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erst geputzt«, schimpfte Anna Leitner weiter. Erst als ihr Mann die Gaststube verlassen hatte, schien sie sich Cornelius’ Anwesenheit wieder bewusst zu werden.

      »Hören Sie nicht auf das, was mein Mann sagt. Er war auf dieser Siegesfeier schon viel zu betrunken, um noch irgendetwas mitzubekommen«, wiegelte sie schnell ab.

      Dass Johann Leitner gerne und oft sturzbetrunken war, glaubte er ihr sofort. Aber so leicht wollte er sich nicht von Sascha Eichinger ablenken lassen. Die Ankunft von Tobias und Sophie verhinderte jedoch, dass er weitere Fragen stellen konnte. Obwohl ihre Tante heftig protestierte, bestand Cornelius darauf, das Eis bezahlen zu dürfen, was ihm ohne Zweifel erste Bonuspunkte einbrachte, auch wenn ihm Sophies Blick, der ihn fast schon frappierend an Ramonas erinnerte, klar zu verstehen gab, dass er seinen Alienstatus dadurch noch längst nicht losgeworden war.

      Auf dem Rückweg in sein neues Zuhause stellte Cornelius fest, dass er innerhalb kürzester Zeit beinahe der Verursacher zweier Autounfälle gewesen wäre, schon einige Bewohner Neukirchens kennengelernt und eine Einladung zu einem Fußballspiel mit dem verfeindeten Nachbardorf erhalten hatte. Langweilig war es bis jetzt wirklich nicht.

      Er stellte auch fest, dass am Ende immer Sascha Eichinger irgendetwas mit allem zu tun hatte. Als er jetzt am Hof der Eichingers vorbeikam, sah er ihn gerade auf einen Traktor steigen. Lächelnd winkte er Cornelius zu. Selbst in schmutziger Arbeitskleidung machte er noch eine gute Figur, und unvermittelt drängte sich Cornelius das Bild seines Bruders auf.

      *

      Ramona und Maria mussten heimlich mit Sandra telefoniert haben, anders konnte er sich den übervollen Kühlschrank, der ihn im Haus der Albrechts erwartete, nicht erklären. Er wollte sich gar nicht ausmalen, welch erbärmliches Bild er vor Lukas und Sandra mittlerweile abgab. Wahrscheinlich hatten sie tatsächlich Angst, Cornelius würde in ihrem Haus verhungern und verdursten, wenn sie ihm die Küche nicht entsprechend ausstatteten. Er musste bald ein ernstes Wort mit seinen drei Damen zu Hause reden – auch wenn klar war, dass sie ihn ohnehin wieder missverstehen würden.

      Seine Pflichten als Hausaufpasser waren darüber hinaus minimal, wie er einem von Sandra geschriebenen Brief auf der Küchenablage entnehmen konnte. Mittwochnachmittag und Samstagvormittag würde Carola Schäfer zum Putzen kommen. Er würde Anna Leitners Schwester also schon am nächsten Tag kennenlernen. Den Abwasch der von ihm produzierten Geschirrberge übernahm eine nicht eben kleine Spülmaschine, deren Bedienungsanleitung er sich später verinnerlichen wollte.

      Ein weiteres unbekanntes Gerät stand ihm in Form eines ultramodernen Herds gegenüber, der keinerlei Knöpfe besaß, sondern, laut Sandras Ausführungen, durch Berühren gewisser Felder auf der Oberfläche zu steuern war. Auch damit wollte er sich irgendwann später beschäftigen.

      Seine Aufgabe, soweit er die wenigen Zeilen richtig deutete, bestand in erster Linie im Gießen des Gartens und der Zimmerpflanzen, im Sammeln der Post und im Beaufsichtigen der Maler, Fliesenleger und Schreiner, die in drei Tagen im noch nicht ganz fertig gestellten ersten Stock mit ihren Arbeiten beginnen würden. Alles Aufgaben, die er sich durchaus zutraute, zumal Sandra an den etwas heikleren Pflanzen überall gelbe Klebezettel angebracht hatte, die ihm genauere Instruktionen gaben. (Spätestens jetzt wusste Cornelius, dass sie mit Ramona und Maria telefoniert hatte.)

      Das Gästezimmer – sein Zimmer für die nächsten vier Wochen – besaß ein eigenes kleines Badezimmer und befand sich im Erdgeschoss direkt neben dem Wohnzimmer. Es hatte eine großzügige Fensterfront und war hell und geschmackvoll eingerichtet. An der Wand gegenüber des Doppelbetts hing eine moderne Darstellung der Akropolis, die, wie die Unterschrift am unteren rechten Bildrand erkennen ließ, Sandra selbst angefertigt hatte. Er stellte erleichtert fest, dass die Matratze sehr hart war und man nicht Gefahr lief, so tief einzusinken, dass man alleine nicht mehr aufstehen konnte. Die dunkelblauen Vorhänge passten farblich exakt zur Tagesdecke und zu den Handtüchern im Badezimmer, was zweifellos ebenfalls Sandras stilsicherem Auge zu verdanken war. Der Kleiderschrank nahm fast die gesamte Türseite ein und hätte problemlos dem Inhalt von Ramonas sämtlichen Koffern Platz geboten. Cornelius trat an das gegenüberliegende Fenster und öffnete es. Warme Frühlingsluft strömte herein. Er stellte fest, dass es sich an der Hausseite befand, die an das Grundstück der Hartmanns angrenzte.

