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des kleinen hinter dem Laden befindlichen Zimmers sah er Licht schimmern. Er trat heran, um zu sehen, was drinnen vorging. Was sich seinen Augen darbot, war erstaunlich.

      Der Tisch war gedeckt und mit Brot und Butter, Tellern und Gläsern, einem Kruge schäumenden Bieres und einer Flasche Wein besetzt. Am oberen Ende der Tafel rekelte sich Herr Noah Claypole in einem Armsessel und hatte ein mächtiges Butterbrot in der Hand. Dicht neben ihm stand Charlotte und öffnete Austern, die Herr Claypole mit Gier verschlang. Eine ungewöhnliche Röte in der Nasengegend deutete an, daß der junge Herr angetrunken war.

      „Hier ist noch eine riesig fette, lieber Noah“, sagte Charlotte, „die mußt du noch essen, die eine noch.“

      „Wie gut doch Austern schmecken“, bemerkte Herr Claypole, nachdem er sie geschlürft hatte. „Schade, daß man nicht unendlich viel davon essen kann, ohne unwohl zu werden.“

      „Ja, ’s ist wirklich traurig“, stimmte Charlotte zu. „Willst du noch eine, sieh mal diese mit dem schönen Bart?“

      „Kann keine mehr unterbringen“, antwortete Noah, „tut mir leid! – Komm her, Charlotte, ich will dir einen Kuß geben.“

      „Was?“ schrie Bumble, in das Zimmer stürzend, „willst du das nochmal sagen, Bürschchen?“

      Charlotte stieß einen Schrei aus und verbarg ihr Gesicht hinter der Schürze, während Herr Claypole, ohne seine Stellung zu verändern, in trunkenem Schrecken den Gemeindediener anstarrte.

      „Willst du das noch einmal sagen, du schamloser Wicht?“ tobte Herr Bumble. „Wie kannst da so etwas in den Mund nehmen; Schlingel? Und wie können Sie sich unterstehen, ihn dazu zu ermutigen, Sie freches Weibsbild, Sie? Von Küssen reden! Pfui!“

      „Ich wollte es gar nicht“, sagte Noah weinerlich. „Sie küßt mich immer, ob ich es will oder nicht.“

      „Ach, Noah!“ rief Charlotte vorwurfsvoll.

      „Ist’s etwa nicht wahr? Du kannst es nicht abstreiten“, erwiderte Noah. „Immer küßt sie mich und faßt mich ans Kinn und ist zärtlich zu mir.“

      „Schweig!“ schrie Herr Bumble streng.“ Packen Sie sich, Mamsell, und du, Noah, machst den Laden zu und redest kein Wort mehr, bis dein Meister nach Hause kommt – auf deine eigene Gefahr. Wenn er kommt, so sagst du ihm, Herr Bumble sei dagewesen, und der Meister solle morgen früh einen Sarg für ’ne alte Frau nach dem Armenhaus schicken. Hörst du, Bengel? – Küssen! Die Sündhaftigkeit und Verderbtheit der unteren Klassen in dieser Gemeinde ist himmelschreiend. Da müßte das Parlament einschreiten!“ Mit diesen Worten verließ er in würdevoller Haltung das Haus des Sarglieferanten.

      Nun wollen wir uns ein wenig nach dem jungen Oliver Twist umsehen und schauen, ob er noch in dem Graben liegt, wo Sikes und Toby Crackit ihn verlassen haben.

      Achtundzwanzigstes Kapitel

      Sieht sich nach Oliver um und berichtet über seine weiteren Abenteuer

      „Daß euch die Wölfe an die Gurgel führen“, knirschte Sikes und legte den verwundeten Oliver über sein gebeugtes Knie, um sich nach seinen Verfolgern umzusehen.

      Der Nebel und die Dunkelheit ließ nur wenig erkennen. Das Rufen der Menschen und Bellen der Hunde erfüllte die Luft, und schauerlich tönte die Sturmglocke.

      „Halt, du feiger Hund“, rief der Einbrecher Toby Crackit nach, der von seinen langen Beinen den besten Gebrauch machte und schon einigen Vorsprung gewonnen hatte. „Halt!“

      Die Wiederholung dieses Wortes brachte Toby zum Stehen, denn er war sich nicht ganz klar darüber, ob er schon außer Pistolenschußweite sei.

      Sikes schien in einer Laune zu sein, die keinen Scherz vertrug.

      „Hilf mir den Jungen weiterschaffen“, brüllte Sikes, seinem Kumpan energisch zuwinkend. „Komm zurück!“

      Toby tat, als ob er umkehre, wagte jedoch mit leiser, atemloser Stimme einige Einwendungen zu machen.

