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etwas von ungeheizter Stube. Der Mann wiederholte jedoch seinen Wunsch so gebieterisch, daß der Jude ihn in sein Haus hineinließ.

      „Hier ist’s dunkel wie im Grabe“, sagte der Mann, ein paar Schritte vorwärts tappend. „Beeilt Euch, Licht zu holen, ich kann so etwas nicht leiden.“

      „Schließen Sie die Tür“, flüsterte Fagin und hatte noch nicht ausgesprochen, als jene mit lautem Krachen zuflog.

      „Dafür kann ich nicht“, sprach der andere und tappte weiter, „der Wind hat sie zugeschlagen. Sorgt für Licht, oder ich stoße mir noch in diesem verwünschten Loch den Schädel ein.“

      Fagin schlich die Küchentreppe hinab und kehrte bald mit einem brennenden Licht und der Kunde zurück, daß Toby Crackit im Hinterzimmer und die Jungen im Vorderzimmer schliefen. Er winkte nun dem Fremden und führte ihn die Treppe hinauf.

      „Wir können uns die paar Worte hier sagen“, meinte Pagin und öffnete im ersten Stockwerk eine Tür. „Da in den Fensterläden Löcher sind und wir unsern Nachbarn nie Licht zeigen, so will ich den Leuchter auf die Treppe stellen. – So!“

      Bei diesen Worten bückte sich der Jude, setzte das Licht auf die Treppe gerade der Zimmertür gegenüber und trat ins Gemach. Mit Ausnahme eines zerbrochenen Lehnstuhles und eines hinter der Tür stehenden alten Sofas ohne Bezug waren weiter keine Möbel vorhanden. Der Fremde warf sich sofort aufs Sofa, indes der Jude den Lehnstuhl näher rückte. Es war nicht ganz finster, denn die Tür stand halb offen; so saßen sie sich zuerst schweigend gegenüber. Nach einer Weile flüsterten sie miteinander, und ein Horcher hätte leicht gewahren können, daß der Fremde mächtig aufgeregt zu sein schien und Fagin sich gegen einige seiner Ausführungen verteidigte. Sie mochten in dieser Weise wohl eine Viertelstunde verhandelt haben, als Monks (mit diesem Namen redete der Jude den Fremden im Laufe des Gespräches an) mit etwas lauterer Stimme fortfuhr:

      „Ich sage Euch, es war schlecht überlegt. Warum habt Ihr ihn nicht hier behalten und einen Taschendieb aus ihm gemacht?“

      „Nun höre einer bloß mal an“, sagte Fagin achselzuckend.

      „Wie, wollt Ihr etwa damit sagen, Ihr hättet’s nicht gekonnt, wenn Ihr gewollt hättet?“ sagte Monks finster. „Habt Ihr es nicht dutzendmal mit anderen Jungen verstanden? Hättet Ihr ein Jahr Geduld mit ihm gehabt, wäre es Euch eine Kleinigkeit gewesen, daß er vom Gericht verurteilt und deportiert worden wäre, vielleicht auf Lebenszeit.“

      „Wem wäre damit gedient gewesen, lieber Freund?“ sagte der Jude unterwürfig.

      „Mir!“ antwortete Monks.

      „Aber mir nicht“, entgegnete Fagin noch demütiger. „Er hätte mir vielleicht noch nützlich werden können. Wenn zwei bei einem Geschäft beteiligt sind, so ist es nur recht und billig, daß beider Vorteil berücksichtigt wird, nicht wahr?“

      „Schön, was weiter?“ fragte Monks ver-drießlich.

      „Ich hatte bald heraus, daß es nicht leicht war, ihn fürs Geschäft zu erziehen. Er war nicht wie die anderen Jungen unter solchen Umständen!“

      „Hol’s der Teufel, nein“, brummte der Mann, „er wäre sonst längst ein Dieb geworden.“

      „Es war unmöglich, ihn zum Schlechten anzuhalten“, fuhr Fagin fort und betrachtete dabei ängstlich Monks Miene. „Mit Drohungen und Strenge war auch nichts bei ihm auszurichten. Was konnte ich tun? Ihn wieder mit Karl und dem Gannef auf Tour schicken? Wir hatten an dem ersten Mal genug, es war für uns alle gefährlich.“

      „Dafür kann ich doch nichts“, bemerkte Monks.

      „Sicher nicht“, versetzte der Jude, „ich klage ja auch nicht, denn ohne diesen Vorfall wären Sie nie auf den Jungen aufmerksam geworden. Sie hätten nie die Entdeckung gemacht, daß er es sei, den Sie suchten. Schön, ich brachte ihn mit Hilfe des Mädchens wieder zurück und jetzt hält sie ihm mit einem mal die Stange.“

      „Erwürgt das Frauenzimmer“, schrie Monks unwirsch.

