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zum Strand hinunter zu begeben, der kein Weg ist, sondern irgendeine Idee von Schaf oder Ziege und Regen und Wind; eine Art Streifen durch das Heidekraut, aber was macht das schon, denn da liegt der gesegnete Strand in der Frühlingssonne, und dann geht es an die kleine Strecke zwischen Fähranleger und Haus in Viken, die sich also als alles andere denn als kleine Strecke entpuppen wird, sondern eher als etwas für Menschen mit Sinn für Extremsportarten, Polfahrer, denke ich, als das Unwetter losbricht, als der Wind mit Hagelkörnern groß wie Amseleier um sich wirft. Nach zwei Minuten schon bin ich triefnass und wie gerädert, es sind tatsächlich große Eisklumpen, die mir den Hut vom Kopf schlagen und auf meine nackte Kopfhaut donnern, ich ziehe mir die Jacke über den Kopf und gehe in die Hocke, ich denke, das ist sicher nur ein kleiner Schauer, sie hat geschrieben, dass es hier oben viele Wetter gleichzeitig gibt, sie kann auf der Türschwelle stehen und zusehen, wie ein Wetter ein anderes ablöst, und deshalb hocke ich also hier und warte darauf, dass Wetter Nummer eins von Wetter Nummer zwei abgelöst wird, während ein drittes und ein viertes Wetter über den Strand und die davorliegenden Untiefen streifen, dass zum Beispiel der strahlende Sonnenschein nach einer kleinen Runde über das Inselinnere zurückkehrt. Aber als die Ablösung kommt, als der Hagelschauer verschwindet, meldet sich eiskalter und massiver Regen dienstbereit, der flach vom Fjord hereinjagt, wie irgendein von Menschen geschaffener Klimaknoten, eine biologische Waffe, die ihr eigenes Leben lebt, und hier sitze ich in einer Art aufrechter Embryostellung, und ich lasse und lasse alles über mich ergehen, und es gibt ja auch nichts anderes zu tun, als alles über mich ergehen zu lassen und auszuhalten, denn hier gibt es wie gesagt keinen Unterschlupf, nicht einmal einen winzigkleinen vom Wind zerzausten Busch.

      Und ich würde über den Strand gehen und über die glatt geschliffenen Felsen, würde den Kiefernwald verlassen und sie auf dem Hofplatz Holz hacken sehen, würde ihren Namen rufen, und sie würde sich aufrichten und sich umsehen, würde sehen, wie ich da stehe und den Hut durch die Luft schwenke, wie in einem Film aus alten Zeiten, einem Schwarz-Weiß-Film, hier kommt er, und da steht sie so warm und gut, und der Koffer landet im Heidekraut und die Axt im Kies, und es wird gelaufen, dass die Röcke flattern und der Hut herunterfällt, Umarmungen und Küsse, und alles soll nur schön sein, so bohrend schön und zärtlich und ein wenig wild.

      Aber die Wirklichkeit will es also anders als Träume und Vorstellungen, so ist es ja oft im Leben, so ist es fast immer im Leben, in Wirklichkeit hocke ich hier mit der Jacke über dem Kopf, der teuren Jacke, die vermutlich einlaufen und unbrauchbar sein wird nach der brutalen Begegnung mit diesem Wetter, vor dem ich im Grunde oft genug gewarnt worden bin, worüber ich in Berits vielen Briefen jedenfalls gründlich informiert worden bin, und so kauere ich mitten in meiner Hilflosigkeit da, und dann fällt mir mein Mobiltelefon ein, das sich in der Innentasche der Jacke befindet, und alle Artikel, die ich über diese avancierten technologischen Entwicklungen gelesen habe – die ausgerechnet kein Wasser vertragen, ja, die sogar unter sengender Sonne einen Kurzschluss bekommen können, wegen schweißnasser Handflächen, und was ist dann mit diesem Regen, der mir den Jackenstoff gegen das Rückgrat peitscht? Das geht zum Teufel, denke ich, jetzt geht es zum Teufel mit meinem Mobiltelefon, und als dieser Gedanke gedacht ist, ist es mein nächster Gedanke, dass ich Berit anrufen muss, ehe es zu spät ist, ehe das Mobiltelefon ertrinkt, es ist eine Niederlage, die ich jetzt vor mir sehe, ich sehe das Gegenteil meiner Träume in mir und um mich herum aufsteigen, wie so oft, muss ich wohl zugeben, aber gerade das hier, dass ich also Erfahrung mit persönlichen Niederlagen habe, bringt mich dazu, das Mobiltelefon hervorzuziehen, mich der Schadensbegrenzung zu widmen – das ist eine Aktivität, die ich im Laufe der letzten Jahre trainiert habe, auf dem Oridongo und in der Zeit danach, deshalb ziehe ich jetzt das Mobiltelefon hervor und suche Berits Nummer, das gesegnete grüne Display leuchtet mir aus der Dunkelheit der Jacke entgegen, Berits Name und Nummer, sie meldet sich sofort.

      Was für eine wunderbare Überraschung, dass ich gerade jetzt anrufe! Gerade habe sie noch an mich gedacht. Jetzt müsse ich aber wirklich bald zu Besuch kommen! Es sei so schön hier oben, jetzt im Frühling. Die Zugvögel kehrten schon zurück.

