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Kaffee, den sie gerade in ihren Becher gegossen hat. »Du bist der letzte Einwanderer hier auf der Insel. Der letzte, der von außen gekommen ist.«

      Jetzt bin ich auf der Hut.

      »Und da dachten wir, du könntest vielleicht…«

      Es stellt sich heraus, dass sie gedacht haben, dass sie untereinander und mit anderen darüber gesprochen haben, dass sie eine Art Interview arrangieren könnten, ein Gespräch zwischen Ellen und mir im Gemeindehaus, mit den anderen Inselbewohnern als Publikum, mit dem Ziel, die Erwartungen und Befürchtungen der Neuankömmlinge zu untersuchen, und genauer gesagt – meine Erfahrung damit, von außen zu kommen, um mich an diesem windgebeutelten Ort niederzulassen, zu einem Teil dieser Gemeinschaft zu werden, die für einen Außenstehenden doch fremd wirken muss, schwer zugänglich vielleicht.

      Und das alles, um den Niederländern den Anfang so leicht wie möglich zu machen.

      Nicht ausgesprochen, aber zwischen den Zeilen einwandfrei vorhanden: leichter, als er für mich war.

      Was ich dabei empfinde? Schwer zu sagen, abgesehen davon, dass mir sofort ein wenig übel wird, ich muss kurz nach draußen, ich springe auf und gehe (jetzt hör doch auf, Mann! Setz dich, wir können doch über alles reden usw.), aber ich gehe also hinaus, und zum Glück sind sie gescheit genug, nicht hinterherzukommen, das wäre ja noch schöner. Tja. Ich gehe zum Moped und in die Hocke. Beschließe, dass mit der Kette etwas nicht stimmt. Berühre sie vorsichtig mit den Fingerspitzen. Ziehe einen Bausch Putzwolle aus dem Werkzeugkasten und wische ein wenig Öl weg. Ziehe das Bremskabel straffer, aber im selben Moment fällt mir ein, was passiert ist, als ich es zuletzt straffen wollte, mein Nacken tut noch immer weh, und deshalb lockere ich es wieder. Überlege, dass es im Grunde keine schlechte Idee ist, die Arne und Ellen da ersonnen haben, auch wenn die Probleme der Niederländer, der van der Klerks, ja zwangsläufig ganz anders aussehen werden als meine, und überhaupt, Probleme … kann ich denn von Problemen reden? War es nicht im Grunde die reine Freude? Herzuziehen? Ich hatte schon lange die Einladung, herzukommen, vielleicht nicht gerade, mich hier für immer niederzulassen, aber zu Besuch zu kommen, »eine Weile zu bleiben«, sie wollte mich in Trondheim abholen, ich könnte mit dem Flugzeug oder der Bahn nach Trondheim kommen, und da würde sie mich erwarten, ich brauchte nur einige Tage vorher Bescheid zu sagen, aber ich sagte nicht Bescheid, ich schrieb keinen Brief und ich rief nicht an, ich nahm einfach den Nachtzug nach Trondheim und dann den Bus, ich hatte einen leichten Koffer mit zwei Hemden und etwas Unterwäsche gepackt, ich hatte mir einen Hut gekauft, den ich in Oslo nicht aufzusetzen wagte, den ich aber mit großer Selbstverständlichkeit trug, als ich in Trondheim aus dem Zug stieg, ja, mit großer Selbstverständlichkeit, es fiel mir leicht, den Hut zu tragen, jetzt, da ich in eine ganz neue Phase meines Lebens eintreten würde, ich ging durch Trondheim mit dem Hut auf dem Kopf und dem Koffer in der Hand, und ich fühlte mich wie ein ganz anderer als der, der ich bisher im Laufe meiner fast fünfzig Jahre auf Erden gewesen war, ich war ein anderer, und mein alter Name lag hinter mir wie ein geprügelter Hund mit gebrochenem Rücken. Da ging ich also und dachte, dass es Mut verlangt, in dieser unserer Zeit einen Hut zu tragen, in einer Zeit, in der der Hut dem Exzentriker vorbehalten ist, dem Künstler, nicht wie früher auf der Welt, als jeder Mann sich bei der Konfirmation den Hut auf den Kopf setzte und die Pfeife in den Mund steckte, Arbeiter und Fischer, Lehrling und Hofknecht – jetzt verlangte es Mut und geraden Rücken, einen Hut zu tragen, und diesen Mut und diesen geraden Rücken besaß ich, obwohl ich weder Künstler noch Exzentriker war, eher ein ziemlich normaler Mann aus dem Volke. Und ich trug den Hut im Bus und später auf der Fähre, und da es ein fast windstiller Tag Ende April war, trug ich den Hut auch, als ich an Land ging, ich traf auf Vaksøy mit einem Hut und einem leichten Koffer ein, ja, sogar mit der Jacke über der Schulter, den Zeigefinger durch den Aufhänger, und voller Übermut beschloss ich, den Bus Bus sein zu lassen und lieber am Meer entlang zu dem Haus zu spazieren, das ich so oft auf den Fotos betrachtet hatte, die sie mir geschickt hatte, das weiße Haus, das da draußen in Viken lag, auf der Mitte zwischen Laugen und Vingan, Berits Heim, wo sie, wenn nicht ihr ganzes Leben, so doch den größten Teil ihres Lebens verbracht hatte, ein Haus, von dem ich im tiefsten Herzen wohl hoffte, dass es auch mein Zuhause werden könnte, ach ja, das waren meine Hoffnung und mein Gebet! Und alles war doch so schön! Die Inseln. Das Meer. Der gelbbraune Strand und die fast schwarzen Felsen. Der windgebeutelte Wald…

