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Zimmer. Dort lag auf einem furchtbar schmutzigen Bett ein Mann lang ausgestreckt und rauchte aus einer langen Tonpfeife. Herr Crackit, denn dieser war es, besaß nicht viel Haare. Weder auf dem Kopfe, noch im Gesicht; die wenigen aber, die er hatte, waren von rötlicher Farbe und in Locken gedreht. Er war etwas über Mittelgröße und augenscheinlich schwach auf den Beinen.

      „Bill, mein Junge“, sagte er, den Kopf nach der Seite drehend, „freue mich, dich zu sehen. Ich fürchtete schon, du hättest die Sache aufgegeben, dann hätte ich die Geschichte auf eigene Faust unternommen. Nanu, wer ist denn das?“

      „Das ist der Junge!“ versetzte Sikes und schob einen Stuhl vor den Kamin.

      „Einer von Fagins Buben?“ fragte Barney mit höhnischem Grinsen.

      „Ach so – von Fagin“, sagte Toby und musterte Oliver aufmerksam. „Ein Prachtjunge für die Taschen der alten Weiber in der Kirche. Sein Ponim ist so gut wie ein Kapital.“

      „Ach, laß das“, sagte Sikes ungeduldig und flüsterte seinem Freunde einige Worte ins Ohr. Herr Crackit brach darauf in lautes Lachen aus und beehrte Oliver mit einem langen Blick der Verwunderung.

      „Nun“, meinte Sikes, indem er Platz nahm, „wenn ihr für uns etwas zu essen und zu trinken habt, her damit. Es wird uns Mut machen, mir wenigstens. Setz dich ans Feuer, Junge, und ruhe dich aus. Du mußt heute nacht mit, weit ist es zwar nicht.“

      Oliver sah ihn schüchtern und verwundert an, rückte einen Schemel an den Kamin und verbarg seinen schmerzenden Kopf in den Händen. Er wußte kaum, wo er war und was um ihn vorging.

      „Da“, sagte Toby, als der Judenjüngling etwas Essen und eine Brandyflasche auf den Tisch stellte. „Auf glückliches Gelingen!“

      Er stand dem Trinkspruch zu Ehren auf, stellte die ausgerauchte Pfeife behutsam in eine Ecke, trat an den Tisch und füllte ein Weinglas mit Brandy. Er hob es hoch und trank es mit einem Zuge aus. Herr Sikes tat das gleiche.

      „Einen Tropfen für den Jungen“, fuhr Toby fort und goß das Glas halb voll. „Hinunter damit, du Unschuld vom Lande!“

      „Ich weiß nicht“, stotterte Oliver mit kläglichem Gesicht, „habe noch nie – “

      „Hinunter damit!“ wiederholte Toby. „Denkst du vielleicht, ich weiß nicht, was dir gut ist? Sag du ihm, daß er trinkt, Bill!“

      „Es wäre gut, wenn er’s täte“, sprach Sikes drohend.

      „Hol mich der Teufel, man hat mit dem Jungen mehr Mühe als mit einer ganzen Familie Ganoven. Sauf, du Teufelsbraten!“

      Eingeschüchtert durch die drohenden Gebärden der beiden, schluckte Oliver den Inhalt hastig hinunter und mußte gleich darauf furchtbar husten. Darob brachen Toby und Barney in ein lautes Gelächter aus, und selbst der mürrische Herr Sikes verzog den Mund zu einem Lächeln. Als Sikes seinen Hunger gestillt hatte, denn Oliver konnte weiter nichts als eine Brotrinde essen, die man ihm aufzwang, legten sich die beiden Männer zu einem kurzen Schlafe nieder. Oliver blieb auf seinem Schemel beim Kamin sitzen, während sich Barney, in eine Decke gehüllt, vor dem Kamin auf den Boden ausstreckte.

      Um halb zwei Uhr sprang Toby Crackit auf und sagte, es wäre Zeit.

      Im Nu waren alle auf den Beinen. Sikes und sein Kumpel vermummten Hals und Kinn mit schwarzen Tüchern und zogen ihre weiten Mäntel an. Barney öffnete einen Schrank und entnahm ihm verschiedene Gegenstände, die er eilig in ihre Taschen verpackte. Nachdem Sikes sich überzeugt hatte, daß von ihren Einbrecherwerkzeugen nichts fehlte, nahm er und Toby einen tüchtigen Knüttel in die Hand und hängte Oliver den Mantelkragen wieder um.

      „Nun los!“ sagte Sikes und streckte seine Hand aus.

      Oliver reichte ihm mechanisch die seinige.

      „Nimm ihn bei der anderen Hand, Toby“, fuhr Sikes fort. „Barney, sieh draußen nach!“

      Dieser ging hinaus und kam mit der Nachricht zurück, daß alles ruhig sei. Die beiden Einbrecher verließen nun mit Oliver in ihrer Mitte das Haus.

