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Berit und ich sie zum Essen eingeladen haben. Ja. Zwei Tage zuvor habe ich das Moped genommen, das Dreirad, und bin zum Holländerhaus gefahren, wo sie jetzt mit der Feinarbeit im Haus begonnen haben, ich will nicht viel, eigentlich nichts, es geht nur um eine Einladung zum Essen, jetzt am Mittwoch, oder vielleicht am Freitag. Sie dürfen nichts anderes erwarten als norwegische Alltagskost, zum Beispiel geräucherten Schellfisch mit Möhren und zerlassener Butter, und zum Abschluss Knäckebrot mit Milch. Was, wie ich mir jetzt insgeheim einbilde, auf sie doch einigermaßen exotisch wirken muss, oder jedenfalls fremd und spannend.

      Es ist nur ein Gedanke, mit dem ich hier herumspiele. Es wird nichts dabei herauskommen. Wir sind nicht so. Wir laden niemanden ein, und wir sind damit zufrieden. Wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten, und ein Tag ist wie der andere. So wollen wir das.

      Und jetzt, als ich fast fertig bin, kommt Bendik Haga mit seinem Bus vorbei. Schon unten in der Senke und noch lange, nachdem er hinter der Scheune verschwunden ist, drückt er auf die Hupe. Pumpt er an der Hupe herum.

      »Kümmer dich nicht um ihn«, sagt sie. »Bitte!«

      Der Abwasch gehört mir. Meine bevorzugte Hausarbeit. Ich mag diese stille halbe Stunde nach dem Essen. Berit, die im Wohnzimmer beschäftigt ist. Das Geräusch des Radios oder einer Jazzplatte. Die Hände im heißen Seifenwasser. Das scharfe Licht der Leuchtröhre unter dem Hängeschrank. Ich bin gründlich. Wenn ich fertig bin, ist alles leuchtend sauber und eingeräumt. Anrichte und Tisch sind abgewischt. Und der Umgang mit dem heißen Wasser im Becken scheint mich umzuwerfen, denn nach der Arbeit bin ich immer zum Umfallen müde. Die soeben verzehrte Mahlzeit spielt natürlich auch eine Rolle, aber etwas liegt auch an diesem trüben warmen Wasser. Eine Art Ur-Erinnerung, denke ich ab und zu. Etwas, das seit den Zeiten vor der Zeit in den Genen lagert, seit den seichten Pfützen, in denen das Leben auf Erden angeblich seinen Anfang genommen hat. Das ist zumindest eine Theorie, auf die ich mehrmals gestoßen bin, und die mir plausibel erscheint. Seichte Pfützen, die von der Sonne angewärmt werden. Eine Zelle, die sich teilt, oder die mit einer anderen verschmilzt. Wir sind in Gang.

      Ich bin Lilly nie begegnet. Trotzdem lege ich mich fast jeden Tag um diese Zeit in ihr Bett. Ja, nicht selten komme ich auch nachts her. Wie der Kater habe ich mehrere Stützpunkte. Alles geht nach Lust und Laune. Aber um diese Zeit, nach dem Essen, müde und satt von Essen und Abwasch, ist das hier mein Lieblingsort. Lillys enges Mädchenzimmer. Das schmale Bett unter dem schrägen Dach. Es kommt vor, dass ich die Astlöcher in der Täfelung betrachte, oder die Löcher der Heftzwecken, die die Bilder von Popstars festgehalten haben. Und dann denke ich, dass sie so gelegen hat, wie ich jetzt hier liege, aber mit anderen Gedanken und Träumen. Die Kleine. Später die junge Frau. Hier hat sie gelegen und das gehört, was ich jetzt jeden Tag höre, die Schreie der Möwen, den heulenden Wind. Das Maschinendröhnen der Hurtigrute, die Wellen, die gegen das Ufer schlagen. Aber während ich hier liege, mit einem überwältigenden Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein, endlich mein Leben an Land gebracht zu haben, hat sie hier gelegen mit ihren Sehnsüchten danach, die Insel zu verlassen, ja, sogar den Landesteil, sie hat sich die breiten Straßen in Oslo vorgestellt, das Schloss und das Parlament, sie hat sich in die Restaurants und Theater der Stadt hineinfantasiert, zusammen mit neuen und interessanten Freunden, Stadtfreunden, um nicht zu sagen, Stadtmännern, vielleicht übrigens nur einem Einzigen von der Sorte, denn sie streicht doch nicht wie eine läufige Hündin durch die Hauptstadt, dagegen ist sie hier oben sicher geimpft worden. Nur sie selbst und der Stadtmann. Ein einzelnes Glas Wein. Eine Arbeitsstelle. Eine Wohnung. Später, ein Kind. Ein normales Familienleben, aber in der Stadt, in Oslo, mit seinen Warenhäusern mit dem überwältigenden Angebot, ja, Steen & Strøm und Rolltreppen, und mit Männern, die sich benehmen können, die sich nicht in aller Öffentlichkeit in der Nase bohren, oder an noch anderen und schlimmeren Stellen, Männern mit Stil und Manieren. Und ist es nicht natürlich, denke ich. Dass du solche Tagträume über die leuchtende Stadt träumst, wenn du hier oben in Wind und Dunkelheit geboren und aufgewachsen bist, mit einem weiten Weg zum Laden, wo die anderen stehen und über dich herziehen, oder vielleicht sogar deine eigenen Eltern, da stehen sie und zerreißen sich das Maul, und wenn du hereinkommst, verstummen alle, vielleicht kichert nur die Frau an der Kasse ganz vorsichtig. Ist es da nicht natürlich, sich in die Stadt zu träumen, nach Oslo, mit seinem unbegrenzten Warenangebot und seiner wunderbaren Anonymität. Doch. Das verstehe ich. Ich verstehe ihre Sehnsucht nach hochhackigen Schuhen und Sommerkleidern schon im Mai, Sonnenschein mitten im Winter und der urbanen Gemeinschaft. Aber wenn ich versuche, mich mir selbst als kleinen Knaben in diesem Bett vorzustellen, ja, von mir aus auch als jungen Mann, geboren und aufgewachsen hier oben auf einer Insel im Meer – ja, dann würde ich nicht so denken wie sie. Nein, ich bin ganz sicher, dass das nicht der Fall sein würde. Wenn ich hier in diesem Zimmer gelegen hätte, zum Beispiel mit einem Comic oder einem Abenteuerbuch, während der Sturm am Haus riss und zerrte, und während meine Eltern unten saßen und Radio hörten, dann hätte ich im Gegenteil gedacht: Hier will ich bleiben. Ich will immer hier sein. Wenn meine Eltern sterben, werde ich sie in den kargen Boden hinter der Kirche legen, und wenn der Pastor seinen und ich meinen Spruch aufgesagt haben, werde ich zu diesem Haus hier zurückkehren. Allein oder zusammen mit einer Frau. Darauf kommt es nicht so sehr an. Ich werde draußen in der Scheune Holz hacken und es sorgfältig bis zur Decke hoch stapeln, ich werde meine eigenen Mahlzeiten und meinen eigenen Kaffee kochen, und dann werde ich mich in den Schaukelstuhl am Ofen setzen und den Wetterbericht hören. Oder dem fernen Lärm lauschen, aus dem großen Studio in Oslo. Ich werde wissen, da unten sind sie, da sitzen sie und klatschen in die Hände, ich aber lege meine in den Schoß, auf einer Insel im Meer.

