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Worte dröhnten immer noch in ihren Ohren, als hätte er sie ihr gerade erst entgegengebrüllt.

      Du warst es doch, der mich hierher gebracht und mich in dieser grauenhaften Einöde dann allein gelassen hast, hatte sie zurückgeschrien, aber das Ganze damit nur noch schlimmer gemacht. Er hatte am Ende nur noch Geringschätzigkeit für sie übrig gehabt. Und Mitleid – sie glaubte sogar einen Funken Mitleid in seinen Augen zu erkennen.

      Wie konnte dieses Nichts es nur zulassen, dass sie so erniedrigt wurde? Hatte es ihm nicht gereicht, sie einfach abzuservieren? Musste er vor Benedikt auch noch den entsprechenden Kommentar fallen lassen?

      Sie löste sich für einen Augenblick von ihrem Fernglas und sah auf den Gegenstand, der die ganze Zeit auf dem Beifahrersitz gelegen hatte. Mut, sie brauchte nur ein kleines bisschen Mut, um sich zu überwinden. Danach würden sie von hier wegziehen und alles würde wieder gut werden. Wenn sie nur den Mut aufbrächte …

      Plötzlich stand eine Frau mit ihrem Fahrrad gefährlich nahe hinter dem Pflug. Sie schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein. Durch das Fernglas war das, was sich dort unten abspielte, jedoch gut zu beobachten. Zu ihrem großen Missfallen erkannte Annabelle in der Frau Tanja Rohrbach. Sie arbeitete in einem Friseursalon in Altenberg und hatte zudem mit ihrer Mutter zusammen ein kleines Kosmetikstudio in Neukirchen. Erst gestern war sie zur Maniküre dort gewesen. Mit ihr hat er also auch etwas angefangen, dachte sie. Wut stieg in ihr hoch. Wenn sie das gewusst hätte, hätte Annabelle diesen Laden bestimmt niemals betreten. Tanja Rohrbach war gertenschlank, bildschön und, was weitaus schwerer wog, bestimmt fünfzehn Jahre jünger als sie selbst.

      Allerdings verlief ihr Zusammentreffen mit Sascha nicht unbedingt harmonisch, wie Annabelle mit einem Anflug von Genugtuung feststellen konnte. Steh doch auf, du dummes Ding. Steh doch auf und mach dich nicht so klein vor ihm. Aber ihre Gedanken vermochten Tanja nicht dazu zu bewegen, von der Straße aufzustehen. Die zweite junge Frau auf dem Fahrrad hatte da schon mehr Glück. Die hellroten langen Haare kamen Annabelle ebenfalls bekannt vor, aber sie konnte der Person im Moment keinen Namen zuordnen.

      Sie richtete das Fernglas nochmals auf Sascha Eichinger und drehte es unweigerlich schärfer. Das selbstgefällige Grinsen war verschwunden. Verzweiflung – in seinen Augen, die starr auf die junge Frau mit den hellroten Haaren gerichtet waren, stand die pure Verzweiflung. In diesem Augenblick wusste Annabelle, um wen es sich handelte und was sie selbst zu tun hatte. Mit einer resoluten Handbewegung packte sie das Jagdgewehr auf dem Beifahrersitz und sperrte es in den Kofferraum. Der Motor heulte laut auf und kleine Erdklumpen und Kieselsteine spritzten, während der Wagen mit Vollgas zurück nach Neukirchen fuhr.

      *

      Der Applaus wollte schier kein Ende nehmen. In Ramonas Augen glitzerte es verdächtig und sie wischte sich verstohlen mit der Hand über das Gesicht. Tom hatte ihn die ganze Zeit gefilmt und winkte jetzt fröhlich mit der Kamera. Tabea sah für einen Moment tatsächlich so aus, als wollte sie ans Podium stürmen, um ihn zu umarmen. Cornelius musste sich eingestehen, dass es ihm nichts ausgemacht hätte – ganz im Gegenteil. Aber sie scheuchte nur Tom, der sich nach vermeintlich getaner Arbeit endlich setzen wollte, samt Kamera energisch zurück auf seinen Posten.

      Von Greifenberg hatte ein paar Sekunden huldvoll in die Hände geklatscht und Cornelius dann mit einem fast schon väterlich anmutenden Lächeln zugenickt, das ihm wohl sagen sollte, dass er seine Sache zwar nicht brillant, aber immerhin ganz akzeptabel gemacht habe. Cornelius fackelte nicht lange, sondern erklärte den Sektempfang spontan für eröffnet. Er brauchte jetzt dringend etwas zu trinken, und nach Möglichkeit nicht in der Nähe des von Greifenbergschen Duos. Der Hut der werten Frau Baronin hatte in seinem leuchtenden Pink und der vogelnestähnlichen Aufmachung während seiner ganzen Rede wie ein Fixpunkt auf Cornelius gewirkt und ihn an die abenteuerlichen Hutkreationen der englischen Adelsdamen beim Pferderennen in Ascot erinnert. Warum hatte sich Ramona vergangenes Jahr nur im Golfclub anmelden müssen?

