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Wirt. „Weiter nichts?“

      „Nein, kein Wort mehr“, sagte der Jude und ging die Treppe hinunter.

      „Hören Sie mal“, rief ihm der Mann im Flüsterton nach, „hier ist noch ein Schlag zu machen. Phil Barker ist hier – mächtig duhn, dermaßen, daß ihn ein Kind neppen könnte!“

      „So, so! Aber Phil Barkers Zeit ist noch nicht gekommen“, antwortete der Jude leise zurück. „Er hat noch etwas zu tun, ehe wir uns mit ihm verkrachen können. Also gehen Sie nur wieder zu Ihrer Gesellschaft zurück und sagen Sie den Leuten, sie sollen ihr Leben nur ordentlich genießen – wer weiß, wie lange noch. Ha! Ha! Ha!“ –

      Der Wirt stimmte in das Lachen des Alten ein und kehrte zu seinen Gästen zurück. Sobald der Jude allein war, verdüsterten sich seine Mienen wieder. Nach kurzem Besinnen winkte er eine Droschke heran und ließ sich nach Bethnal Green fahren. Ein paar hundert Schritte von Sikes Wohnung stieg er aus und legte den Rest seines Weges zu Fuß zurück.

      „Nun“, brummte der Jude vor sich hin, als er an die Tür klopfte, „wenn man hier ein abgekartetes Spiel mit mir treibt, so werde ich es bald heraushaben, meine Liebe, so verschlagen du auch bist.“

      Fagin schlich leise die Treppe hinauf und trat ohne anzuklopfen in Nancys Zimmer. Das Mädchen war allein und lag mit dem Kopf auf dem Tisch. Das Haar hing ihr in Strähnen herunter.

      „Sie ist betrunken“, dachte der Jude, „Oder ihr ist schlecht zumute.“

      Als der Alte die Tür schloß, wurde das Mädchen durch das Geräusch wach. Sie fragte ihm offen ins Gesicht sehend, was es Neues gäbe, und hörte aufmerksam zu, als er Toby Crackits Bericht wiederholte. Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie nach Beendigung der Erzählung ihre frühere Stellung wieder ein. Sie schob das Licht ungeduldig beiseite, wechselte verschiedene mal nervös ihre Lage und scharrte mit den Füßen. Das war jedoch alles.

      Während sie schwieg, blickte der Jude unruhig im Zimmer umher. Er schien sich überzeugen zu wollen, ob Sikes nicht etwa heimlich zurückgekehrt sei. Durch seine Untersuchung anscheinend zufriedengestellt, hustete er einige mal und machte verschiedene vergebliche Versuche, ein Gespräch mit dem Mädchen anzuknüpfen. Schließlich fragte er im liebenswürdigsten Tone:

      „Und was meinen Sie wohl, Kindchen, wo Bill jetzt ist?“

      Das Mädchen antwortete in kaum verständlichen Worten, sie könne das nicht wissen. Sie schien zu weinen.

      „Und der Junge?“ fuhr Fagin fort und versuchte einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. „Das arme Kindl denken Sie nur, Nancy, sie haben es in einem Graben liegengelassen!“

      „Da ist es besser dran als bei uns“, versetzte das Mädchen aufblickend. „Und wenn es Bill nicht nachteilig wäre, würde ich wünschen, Oliver läge tot im Graben, und seine Gebeine vermoderten dort.“

      „Was?“ rief der Jude in großem Erstaunen.

      „Ja, es ist mein Ernst. Ich bin froh, wenn ich ihn nicht mehr sehen muß und weiß, daß er das Schlimmste überstanden hat. Es ist mir furchtbar, ihn in meiner Nähe zu haben. Wenn ich ihn sehe, muß ich mich selbst und euch alle verabscheuen!“

      „Ach, du bist betrunken, Mädel“, sagte der Jude verächtlich.

      „Wirklich? Deine Schuld ist’s nicht, wenn ich es nicht bin! Wenn’s nach dir ginge, wäre ich immer betrunken, nur jetzt nicht. Meine Gemütsverfassung paßt dir nicht, nicht wahr?“

      „Allerdings nicht“, sagte Fagin aufgebracht.

      „So ändert’s“, versetzte das Mädchen mit einem Auflachen.

      „Werde ich auch“, schrie der Jude, durch die unerwartete Störrigkeit des Mädchens und die Verdrießlichkeiten des Abends im höchsten Grade erbittert. „Paß auf, Dirne, höre gut auf die Worte eines Mannes, der nur drei Worte zu sagen braucht, und Sikes wird gehängt. Wenn er zurückkommt und den Jungen nicht mitbringt – wenn er glücklich davongekommen ist und liefert mir Oliver, tot oder lebend, nicht wieder ab – , so ist es besser, Mädchen, du bringst ihn selbst um, wenn du nicht willst, daß er Bammelmann macht!“

      „Was soll das heißen?“ fragte Nancy unwillkürlich.