      Es war pechschwarze Nacht. Sie gingen über die Brücke und waren bald in Chertsey.

      „Tippeln wir schon durch die Stadt“, flüsterte Sikes. „In dieser Nacht wird niemand unterwegs sein, der uns beobachten könnte.“

      Toby war einverstanden, und so schritten sie hastig durch die Hauptstraße der kleinen Stadt, die zu so später Stunde ganz verödet war. Um zwei Uhr hatten sie das Städtchen im Rücken. Sie gingen nun schneller und bogen in einen Weg ein, der nach links führte. Nach zehn Minuten machten sie vor einer Villa halt, die von einer Mauer umgeben war und welche Toby sofort erklomm.

      „Jetzt den Jungen!“ sagte Toby. „Reiche ihn mir herauf.“

      Ehe Oliver sich’s versah, hatte ihn Sikes hochgehoben und im nächsten Augenblicke lag er neben Toby auf der anderen Seite der Mauer im Grase. Sikes folgte gleich darauf, und dann schlichen sie vorsichtig dem Hause zu. Jetzt wurde es dem armen Jungen, der vor Angst und Schrecken fast wahnsinnig war, zum erstenmal klar, daß die beiden Halunken auf Raub und Einbruch, wenn nicht gar auf Mord ausgingen. Er schlug die Hände zusammen und seinen Lippen entfloh unwillkürlich ein Ausruf des Entsetzens. Seine Augen umflorten sich, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, er wankte und sank in die Knie.

      „Steh auf!« knirschte Sikes wutbebend. „Steh auf, oder ich jage dir eine Kugel durch den Kopf.“ Damit zog er seine Pistole aus der Tasche.

      „Ach, um Gotteswillen, lassen Sie mich doch gehen“, schrie Oliver, „lassen Sie mich doch laufen. Ich will nie wieder nach London kommen, niemals! Ach, seien Sie doch barmherzig und zwingen Sie mich nicht zum Stehlen! Haben Sie doch Erbarmen!“

      Sikes stieß einen fürchterlichen Fluch aus und spannte den Hahn der Pistole. Toby schlug sie ihm aber aus der Hand und hielt Oliver den Mund zu. Dann zog er ihn fort nach dem Hause hin. Er sagte:

      „Pst! Zum Bitten ist jetzt keine Zeit. Wenn du noch einmal die Schnauze aufreißt, kriegst du eins auf den Schädel. Das ist ebenso gut und macht keinen Lärm. – Komm, Bill, brich den Fensterladen auf. Ich wette, daß der Junge jetzt gehorcht. Hab’ schon ältere und erfahrenere Burschen gesehen, die in solcher Lage mit einemmal die Hosen voll hatten.“

      Sikes rief schreckliche Verwünschungen auf Fagins Haupt herab, daß er ihm zu einem solchen Unternehmen einen Jungen wie Oliver geschickt hatte. Er setzte geräuschlos das Brecheisen an, und mit Tobys Beistand war in kurzer Zeit der Fensterladen erbrochen.

      Es war ein kleines Gitterfenster an der Hinterseite des Hauses, etwa fünf Fuß über der Erde. Die Öffnung war zwar klein, aber doch groß genug, um einen Jungen von Olivers Größe durchzulassen. Dank Sikes’ Geschicklichkeit war das Gitter schnell ausgebrochen und kein Hindernis mehr vorhanden.

      „Nun paß auf, kleiner Strolch“, flüsterte Sikes, indem er eine Blendlaterne aus der Tasche zog, „ich steck’ dich jetzt durchs Fenster. Dann gehst du mit der Laterne die Treppe herauf und über den Flur zur Haustür. Die machst du auf und läßt uns herein!“

      „Oben an der Tür ist ein Riegel vor, an den du wahrscheinlich nicht herankannst“, fiel Toby ein. „Du mußt daher auf einen Stuhl klettern, es sind ihrer drei im Flur.“

      Er stellte sich nun unter das Fenster, den Kopf gegen die Wand gestemmt. Die Hände hatte er auf die Knie gestützt, so daß man über seinen Rücken wegklettern konnte.

      Dies tat Sikes sofort und steckte Oliver, mit den Füßen voran, sachte durchs Fenster.

      „Nimm die Laterne“, flüsterte Bill. „Siehst du die Treppe da vor dir?“

      Oliver, mehr tot als lebendig, hauchte „Ja!“ Sikes deutete mit dem Pistolenlaufe nach der Haustür und sagte, daß er ihn für den Fall des geringsten Zögerns sofort erschießen würde. Seine Kugel träfe sicher.

      „In einer Minute kannst du es gemacht haben“, flüsterte Sikes, „Horch!“

      „Was ist

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