      Berit! Ich habe Schutz unter meiner Jacke gesucht. Es ist eine dünne Jacke.

      Ich brauche eine Weile, um ihr klarzumachen, dass ich mich nicht auf Bygdøy oder an einem anderen Ort am Oslofjord herumtreibe. Dass ich hier bin. Auf Vaksøy. Dass ich sie überraschen wollte.

      Sie sagt, ich hätte sie noch nie so überrascht wie gerade jetzt. Sie sagt, ich sei ein Mann der Überraschungen. Sie sagt, sie wisse fast nicht, was sie sagen solle. Am Strand? Wo denn?

      Ich bin so erleichtert. Jetzt heben sich Stimmung und Lebensfreude. Nass? Na gut. Na und? Jetzt steigen neue Fantasien und Visionen vor mir hoch. Gerettet. Ins Bett geführt. Honig & Rigabalsam.

      Wo am Strand?

      Keine Ahnung.

      Bleib, wo du bist!

      Und ich bleibe, wo ich bin. Ich stehe auf und stehe da am Strand, mit der Jacke über dem Kopf, wie einem winzigen Zelt, ich stehe da und schaue durch den Regen über Inseln und Meer hinweg, ich sehe auf meine ruinierten Schuhe hinunter, und auf den Koffer, dessen Kunstleder große Flecken aufweist, und es sickert und fließt mir über Hacken und Rücken, ein Fluss unter dem Hemd, so stehe ich und heiße Erkältung und Fieber willkommen und habe mir das Mobiltelefon in die Unterhose gesteckt, das ist für den Moment der einzige trockene Ort.

      Und die Zeit vergeht, wie sie das eben macht, und es regnet und regnet, aber jetzt warte ich ja immerhin auf etwas Gutes, auf Berit, ich versinke in einer Art Meditation, ich schalte so viele mentale Leitungen aus wie möglich, ich schließe die Augen und versinke in mir selbst, ich hyperventiliere, ich falle und falle, während ich physisch fest dastehe, fest wie ein Pfahl dort am Strand in dem nassen Sand, während ich auf Wind und Wasser horche – und am Ende auch auf das Geräusch eines Motors, der sich irgendwo hinter mir befindet, es ist ein Fahrzeug, das offenbar näher und näher kriecht, und als ich mich aus Trance und Selbsthypnose reiße, kann ich mich umdrehen und einen Traktor sehen, der langsam vorwärts wackelt, der auf einem Weg, den ich offenbar übersehen habe (in meinem Eifer, zum Strand zu gelangen), hin und her geworfen wird, ein Traktor, der angewackelt kommt, und ich sehe einen gelben Helly-Hansen-Arm, der mir hinter dem Führerhaus zuwinkt, vermutlich von einem Anhänger, und ich winke zurück, gelassenes breites Winken, hier bin ich, hier stehe ich, jetzt bin ich endlich aus der Stadt und hier zu dieser Insel im Meer gekommen, über die ich so viel gehört und gelesen habe, die sich aber dennoch von einer dermaßen überraschenden Seite zeigt, ja, ist es nicht sogar ein bisschen witzig, dass dieser triefnasse Stadtmann da steht und winkt, sodass das Wasser von seinen Fingerspitzen spritzt?

      Doch.

      Sie springt von der Ladefläche und fällt mir um den Hals, noch ehe der Fahrer den Traktor anhalten kann, und da stehe ich nun und registriere, dass ich ganz ohne Scheu in meinen Fantasien immer wieder ihren Rücken streichele, den schmalen Rücken, und ich rieche ihre Haare, die riechen nach Äpfeln und Salzwasser, so weich und warm, ehe sie zurücktritt und mir auf jede Schulter eine Hand legt und mich mit diesem ein wenig seltsamen schelmischen Blick ansieht, mit diesen Augen, die ich also immer mit etwas Schwedischem verbinde, dem Blick, der mich ein wenig wacklig in den Knien macht, das heißt, etwas hinten in meinen Kniekehlen scheint zu schmelzen, etwas im Knorpel oder vielleicht in den Sehnen, und natürlich ist das nur Unsinn, das alles spielt sich doch in meinem Kopf ab, das habe ich nach all diesen Jahren immerhin gelernt, ich habe gelernt, dass vieles und manches ganz anders ist, als es im ersten Moment aussieht. Nehmt doch diesen Mann, der hier in all seiner reservierten Macht dasteht und nicht einmal seinen Namen hergibt, auch nicht, als ich ihm meinen gebe, der nur zögernd die Hand ausstreckt, als ich ihm meine eigene anbiete. In einem früheren Leben hätte ich ihn zur Rede gestellt, ich hätte ihm etwas über das Geheimnis der Zivilisation erzählt, über die Kommunikation zwischen den Einzelindividuen als eigentliche Grundlage für den Aufbau einer modernen, funktionierenden Gesellschaft, aber das kann jetzt auch egal sein, denn durch Berits viele Briefe und nicht zuletzt durch lange nächtliche Telefongespräche habe ich so einiges über das Wesen der Inselbevölkerung gelernt, vor allem über deren männlichen Teil, einmal schreibt Berit, dass die Männer hier oben in vieler Hinsicht Ähnlichkeit mit Kühen haben, sie stehen da und kauen und glotzen einen blöd an, eine Charakteristik, die ich damals für einen winzigen Flirt damit gehalten habe,

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