      „Ja, das geht nicht, lieber Freund“, erwiderte Fagin lächelnd. „Ich kenne diese Art Mädels gut. Sobald der Junge weniger unschuldig sein wird, wird sie sich nicht mehr um ihn kümmern. Sie wollen einen Dieb aus ihm machen. Wenn er noch am Leben ist, werde ich’s nochmal versuchen, und wenn – wenn – “ sagte der Jude und rückte mit seinem Stuhl näher, „doch es ist nicht wahrscheinlich – aber wenn es zum Schlimmsten gekommen ist und Oliver ist tot – – “

      „Dann ist’s nicht meine Schuld!“ fiel Monks mit bestürzter Miene ein und umklammerte Fagins Arm mit zitternden Händen. „Ihr wißt genau, daß ich dabei meine Hand nicht im Spiele hatte. Alles, nur nicht seinen Tod, sagte ich gleich anfangs. Ich will kein Blut vergießen, es kommt stets ans Tageslicht und läßt einem außerdem keine Ruhe. Wenn sie ihn totgeschossen haben, ich bin nicht schuld, verstanden! – Donnerwetter, was ist in dieser verfluchten Kabache los! – Was war das? –“

      „Was?“ schrie der Jude und umfaßte den Erschrockenen, als er aufsprang, mit beiden Armen. „Was – Wo?“

      „Dort!“ brüllte der Mann, nach der gegenüberliegenden Wand stierend. „Der Schatten – ich sah den Schatten eines Weibes in Hut und Mantel, wie einen Hauch an der Wandtäfelung vorbei­gleiten.“

      Beide stürzten aufgeregt aus dem Zimmer ins Treppenhaus. Sie horchten angespannt, allein tiefe Stille herrschte im ganzen Hause.

      „Es war Einbildung!“ sagte Fagin und nahm das Licht auf.

      „Ich will drauf schwören, daß ich’s sah“, versetzte Monks zitternd. „Der Schatten beugte sich vor, als ich ihn zuerst bemerkte und glitt weg, sobald ich von ihm sprach.“

      Der Jude warf ihm einen verächtlichen Blick zu und forderte ihn höflich auf, ihm zu folgen. Sie stiegen die Treppe hinauf und sahen sich in allen Zimmern um, sie waren kahl und leer. Dann stiegen sie zum Hausflur und von da in den Keller hinunter, alles war öde und still wie der Tod.

      „Was sagen Sie nun?“ fragte Fagin, als sie wieder auf dem Hausflur anlangten. „Außer uns sind nur noch Toby und die Jungen im Hause, und die sind gut aufgehoben. Sehen Sie her.“

      Er zog zwei Schlüssel aus der Tasche und erklärte, daß er seine Zöglinge eingeschlossen hatte, um jede Störung ihrer Unterhaltung unmöglich zu machen.

      Herr Monks wurde wankend und gab zu, daß ihm seine aufgeregte Phantasie einen Streich gespielt haben könnte. Die Unterhaltung wollte er heute aber nicht mehr fortsetzen, da es schon ein Uhr sei. So trennte sich denn das würdige Paar.

      Siebenundzwanzigstes Kapitel

      Sucht die Unhöflichkeit eines früheren Kapitels wieder gutzumachen, das eine Dame ohne weiteres im Stiche ließ

      Da es einem Schriftsteller wegen seiner Unbedeutendheit nicht ziemt, eine so wichtige Person, wie ein Gemeindediener ist, mit über die Arme geschlagenen Rockschößen am Kamin stehen zu lassen, bis es dem Geschichtserzähler beliebt, ihn zu erlösen; und da es sich mit seiner Stellung oder seiner Galanterie noch weit weniger verträgt, in ähnlich vernachlässigender Weise eine Dame zu behandeln; der der besagte Beamte zärtliche und verliebte Blicke zugeworfen und süße Worte ins Ohr geflüstert hat, Worte, die aus dem Munde eines solchen Mannes das Herz eines jeden Mädchens oder einer jeden Frau erbeben machen müßten, – so beeilt sich der gewissenhafte Erzähler mit seiner höchst wahren Geschichte.

      Herr Bumble hatte also die Teelöffel abermals gezählt, die Zuckerzange aufs neue gewogen, den Milchtopf noch genauer untersucht und sich über den Zustand der Möbel bis auf die Roßhaarpolster der Stühle herunter die nötige Gewißheit verschafft – ehe ihm auch nur der Gedanke kam, es wäre nachgerade Zeit, daß Frau Corney zurückkehrte. Da fiel Herr Bumble auf den unschuldigen Zeitvertreib, seine Neugierde durch einen Blick in das Innere der im Zimmer befindlichen Kommode zu befriedigen. Um sich zu vergewissern, daß niemand käme, horchte Herr Bumble am Schlüsselloch und fing dann mit der untersten der drei Schubladen an. Die verschiedenen Kleider von gutem Stoff gefielen ihm ausnehmend wohl.

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