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bebten dieses Mal so stark, dass er beinahe Angst bekam. Die Aufmerksamkeit des halben Restaurants war ihnen mittlerweile sicher, denn Tabea hatte nicht viel leiser gesprochen – ganz im Gegenteil.

      Er lächelte den beiden älteren Damen am Nebentisch entschuldigend zu, was allerdings nicht die erhoffte Wirkung hatte. Für sie schien das Ganze jetzt erst richtig interessant zu werden, denn sie starrten das ungleiche Vater-Tochter-Paar weiter unverhohlen an.

      »Was soll das heißen, ihr werdet eine Art Auszeit nehmen? Ihr wollt euch scheiden lassen, nicht wahr?« Und nach einer kurzen Pause: »Aber ihr seid doch meine Eltern – das geht nicht!« Tabea hatte manchmal eine sehr einfach konstruierte Logik, der nicht viel entgegenzusetzen war.

      »Unsinn, mein Schatz. Niemand spricht hier von Scheidung. Wir brauchen einfach beide ein bisschen Ruhe und Erholung und das dort, wo sich jeder von uns am wohlsten fühlt. Deine Mutter auf einem Kreuzfahrtschiff und ich eben auf dem Land.«

      »Aber dieses Getrenntsein habt ihr doch bisher auch nicht gebraucht. Warum denn jetzt auf einmal? Könnt ihr denn nicht irgendwo Urlaub machen, wo es euch beiden gefällt?«

      Er musste zugeben, dass diese Frage durchaus ihre Berechtigung hatte. Das Schwierige an der Sache war, dass Cornelius die Antwort darauf selbst nicht wusste. Das heißt, er wusste sehr wohl, dass er nicht mit dem von Greifenbergschen Duo auf eine Kreuzfahrt gehen würde – auch Ramona zuliebe nicht. Deswegen hatte er nicht gezögert, als sein Patensohn Lukas ihn gefragt hatte, ob er für vier Wochen sein Haus in Neukirchen hüten wolle. Lukas hatte die einmalige Chance bekommen, mit seiner Frau eine Griechenlandexpedition zu leiten, wollte aber ihr neu gebautes Haus samt diverser Handwerker nur ungern so lange alleine lassen.

      Lukas’ Erleichterung nach seiner Zusage entnahm Cornelius, dass sie wohl auch nicht wussten, wen sie sonst mit dieser heiklen Aufgabe hätten behelligen können. Ramona hatte genau zwei Sekunden gebraucht, um über seinen Vorschlag, die nächsten Wochen gemeinsam in Niederbayern auf dem Land zu verbringen, nachzudenken. Er brauchte ungefähr ebenso lange, um sein Urteil über die von ihr geplante Kreuzfahrt zu fällen. Und da sie sich selten so schnell so uneins waren, stand weitere vier Sekunden später fest, dass – ausnahmsweise – jeder seinen Urlaub so verbringen würde, wie er wollte. Moderne Ehepaare machten so etwas nun einmal, hatte Ramona hinzugefügt. Und da er zwar offensichtlich nichts von moderner Lehrstuhlführung verstand, sich aber nicht nachsagen lassen wollte, ein unmoderner Ehemann zu sein, willigte er ein. Dies versuchte er nun seiner Tochter zu erklären, erntete dafür allerdings keine Anerkennung.

      »Mama und du, ihr seid beide über sechzig! Wozu willst du denn plötzlich modern sein? Du warst noch nie modern, Papa. Natürlich fährst du mit Mama auf die Kreuzfahrt. Gegen deine Seekrankheit gibt es doch Tabletten.«

      Und damit war für Tabea das Thema offensichtlich erledigt, denn sie widmete sich wieder ganz der Speisekarte. Cornelius musste sich eingestehen, dass es ihm im Grunde genommen egal war, ob er ein moderner Ehemann war oder nicht. Die Wahl zwischen Ruhe und Frieden in einem kleinen malerischen Dorf oder einem nervtötenden Urlaub mit Baron von und zu stellte sich ihm nicht wirklich.

      *

      Zu Tabeas großem Entsetzen ging es dieses Mal ausnahmsweise nicht nach ihrem Kopf. Ihre Eltern ließen sich von ihren Plänen nicht abbringen.

      »Irgendwie rührt mich Tabeas Sorge um unsere Ehe. Ich konnte ihr nur mit Mühe ausreden, dass sie kein Scheidungskind werden wird«, sagte Cornelius lächelnd. Er stand an der Tür des gemeinsamen Schlafzimmers und sah seiner Frau beim Packen ihres mittlerweile vierten Koffers zu. Für ihn grenzte es jedes Mal an ein Wunder, wie man erstens überhaupt einen so großen Kleiderschrank haben konnte und zweitens so viel davon in den Urlaub mitnehmen musste.

      Als Ramona auf seinen Kommentar nichts erwiderte, sondern schweigend eine ihrer Seidenblusen faltete, verspürte Cornelius eine plötzliche Unruhe. Vielleicht wusste Tabea ja viel mehr als er selbst. Die Hauptbetroffenen erfuhren es ja meistens erst als Allerletzte, das hörte man doch immer wieder.