      „Das will heißen, daß der Junge mir viele hunderte Pfund wert ist“, schrie Fagin sinnlos vor Wut. „Soll ich, was mir der Zufall gefahrlos in die Hände gespielt hat durch die Dummheiten einer betrunkenen Bande verlieren, deren Leben ich in meiner Hand halte. Und soll ich mich auch noch an einen richtigen Teufel ketten, der die Macht hat und nur zu wollen braucht, um – “

      Er keuchte vor Wut und rang nach Worten, doch plötzlich zügelte er seinen Zorn und nahm sich zusammen. Hatte er vorher noch mit geballten Fäusten in der Luft herumgefuchtelt, so sank er jetzt in einen Stuhl zurück und bebte bei dem Gedanken, eine Schurkerei selbst ausgeplaudert zu haben. Nach kurzem Schweigen sah er sich verstohlen nach Nancy um und war beruhigt, als er sie in der teilnahmslosen Stellung wie zuerst sah.

      „Nancy, Kindchen“, krächzte Fagin jetzt wieder in seinem gewöhnlichen Tone, „hast du alles gehört, was ich sagte?“

      „Ach, laßt mich zufrieden. Ist es Bill diesmal nicht geglückt, dann ein andermal. Er hat manche feine Sache für Euch geschoben und wird’s auch in Zukunft tun. Wenn’s aber nicht geht, dann geht’s eben nicht. Also nun Schluß!“

      „Aber der Junge, Kindchen?“ sagte der Jude und rieb sich nervös die Hände.

      „Ich hoffe, er ist tot“, fiel das Mädchen schnell ein, „und dadurch allem Ungemach, besonders aber Euren Händen entronnen – wenn nur Bill nicht dabei zu Schaden gekommen ist. Das glaube ich jedoch nicht, denn wenn Toby sich in Sicherheit bringen konnte, so kann es Bill jedenfalls zweimal!“

      „Und was meine vorigen Worte anbelangt, liebes Kind“, bemerkte der Jude, und sah sie mit seinen schielenden Augen lauernd an.

      „Ihr müßt es nochmals sagen, wenn Ihr was von mir wollt. Es wäre aber besser, bis morgen zu warten. Für einen Augenblick habt Ihr mich munter gemacht, jetzt ist mir aber schon wieder ganz dämlich zumute.“

      Fagin stellte noch mehrere Fragen an sie, um sich zu überzeugen, ob das Mädchen seine unvorsichtigen Andeutungen beachtet und behalten hätte. Sie antwortete jedoch so unbefangen und ließ sich durch seine lauernden Blicke so wenig in Verlegenheit bringen, daß sich sein ursprünglicher Gedanke zu bestätigen schien, sie hätte zu tief ins Glas geguckt. Nancy war allerdings nicht frei von diesem Laster, das bei Fagins Schülerinnen so häufig war und von ihm auch noch ermutigt wurde. Ihr unordentliches Aussehen und der starke Branntweingeruch, der das Zimmer erfüllte, schien ein Beweis für Fagins Annahme zu sein. Er fühlte sich durch diese Feststellung sehr erleichtert und schickte sich zum Gehen an. Er verließ also seine junge Freundin, die noch immer mit dem Kopfe auf dem Tische lag und schlief.

      Es war elf Uhr und bitterkalt, er eilte deshalb, nach Hause zu kommen. Der scharfe Wind schien die Straßen sowohl von Menschen, als auch von Schmutz leer gefegt zu haben. Für den Juden war der Wind günstig, denn er trieb denselben vor sich her.

      Herr Fagin hatte seine Straßenecke erreicht und wollte eben seinen Hausschlüssel aus der Tasche holen, als eine dunkle Gestalt aus dem tiefen Schatten eines gegenüberliegenden Hauses auftauchte und sich geräuschlos an seine Seite schlich.

      „Fagin!“ flüsterte eine Stimme dicht an seinem Ohre.

      „Ist das – “

      „Ja“, fiel der Fremde schnell ein. „Ich laure hier schon zwei Stunden auf Euch, wo zum Teufel seid Ihr denn gewesen?“

      „War in Ihren Angelegenheiten fort, mein Lieber“, antwortete: der Jude, ihn unruhig ansehend und seine Schritte mäßigend, „die ganze Nacht in Ihren Angelegenheiten.“

      „Das wäre“, versetzte höhnisch der Fremde. „Nun – und was ist dabei herausgekommen?“

      „Nicht viel Gutes“, entgegnete Fagin.

      „Doch auch nichts

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