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grinste nur.

      Nachdem sie den Großstadtverkehr hinter sich gelassen hatten, ging es auf der Autobahn Richtung Flughafen zügig voran. Jetzt, Ende April, war noch keine Urlaubszeit und mit ein bisschen Wehmut musste er daran denken, dass in wenigen Tagen das Sommersemester an der Universität beginnen würde.

      »In Neukirchen wird am ersten Mai bestimmt ein Maibaum aufgestellt«, sagte Ramona. »Vielleicht wirst du ja die nächsten Tage zum Wachdienst abkommandiert, damit ihn niemand klauen kann. Das macht man doch auf dem Land so, nicht wahr?«

      »Ja, mein Schatz, das wird dort durchaus noch so gehandhabt. Ich erinnere mich sogar daran, dass Lukas etwas in der Art erwähnt hat. Allerdings glaube ich nicht, dass sie einem Ortsfremden gleich so eine heikle Aufgabe anvertrauen werden. Ein Maibaumdiebstahl ist schließlich eine ernste Sache.«

      »So ein Unsinn. Wie kann man nur wegen eines angemalten Holzstücks so ein Theater verursachen. Bin ich froh, dass ich das nicht mitmachen muss.«

      Cornelius fand die Aussicht auf eine feierliche Maibaumeinweihung mit einem richtig zünftigen Dorffest im Anschluss eigentlich sehr vielversprechend.

      »Wer weiß, vielleicht versucht Neukirchen sogar, den Maibaum eines anderen Dorfs zu stehlen und ich werde zum Schmiere stehen eingeteilt.« Er lachte. »Das wäre ja was.«

      Ramonas sorgfältig geschminkten Brauen wanderten nach oben. »Gregor, ich hoffe doch sehr, du lässt dich dort nicht in irgendwelchen Unsinn mit hineinziehen. Auch wenn du jetzt im Ruhestand bist, denk bitte daran, dass ich auch einen Ruf zu verlieren habe.«

      Er wusste zwar nicht, ob der Diebstahl eines niederbayrischen Maibaums es bis in die Münchner Boulevardpresse schaffen würde, dennoch gelobte er an dieser Stelle feierlich, sich von allem fernzuhalten, das nach Ärger oder – wie sie es nannte – Unsinn aussah, um ihre gesellschaftliche Position, um die es ihm selbst noch nie besonders bange war, nicht zu gefährden.

      An der nach wie vor hochgezogenen Augenbraue erkannte Cornelius, dass seine Frau von seinen Beteuerungen alles andere als überzeugt war. Zum Glück hatten sie in diesem Moment den Flughafen erreicht und sie musste ihre Aufmerksamkeit notgedrungen den unzähligen Taschen und Koffern schenken, die es nun aus dem Auto zu bugsieren und auf einen Gepäckwagen zu hieven galt. Dies war natürlich seine Aufgabe, aber irgendjemand musste das Ganze ja auch dirigieren.

      Es dauerte eine Weile, bis sie der entgeisterten Angestellten am Schalter erklärt hatte, dass der voluminöse Kofferberg ihr Gepäck sei, das selbstverständlich abgefertigt werden müsse. Nachdem sie eine – in seinen Augen – horrende Summe für Übergepäck bezahlt hatte, wandte sie sich ihm lächelnd zu. »Jetzt heißt es Abschied nehmen.«

      Obwohl sie ihn mit dieser Kreuzfahrt hätte jagen können, verspürte er plötzlich eine Art Trennungsschmerz. Tabea hatte recht: Ramona und er waren, seit sie sich kennengelernt hatten, noch nie wirklich lange ohne den anderen gewesen – und schon gar keine vier Wochen. Er bemerkte, dass es ihr genauso ging. Umständlich nestelte sie an seiner – von ihr am Morgen ohnehin tadellos gebundenen – Krawatte herum.

      »Und wenn du es gar nicht aushältst, dann fahr nach Hause – oder komm hinterher, und wir gabeln dich in einem der Häfen auf«, sagte sie ungewohnt sanft.

      *

      Neukirchen war genau das, was man sich unter einem idyllischen Motiv für einen Postkartengruß aus Bayern vorstellte. Es lag knapp dreißig Kilometer von Landshut entfernt in einem ebenen Landschaftsabschnitt mit nur einigen sanften Hügeln im Hintergrund und gehörte auch unter den Dörfern zu den eher kleineren Vertretern dieser Spezies. Doch immerhin besaß es neben zahlreichen Bauernhöfen einen eigenen Gemischtwarenladen und – genau gegenüber der schmucken Kirche mit ihrem markanten gotischen Turm – ein stattliches Gasthaus. All das nahm Cornelius aufmerksam wahr, als er nach zwei Stunden Fahrt die dörfliche Hauptstraße entlangrollte, die sich gleichsam L-förmig an den Häusern vorbeizog. Von ihr gingen nur drei weitere Straßen ab – eine direkt neben dem Gasthaus, das sich in etwa der Ortsmitte befand, und zwei weitere am westlichen Dorfende. Diese Beobachtung hatte er jedoch nicht seinem aufmerksamen Auge zu verdanken, sondern Tabea, die alles, was sie über Neukirchen im Internet finden konnte, für ihn ausgedruckt hatte. Er musste zugeben, dass es nicht gerade viele Seiten waren – genau genommen zwei –, die sie ihm schließlich mit einem Da-siehst-du-mal-was-das-für-ein-kleines-Nest-ist-Blick präsentiert hatte.