      Ja. Das weiß ich. Denn das dachte ich, das war mir sofort klar, als ich hierher nach Viken kam, in diesem Haus, das Berit und Magne Berits Onkel Bernt abgekauft hatten, dass vieles und allerlei so ganz anders hätte kommen können, wenn ich nur in dieser kargen Landschaft hier im Norden geboren worden wäre. Ich hätte keine großen Träume gehabt. Ich hätte garantiert nur den Traum gehabt, hier in Ruhe und Frieden meinen eigenen Kram machen zu dürfen.

      Aber daran hat es in der Stadt gefehlt. An Ruhe und Frieden. Mein eigener Kram wurde zu einer öffentlichen Angelegenheit.

      Die Hurtigrute. Da draußen in der Dunkelheit auf dem Weg nach Norden. Das Geräusch der großen Motoren. Die Wellen, die gegen die Ebbesteine schlagen, wenn das Schiff den engen Sund passiert. Ich bin so schläfrig. Halb denke ich, halb träume ich, ich liege wieder auf der Pritsche in der abgeschlossenen Kabine, es ist so heiß und eng und ungesund, und als der Schlaf mich endlich auf die andere Seite holt, sehe ich durch die Schiffswände den grünen Dschungel, und den schwarzen Strom, der uns auf seinem breiten Rücken trägt, immer tiefer in ein Land hinein, das ich nicht kenne, das zu verstehen mir die Voraussetzungen fehlen, ich kann mich nur festklammern und hoffen, nicht aufs Beste oder aufs Zweitbeste, sondern auf etwas tief unten auf dem Wunschzettel, eine Bagatelle, die das Leben leichter machen könnte, einen kühlenden Windhauch, oder vielleicht die Erinnerung an ein Lächeln. Es riecht nach Eisen und Öl, und meine Kabine liegt in einem goldenen Lichtschein, die Schotten scheinen im Halbdunkel zu glühen, ja, in den Eisenplatten haust eine innere Glut, und draußen zieht das Verlorenland vorüber, ich höre fremde Vögel in den Bäumen schreien, sie hallen durch den Motorenlärm, durch den Dunst aus Öl und Schweiß, und durch alles andere, wie den Gestank verängstigter Männer.

      Und ich träume von einem kleinen Jungen, oder einem kleinen Mädchen, das wechselt. Von einem Kind, das unter dem Bullauge am Tisch sitzt, mit baumelnden nackten Beinen und großen leeren Augen. Ein Kind, verloren in seinen eigenen Gedanken. Und es kommt vor, dass ich mit ihm rede, so, wie ich mich ab und zu an die Kleine wende, die dieses Zimmer bewohnt hat, die in diesem Bett geschlafen hat, sie, die die Tochter von Berit und Magne ist, oder zu dem kleinen namenlosen Jungen, im Grunde geht es wohl nur um ein Kind, weder Junge noch Mädchen, sondern einen Menschen, der neu ist auf einer alten Welt.

      Ich erwache, und mir stößt der Geschmack des Essens auf, der geräucherte Schellfisch, meine Schultern frieren ein wenig, ich ziehe die Schlummerdecke über mich und drehe mich zur Wand. So hat sie hier gelegen und sich in ihre eigene Zukunft hineinfantasiert. Ja, ganz bestimmt. Hier. In der Dunkelheit. Nach Hausaufgaben und Abendessen. Nachdem sie Platten gehört und in Zeitschriften über Pferde und Popstars gelesen hat. So, wie ich selbst in der warmen Dunkelheit in meinem eigenen Kinderzimmer gelegen und mich

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