stadt, in der einst der König mit seiner Familie lebte.«

      Flo nickte begeistert, scheinbar kam ihr etwas aus meiner Erzählung bekannt vor. »Die Prinzessin sollte den Prinzen des Nordens heiraten«, warf sie dazwischen.

      Ich nickte zustimmend.

      »Aber sie hat es nicht getan«, schob meine kleine Schwester nachdenklich hinterher. »Warum nicht, Lea? Wieso wollte die Prinzessin den Prinzen nicht heiraten?«

      Darüber musste ich nicht lange nachdenken. »Der Prinz war arrogant und hochnäsig«, erklärte ich geduldig. »Und bestimmt war er auch furchtbar hässlich.«

      Flo kicherte. »Woher willst du wissen, dass er hässlich war?«

      »Das erzählt man sich«, merkte ich an. »Oder fällt dir noch ein anderer Grund ein, warum die Prinzessin ihn nicht heiraten wollte?«

      Daraufhin runzelte meine kleine Schwester die Stirn und verengte ihre Augen – so sah sie immer aus, wenn sie angestrengt über etwas nachdachte.

      »Vielleicht war sie ja in einen anderen Mann verliebt«, mutmaßte sie nach einer Weile und traf damit unbewusst ins Schwarze.

      »Genau das war der Grund«, gab ich bekannt. »Die Prinzessin hatte sich in einen anderen Mann verliebt und weigerte sich deshalb den Prinzen des Nordens zu heiraten.«

      »Und da wurde der Prinz böse«, hauchte Floh.

      »Er wurde sehr böse.« Ich nickte bekräftigend. »Der Prinz griff das Südvolk an, er überfiel unsere Dörfer und tötete dabei viele unschuldige Frauen und Kinder. Damit wollte er die Prinzessin zwingen, ihr Versprechen einzuhalten.«

      Nun wirkte meine Schwester hoch konzentriert. Mit großen Augen schaute sie mich aufmerksam an.

      »Aber der Lichtgott hat ihn bestraft«, sagte sie und nickte dabei mehrmals, sie war von ihrer Antwort völlig überzeugt.

      »Na ja, ganz so einfach war es nicht«, bremste ich ihre Euphorie ein wenig ab. »Der Lichtgott schloss einen Pakt mit der Göttin des Nordens«, erklärte ich. »Weißt du noch, wie die Göttin des Nordens heißt?«

      Nachdenklich kaute Floh auf ihrem Stift herum.

      »Göttin der Schatten?«

      »Die Schattengöttin«, berichtigte ich sanft. »Oder auch Göttin der Dunkelheit. Jedenfalls sorgten beide Götter dafür, dass der Krieg ein abruptes Ende fand. Sie trennten unsere Völker, sodass sie niemals wieder aufeinandertreffen konnten. Von diesem Tag an gab es eine Grenze zwischen dem Norden und dem Süden, die von den Wölfen bewacht wird.«

      »Das Nordvolk wurde bestraft«, wusste Floh zu erzählen. »Sie sind alle genauso böse wie der Prinz.«

      »Ja, das stimmt«, pflichtete ich ihr bei. »Das Nordvolk ist sehr unzivilisiert. Sie überfallen sich sogar gegenseitig und haben vor einander weder Achtung noch Respekt.«

      Floh schaute mich erschrocken an. Sie war gerade neun Sommer alt und musste noch nicht die ganze Wahrheit erfahren. Sie brauchte noch nicht zu wissen, warum unser Vater und all die anderen Männer am Tag vor der Winterruhe tatsächlich unser Hab und Gut sicherten, die Ställe verbarrikadierten und die Fenster an den Häusern mit Brettern vernagelten. Warum unsere Mutter all unsere Lebensmittel versteckte und mehrere Schlösser an unserer Schlafzimmertür anbrachte. Sicherlich hatte Flo das ein oder andere aufgeschnappt, sie ahnte vielleicht, was dahintersteckte. Dennoch würde ich es dabei belassen. Die Träume meiner Schwester sollten auch weiterhin kindlich bleiben, unbeschwert und leicht – zumindest eine Weile noch. War sie erst älter, würde sie noch früh genug erfahren, dass die Winterruhe eine sehr gefährliche Zeit war.

      In der Dunkelheit lauerte das Böse.