      Dort war im Erdgeschoss ebenfalls ein Fenster geöffnet und gab den Blick in eine gemütliche Küche frei, in der sich jedoch im Moment niemand aufhielt. Während Cornelius noch über seinen Nachbarn und dessen Tochter nachdachte, füllte auf einmal die Gestalt von Wolfgang Hartmann den Rahmen der Küchentür aus. Cornelius trat rasch einen Schritt vom Fenster zurück, um nicht von ihm gesehen zu werden. Sein Einstand war holprig genug verlaufen. Hartmann hielt ihn bereits für einen akademischen Wichtigtuer, er musste ihn nicht auch noch in die Kategorie »neugieriger Großstädter, der sich nur allzu gerne in die Angelegenheiten seiner Nachbarn einmischt« einordnen. Kaum hatte Wolfgang Hartmann die Küchentür wieder geschlossen, klingelte Cornelius’ Mobiltelefon.

      »Tabea, mein Schatz, wie schön, dich zu hören.«

       Kapitel 5

      Und – wie ist er so, dieser Professor Cordelius?«, fragte Carola Schäfer, als sie ihren Sohn und ihre Tochter bei Anna Leitner abholte.

      »Cornelius. Er heißt Gregor Cornelius, nicht Cordelius. Und er ist nett, sehr nett sogar. Frag deine Kinder. Denen hat er gleich ein Eis spendiert«, antwortete Anna, während sie gleichzeitig die erste Runde Bier für den Stammtisch zapfte.

      Die Gaststube begann sich allmählich zu füllen und Anna war froh, dass die beiden Racker endlich abgeholt wurden. Sie liebte ihren Neffen und ihre Nichte über alles, aber Kinder gehörten nicht in die Gaststube, wo laut diskutiert und politisiert wurde, wo man Karten spielte und Fußball schaute und in der Hitze des Gefechts auch der eine oder andere Ausdruck unterhalb der Gürtellinie fiel. Gerade Sophie hatte Ohren wie ein Luchs und schnappte begierig alles auf, was man in ihrer Gegenwart zum Besten gab. Wörter, die nicht zum Vokabular einer Fünfjährigen gehörten, hatten es ihr besonders angetan.

      »Also meinst, dass gut mit ihm auszukommen ist?«

      Anna blickte ihre jüngere Schwester verwundert an. »Ja, freilich. Warum denn nicht? Was machst du dir denn auf einmal solche Gedanken?«

      Carola blickte sich einmal kurz um, ehe sie im Flüsterton antwortete. Anna musste sich anstrengen, um über den Lärm, den die Männer am Stammtisch machten, überhaupt ein Wort zu verstehen.

      »Du kannst dir nicht vorstellen, was bei den Albrechts kurz vor ihrer Abreise los war. Alle fünf Minuten hat jemand aus München angerufen: einmal seine Frau, dann irgendeine Haushälterin, dann wieder seine Frau. Die Frau Albrecht war sich zum Schluss nicht mehr sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war, ausgerechnet Lukas’ Patenonkel das Haus anzuvertrauen. Darauf konnte auch nur ein Mann kommen.«

      Anna musste unvermittelt lächeln. »Ich möchte nicht wissen, wie oft du deinem Stefan hinterhertelefonierst, wenn der mal nicht zu Hause ist. Ist doch klar, dass seine Frau sich Sorgen macht. Wenn ich da an den Johann denke …« Ihre Miene verdüsterte sich.

      Mit einem energischen Ruck hob sie das Tablett mit den gefüllten Biergläsern hoch und ging zum Stammtisch, wo sie bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Zurück am Tresen, saß ihre Schwester immer noch dort.

      »Überall hat die Frau Albrecht Merkzettel angebracht. Und ich soll ein Auge auf ihn haben, hat sie mir noch zugeflüstert, bevor sie zum Flughafen gefahren sind. Der ist die Sache auch nicht mehr ganz geheuer, da bin ich mir sicher. Aber was soll ich denn zu ihm sagen?«

      »Frag ihn halt, ob du ihm bei irgendetwas helfen kannst, wenn du das Gefühl hast, er kommt nicht zurecht.« Anna verlor allmählich die Geduld. »Und im Übrigen sollte die Sandra Albrecht froh und dankbar sein, dass sich jemand für vier Wochen um ihr Haus und die ganzen Handwerker kümmert. Wer hat denn schon so viel Zeit und kann zu Hause alles liegen und stehen lassen? Ich hätte sie hören wollen, wenn sie nicht nach Griechenland hätte mitkommen können.« In Anna brodelte es, während sie die benutzten Biergläser im Spülbecken reinigte. Dass manche Menschen aber auch immer unzufrieden sein mussten.

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