      Nachdem Tom gefühlte fünfhundert Fotos von ihm und den anderen Gästen gemacht hatte, er unzählige Hände geschüttelt und mit ebenso vielen Sektgläsern angestoßen hatte, gab es kein Entrinnen mehr. Von Greifenberg gab ihm genau fünf Sekunden, dann …

      »Was muss ich da von Ihrer reizenden Gemahlin hören? Sie wollen uns nicht auf die Kreuzfahrt begleiten?«

      Also hatte Ramona es ihnen schon gesagt. Man hätte auch eine bessere Gelegenheit wählen können, aber ein Blick in ihre Augen sagte Cornelius, dass ihr das Duo keine Chance gelassen hatte.

      Und in der Tat …

      »Ich habe gerade zur lieben Ramona gesagt, dass Sie und Richard unbedingt am Tontaubenschießen teilnehmen müssen, wenn wir an Bord sind, als sie uns doch tatsächlich von Ihrer Absage berichtete«, ereiferte sich das Vogelnest in diesem Augenblick. »Wollen Sie es sich denn nicht noch einmal überlegen?«

      »So leid es mir auch tut, aber ich muss auf diese Reise verzichten. Notorische Seekrankheit, die mich spätestens in der stürmischen Biskaya in die Knie zwingen würde.« Cornelius war selbst erstaunt, wie freundlich seine Antwort klang.

      Was aber noch viel besser war: Er hatte nicht einmal lügen müssen, um diesem zweifelhaften Urlaubsvergnügen zu entgehen, in das ihn Ramona mit einer Buchung hinter seinem Rücken hineinzumanövrieren versucht hatte. Ihm wurde schon schlecht, wenn er an das Wort »Schiff« nur dachte, und mit Schaudern erinnerte er sich an sein bisher einziges Seeabenteuer, das ihn einst als jungen Studenten von Calais nach Dover gebracht hatte. Er hatte danach sein letztes Erspartes investiert, um von England aus zurückfliegen zu können – und wäre notfalls auch durch den Ärmelkanal geschwommen. Nichts und niemand hätten ihn damals noch einmal auf eine Fähre gebracht. Und kein noch so geschickter Schachzug seiner Frau brachte ihn jetzt auf ein Kreuzfahrtschiff, das sich drei Wochen auf hoher See befinden würde. Da mochte die Gesellschaft an Bord noch so illuster und Ramona in ihrer Überzeugung, er bilde sich die Seekrankheit nur ein, noch so standhaft sein.

      »Tja, mein Lieber. Da braucht man eben etwas Mumm in den Knochen«, hallte es in diesem Augenblick durch die Aula.

      Cornelius’ Hand, die das Sektglas hielt, zuckte kurz, und er war drauf und dran, in derselben Lautstärke kundzutun, was er von Professoren hielt, die Teile ihres Forschungsfreisemesters auf einem Luxusdampfer verbrachten, anstatt sich eben jener Forschung zu widmen. Aber er dachte einmal mehr an Ramona und begnügte sich schließlich mit einem knappen: »Dann kann ich Ihnen meine Frau ja guten Gewissens anvertrauen!«

      »Was machen Sie eigentlich in der Zeit, in der wir an Bord sind?«, fragte Caroline von Greifenberg entgeistert und ganz so, als ob es außerhalb dieses Schiffs keine Überlebensmöglichkeit geben würde. Cornelius sah, wie auch ihr Mann plötzlich neugierig die Ohren spitzte.

      »Das, Gnädigste«, flüsterte er deshalb geheimnisvoll, »ist zu delikat, um es auszusprechen.«

      *

      »Du willst aufs Land ziehen? Wie kommst du denn auf diese unmögliche Idee?«

      Tabea starrte ihren Vater entsetzt an. Sie hatte so laut gesprochen, dass sich die Gäste an den anderen Tischen nach ihnen umdrehten, aber obwohl sie sonst auf ihre Etikette und ihr Auftreten sehr viel Wert legte, störte sie sich in diesem Augenblick kein bisschen daran. Ihre kunstvoll hochgesteckten blonden Locken bebten bei jeder Bewegung und schienen ihrer Empörung nur noch mehr Nachdruck zu verleihen. Ihre Wangen glühten fast vor Aufregung.

      »Was heißt hier ›aufs Land ziehen‹. Ich werde nicht umziehen, sondern lediglich ein paar Wochen im Haus von Lukas und Sandra verbringen. Das ist alles«, versuchte Cornelius sie zu beruhigen.

      Es war zwei Tage nach seiner Verabschiedung. Cornelius hatte Tabea zu einem gemeinsamen Mittagessen abgeholt, um ihr seine vor einigen Tagen gefassten Pläne mitzuteilen. Ihre Reaktion war wie erwartet und er verstand plötzlich, warum Ramona ihm diese Unterhaltung gerne alleine überlassen hatte.

      »Das macht Mama niemals mit. Die hält das in diesem Dorf doch keine fünf Minuten aus. Außerdem wolltet ihr doch eine Kreuzfahrt machen!«

      »Deine Mutter will eine Kreuzfahrt machen, nicht ich. Deshalb werde ich auch alleine nach Neukirchen

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