      »Lea, Schatz, könntest du mir noch ein paar Nägel bringen?«, rief meine Mutter aus dem Arbeitszimmer und schreckte mich damit aus meinen Gedanken auf.

      »Natürlich.«

      Eilig erhob ich mich vom Tisch, angelte einige Nägel aus der Kiste neben der Haustür und reichte sie an meine Mutter weiter.

      »Wie weit ist Flo mit ihrer Wochenarbeit?«, wollte sie wissen.

      Ich blieb im Türrahmen stehen und schaute dabei zu, wie sie den Wäscheschrank im Schlafzimmer verbarrikadierte.

      »Wir kommen gut voran«, sagte ich, mit einem Blick über meine Schulter.

      Flo hockte, vornübergebeugt am Tisch und schrieb voller Eifer auf ihr Blatt.

      »Sehr schön«, gab Mutter zurück. »Wenn ihr fertig seid, kannst du mir beim Mittagessen helfen.«

      Ohne zu antworten, ging ich zu meiner Schwester zurück.

      War irgendjemand in diesem Haus auch nur ein einziges Mal auf die wahnwitzige Idee gekommen, dass ich vielleicht, aber nur vielleicht, auch noch ein eigenes Leben hatte? Okay, ich war erst vor einigen Monaten siebzehn Sommer alt geworden, aber rechtfertigte das meinen Status als Magd und Kindermädchen?

      »Kann ich nach dem Essen zu Natea rüber?«, fragte ich laut genug, damit mich meine Mutter hören konnte. »Wir wollten uns vor der Winterruhe noch einmal treffen.«

      Meine beste Freundin wartete schon auf mich, weil ich tatsächlich gehofft hatte, ich würde hier früher wegkommen.

      Von wegen!

      »Muss das sein?«, durchdrang die Stimme meiner Mutter kurz darauf das Schweigen. »Ihr seht euch doch in sechs vollen Monden schon wieder, wo ist das Problem?«

      Das Problem bist du!

      Ich war so wütend über ihre Antwort und hatte keine Lust mehr, mir ständig vorschreiben zu lassen, was ich ihrer Meinung nach zu tun hatte. Verdammt noch mal, ich war eine junge Frau, ich wollte endlich meine eigenen Entscheidungen treffen!

      Nur am Rande bekam ich mit, dass mich meine Schwester beobachtete. Also riss ich mich zusammen, tat so, als wäre alles in Ordnung und versuchte mich wieder auf ihre Wochenarbeit zu konzentrieren.

      »Sag mal, seit wann weißt du denn von dieser Aufgabe?«, hakte ich plötzlich skeptisch geworden nach, weil ich einen solchen Bericht etwas zu aufwendig fand, für einen einzigen Tag.

      Flo zog den Kopf ein, während sie antwortete: »Schon ziemlich lange«, gab sie kleinlaut zu.

      Mit zusammengepressten Lippen zischte ich: »Und dann kommst du erst jetzt damit? Am letzten Tag?«

      Da es sowieso keinen Sinn machte, meiner Schwester dafür den Kopf zu waschen – nun war das Kind ohnehin schon in den Brunnen gefallen – tat ich ihre Antwort mit einer lässigen Handbewegung ab und deutete stattdessen mit dem Zeigefinger auf das Blatt Papier.

      »Wie lange dauert die Winterruhe?«, nahm ich unsere Arbeit wieder auf.

      Flo war nicht blöd, sie hatte das Gespräch zwischen Mutter und mir natürlich mitbekommen.

      »Sechs volle Monde«, gab sie grinsend zum Besten.

      »Dann schreib das so auf«, kommandierte ich. »Und schreib am besten noch dazu, von wann bis wann.«

      Flo ließ den Stift sinken und schaute mich ratlos an. Meine mäßig gute Laune sackte endgültig ab. Das hier würde noch viel länger dauern als befürchtet.

      »Vom Herbst bis zum Frühling«, grummelte ich. »Deswegen nennt man es auch Winterruhe.«

      Warum, überlegte ich zerknirscht, schreibe ich den ganzen Mist nicht gleich selbst auf, das würde mir zumindest eine Menge Zeit und vor allem auch Nerven ersparen.

      Während meine kleine Schwester meine Antwort notierte, hing ich weiter meinen Gedanken nach.

      Wenn man meiner besten Freundin Natea glauben konnte, hatte ich das beste Leben von allen,

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