      Ramona hielt mitten in der Bewegung inne und blickte ihn verwirrt an. »Scheidung? Was redest du denn da für einen Unsinn. Ich habe nicht vor, mich von dir scheiden zu lassen. Auch wenn ich wirklich nicht weiß, was du in diesem Provinznest willst«, sagte sie dann mit einem lauten Seufzer und ließ sich erschöpft auf der Bettkante nieder. Das Einpacken des halben Kleiderschranks forderte offensichtlich erbarmungslos seinen Tribut. »Jetzt sind schon vier Koffer voll und dabei habe ich die Schuhe und Taschen noch nicht eingepackt«, murmelte sie und blickte zwischen ihrem Kleiderschrank und dem bedrohlich wachsenden Kofferberg hin und her.

      »Bist du sicher, dass du alles brauchst, was du bisher eingepackt hast?«, versuchte er ihr seine Hilfe anzubieten, womit er sich jedoch nur einen weiteren vorwurfsvollen Blick einhandelte.

      »Also Gregor, davon verstehst du nun wirklich nichts. Wie sehen denn eigentlich deine eigenen Vorbereitungen aus? Du wirst mir doch nicht im Ernst weismachen wollen, dass du bereits für vier Wochen gepackt hast?«

      Cornelius kam nicht mehr dazu, ihr seine – mit wesentlich weniger Aufwand verbundenen – Reisevorbereitungen zu erklären, denn in diesem Augenblick eilte sie auch schon aus dem Schlafzimmer und rief nach Maria. So gerne Cornelius ihre Perle im Haushalt, wie Ramona und er sie liebevoll nannten, auch mochte – sie wollte er im Moment wirklich nicht sehen. Maria hatte sich regelrecht mit Tabea verbündet, kaum dass sie durch seinen entsetzten Nachwuchs von seinen Plänen erfahren hatte – fest davon überzeugt, dass er, auf sich alleine gestellt, innerhalb kürzester Zeit verhungern und verdursten würde.

      »Haben Sie mal nachgeschaut, was mein Mann alles eingepackt hat?«, wurde sie in diesem Moment auch gleich von seiner Frau begrüßt, als sie, mit einem überdimensionalen Staubwedel bewaffnet, in der Tür stand.

      »Natürlich, Frau Professor (Maria nannte Ramona schon immer »Frau Professor«, obwohl Cornelius derjenige in der Familie war, dem dieser akademische Titel offiziell verliehen worden war, aber das störte hier niemanden wirklich), ich habe schon darauf geachtet, dass er sich die richtigen Sachen einpackt. Obwohl mir ja schon wohler wäre, wenn ich mitfahren würde. Er kann sich alleine doch überhaupt nicht richtig versorgen.«

      »Meine Worte, liebe Maria, aber er ist nun einmal davon überzeugt, dass ein niederbayerisches Dorf seine wahre Bestimmung ist.«

      Cornelius fiel plötzlich auf, dass die beiden miteinander sprachen, als ob er gar nicht im Raum wäre. Jetzt fehlte eigentlich nur noch, dass Maria ihn »einen armen Mann« nannte und sein Rang in diesem Haushalt wäre endgültig klar.

      In diesem Moment hörte er Tabeas Stimme auf dem Treppenabsatz und er suchte schleunigst einen Fluchtweg aus dem Schlafzimmer – vorbei an sich türmenden Kofferbergen und einem protestierenden Fräulein Tochter.

      »Wir machen uns doch nur Sorgen um dich, Papa«, war das Letzte, das er hörte. Mit einem erleichterten Seufzen ließ er die Tür zu seinem Refugium, in anderen Haushalten auch Büro oder Arbeitszimmer genannt, zufallen.

       Kapitel 3

      Zwei Tage später war es so weit. Nachdem er allen haushälterischen und töchterlichen Einwänden widerstanden und es – nach dreimaligem Umpacken – auch geschafft hatte, den Kofferberg seiner Frau und seine eigenen zwei Reisetaschen im Auto zu verstauen, hieß es Abschied nehmen. Cornelius würde Ramona zum Flughafen und von dort weiter in sein eigenes Urlaubsdomizil fahren. Davor musste er Maria hoch und heilig versprechen, sofort anzurufen, wenn er sich »in diesem fremden Haushalt mit all den unbekannten Geräten« nicht zurechtfinden sollte. (Cornelius musste an dieser Stelle insgeheim zugeben, dass er sich auch in seinem eigenen Haushalt mit all den bekannten Geräten nicht besonders gut zurechtfand, aber dies laut zu äußern hätte eine sofortige Vernichtung seiner Pläne bedeutet.) Er konnte Maria auch so gerade noch davon abhalten, ihm einige Brote für die – knapp zweistündige (!) – Fahrt zu schmieren und Notfallkonserven in eine seiner Reisetaschen zu packen.

      »Ruf mich bitte sofort an, wenn du dort angekommen bist, Papa. Und am Wochenende besuche ich dich natürlich«, sagte Tabea.

      Cornelius

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