      „Schneller!“ schrie Sikes, legte Oliver in einen trockenen Graben und zog die Pistole aus der Tasche. „Halte mich ja nicht zum Narren!“

      In diesem Augenblick wurde der Lärm lauter, und als Sikes sich umsah, bemerkte er, daß die Verfolger schon über den Zaun des Feldes kletterten, auf dem er sich befand. Ein paar Hunde rannten bereits vorweg.

      „Ist nichts mehr zu wollen, Bill“, rief Toby. „Laß den Jungen liegen und türme!“

      Mit diesen Worten machte Herr Crackit rechtsum und rannte davon, so schnell ihn die Beine tragen konnten. Sikes knirschte mit den Zähnen, sah sich nochmal schnell um und bedeckte Oliver mit dem Mantelkragen. Dann lief er längs der Hecke hin, um die Aufmerksamkeit der Verfolger von der Stelle, wo der Junge lag, abzulenken. An einer zweiten Hecke, die mit der ersten im rechten Winkel zusammenstieß, stand er still und setzte dann mit einem kühnen Sprung drüber weg, nachdem er noch vorher seine Pistole fortgeworfen hatte.

      „Caesar! Neptun! Hierher! Zurück!“ rief eine zittrige Stimme. Die Hunde, die auch kein großes Vergnügen an der Hetzjagd zu haben schienen, gehorchten sofort. Und drei Männer machten nun halt, um gemeinsam zu beraten.

      „Mein Rat – das heißt mein Befehl – ist, daß wir sofort wieder nach Hause gehen“, sagte der dickste von den dreien.

      „Mir ist alles recht, was Herr Giles für richtig hält“, versetzte ein kleinerer, aber keineswegs schlanker Mann, der sehr blaß aussah und äußerst höflich war, wie man das häufig bei furchtsamen Leuten findet.

      Ich möchte nicht unmanierlich erscheinen, meine Herren“, sagte der dritte Mann, der die Hunde zurückgerufen hatte, „Herr Giles muß es am besten wissen!“

      „Gewiß“, sagte der kleinere, „und was auch immer Herr Giles sagen mag, wir dürfen ihm nicht widersprechen. Ich weiß, was sich gehört. Gott sei Dank weiß ich das!“ Dabei klapperten ihm die Zähne im Munde vor Furcht.

      „Du fürchtest dich, Brittles!“ sagte Herr Giles.

      „Durchaus nicht.“

      „Doch“, meinte Herr Giles.

      „Ist ein Irrtum“, entgegnete Brittles.

      „Du lügst, Brittles!“ rief Herr Giles.

      Der dritte Mann schlichtete den Streit In höchst philosophischer Weise, indem er meinte, daß sie sich alle drei fürchteten.

      „Da mögt Ihr für Euch selbst gesprochen haben“, versetzte Herr Giles, der am meisten blaß war.

      „Allerdings“ erwiderte jener, „es ist doch ganz natürlich, daß man sich in solcher Lage fürchtet. Ich fürchte mich.“

      „Ich auch“, sagte Brittles, „aber es ist unnötig, daß einem das geradezu ins Gesicht gesagt wird.“

      Diese freimütigen Eingeständnisse besänftigten Herrn Giles, der nun auch gestand, daß er sich gleichfalls fürchte. Alle drei machten jetzt kehrt und liefen in schönster Eintracht zurück. Nach einer kleinen Weile bestand der engbrüstige Herr Giles darauf, daß ausgeruht werde, außerdem wolle er sich für seine vorigen übereilten Worte entschuldigen.

      „Es ist doch erstaunlich“, fuhr Herr Giles fort, nachdem er einige Entschuldigungsworte gesagt hatte, „wozu ein Mensch fähig sein kann, wenn sein Blut in Wallung gekommen ist. Ich hätte einen Mord begangen, wenn uns einer der Spitzbuben in die Hände gefallen wäre!“

      Die beiden anderen meinten, sie hätten gegebenenfalls auch gemordet.

      Dieses Gespräch führten die zwei Männer, welche die Einbrecher bei ihrer Tat überrascht hatten, und ein wandernder Kesselflicker, der in einem Nebengebäude ein Nachtlager erhalten hatte. Dieser hatte sich mit seinen zwei Hunden der Diebesjagd angeschlossen. Herr Giles versah in der Villa der alten Dame den Dienst eines Haus- und Kellermeisters, und Brittles war das Faktotum. Er war schon als Kind zu der alten Dame gekommen, und obgleich er bereits in den Dreißigern war, wurde er immer

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