      Die Tatsache, dass er momentan nur sehr langsam fuhr, lag daher nicht an dem undurchdringbaren Straßendschungel Neukirchens, in dem er sich nur mühsam zurechtfand, sondern an einem Traktor mit Anhänger, der seit etwa dreihundert Metern vor ihm her zockelte und in regelmäßigen Abständen etwas von dem Mist verlor, den er auf seinem Anhänger transportierte. Da aber das Haus von Lukas und Sandra gemäß telefonischer Beschreibung jeden Moment auf der linken Seite auftauchen musste, verzichtete Cornelius darauf, ihn zu überholen.

      Hauptstraße 22 – er war am Ziel angekommen. Vorsichtig bog Cornelius in die kiesbedeckte Einfahrt des zweistöckigen Neubaus. Den Baugrund hatte Sandra von ihrer Großmutter geerbt, die sich beharrlich geweigert hatte, ihn der Gemeinde zu verkaufen. Sandra war im Nachbardorf aufgewachsen und liebte – genau wie Lukas – das Landleben. Also hatten sie sich nach fast zwanzig Jahren in der Großstadt entschlossen, nach Neukirchen umzuziehen. Das Haus, das schließlich entstanden war, war zweifellos ein Neubau, dennoch passte es sich mit seinem verwinkelten Baustil, den Holzbalken und grünen Fensterläden wunderbar der ländlichen Umgebung an.

      Als Cornelius durch den kleinen Vorgarten auf die Eingangstür zuging, fiel ihm ein, dass der Schlüssel im Gasthaus für ihn hinterlegt war, da Lukas und Sandra bereits seit zwei Tagen in Griechenland waren. Das hatte er vollkommen vergessen.

      Er beschloss spontan, das Auto stehen zu lassen und die kurze Strecke zu Fuß zu gehen. Vielleicht lernte er ja gleich seine zukünftigen Nachbarn kennen. Direkt nebenan stand ein stattlicher Bauernhof. Ein gepflegtes und mit zahlreichen Holzverkleidungen versehenes Wohnhaus befand sich auf der zur Nummer 22 angrenzenden Seite. Der große Innenhof mit einem wunderschönen Brunnen trennte es von den Wirtschaftsgebäuden und den Stallungen auf der anderen Seite. Cornelius vernahm das gedämpfte Wiehern von Pferden und entdeckte eine schwarze Katze, die sich vor dem Brunnen in der warmen Nachmittagssonne räkelte. Davon abgesehen war jedoch niemand zu sehen.

      In diesem Augenblick hörte Cornelius hinter sich ein energisches Hupen und ein schwarzer Sportwagen, dessen Fahrer ohrenbetäubend laute Musik hörte, donnerte haarscharf an ihm vorbei und raste in den Innenhof. Direkt vor dem Eingang des Wohnhauses kam das Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen.

      Cornelius war erschrocken zwei Schritte zurückgestolpert und dabei unweigerlich vom Gehsteig auf die Straße getreten, auf der sich soeben ein weiterer Wagen von hinten näherte. Dessen Fahrer wich im letzten Moment aus, versuchte gleichzeitig zu bremsen, kam aber auf der Mistspur, die der Traktor hinterlassen hatte, ins Schleudern und rammte beinahe ein Toilettenhäuschen, das für eine Baustelle am gegenüberliegenden Haus aufgestellt war. Nur wenige Zentimeter davor hielt der Wagen schließlich an.

      Dies alles geschah innerhalb weniger Sekunden und so blitzschnell, dass Cornelius nur mit offenem Mund dastand und zu keiner Reaktion fähig war. Erst als der Fahrer des Wagens wutentbrannt ausstieg und schimpfend auf ihn zu rannte, erwachten seine Lebensgeister wieder.

      »Was laufen Sie denn mitten auf der Straße herum?«, brüllte der Mann. Er war Mitte fünfzig und hatte hellbraunes, an manchen Stellen schon leicht ergrautes Haar. Während er schrie, blieben seine Augen seltsam leblos. Wie überhaupt sein ganzes Gesicht einen abgekämpften und erschöpften Eindruck machte.

      »Beinahe hätte ich Ihretwegen das Auto an diesem Klohäusl angeschrammt. Und wenn es ganz blöd gelaufen wäre, dann hätte ich Sie auch noch überfahren!«

      Somit war wenigstens von Anfang an klar, wer beziehungsweise was hier wirklich wichtig war. Es war diese Aussage, die Cornelius endlich seine Stimme und seine Haltung wiederfinden ließ.

      »Was kann ich dafür, wenn ich mitten auf dem Gehsteig beinahe von diesem Sportwagen angefahren werde. Irgendwo musste ich ja schließlich hin.«

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