      Jetzt richte ich mich auf und gebe dem Moped einen Klaps, während ich höre, wie mir ein kleines dumpfes Lachen entweicht, ich stehe plötzlich auf dem Hofplatz vor dem Holländerhaus und lache, denn es ist genau so, als sähe ich meine eigene kleine Gestalt von damals aus der Vogelperspektive, sähe mich selbst mit dem Blick einer Möwe, wie ich am Strand entlangstolpere, in Stadtkleidung und Halbschuhen durch den feuchten Sand, und dann kommt natürlich der Wind, er hatte nur eine Stunde Pause gemacht, jetzt kommt er angefegt, wie es so seine Art ist, und weg mit dem Hut und her mit der Jacke – aber so oft ich mir auch die Karte der Insel angesehen habe, so habe ich die Entfernungen hier draußen doch niemals ganz begreifen können, es scheint so einfach zu sein, vom Fähranleger in Laugen zum Haus in Viken hinauszuspazieren, und es mag ja für einen Einheimischen mit der richtigen Fußbekleidung auch einfach sein, aber ich selbst muss feststellen, dass die Haut an meiner linken Ferse einreißt und dass mein rechter großer Zeh besonders groß und ganz und gar fremd wirkt, und dann kommt es, wie es kommen muss, und der Wind jagt einen Hagelschauer zum Land hin, und es gibt keinen Unterschlupf, nicht einmal ein Bootshaus oder eine Bude, nur diesen Ziegenpfad, der nicht einmal auf den Wald zuführt.

      Und darüber haben wir gemeinsam so oft gelacht.

      Wie jetzt, da ich hier stehe und ganz allein vor dem Holländerhaus über dieses nämliche Ereignis schmunzele.

      Mein eigenes Eintreffen.

      Das ich mir in etlichen wachen Nächten so vorgestellt hatte: Bei schlechtem Wetter – der Bus wartet am Fähranleger, steht mit laufendem Motor da, ich steige ein, zusammen mit all denen, die einander kennen, all denen, die bei meinem Anblick sich und den anderen Fragen in Bezug auf meine Erscheinung stellen werden, Fragen, die im Grunde wohl schon während der Überfahrt von Binnøya gestellt und bearbeitet worden sind, hier sitzt ein Fremder mit Hut und Koffer, SMSe und Telefongespräche von der Fähre nach Vaksøy durch den Kosmos, aber ich weiß doch, im tiefsten Herzen bin ich mir darüber im Klaren, dass alle mehr als nur eine vage Ahnung haben, wer ich bin, dass hier Berits Freund aus der Stadt seinen Einzug hält, so sieht er also aus, der Mann, über den sie zweifellos gesprochen hat, kahlköpfig und mit Hut, und mit unzweckmäßiger Stadtkleidung und nur einem leichten Koffer. So zu sitzen, mit einem freundlichen Lächeln für jede und jeden, während die Landschaft vor den Busfenstern vorüberrennt, die Felder, der Wald, usw., so dazusitzen und darauf zu warten, dass der Fahrer bremst, sich umdreht und verkündet, dass wir jetzt in Viken sind, jetzt haben wir Viken erreicht, und alle starren, als ich aus dem Bus steige, mit einer einfachen Frage im Schädel: Hat jemand Berit angerufen und sie über mein Eintreffen informiert? Feststeht, dass es hier in Viken für einen Mann wie mich nichts anderes zu tun gibt, als über den kurzen Kiesweg zu Berits Haus zu gehen, also wissen sie es jetzt allesamt, jetzt wissen sie, dass Berit Besuch aus der Stadt bekommt, und in meinen Halbträumen und Fantasien ist Berit inzwischen die Einzige, die nicht darüber informiert ist, sie steht in der Küche und bäckt Brot oder nimmt Fisch aus, und sie hört P3, den leichten Musiksender, oder vielleicht das Lokalradio, und dann sieht sie mich kommen, da kommt der Mann, auf den sie schon so lange wartet, den sie so oft eingeladen hat, er, den sie in Trondheim abholen wollte, aber dort steht er nun im Kies vor dem Küchenfenster, steht da und lächelt, denn er wollte sie überraschen, er ist von der spontanen Sorte, die plötzlich auf die Idee kommen kann, den Anker zu lichten und neue Küsten aufzusuchen, um nicht zu sagen, Frauen, und Letzteres ist falsch, das weiß sie, denn so ist er nicht, dafür hat sie sein Wort, und sie hat ihn als Mann kennengelernt, auf dessen Wort Verlass ist.

      Oder bei gutem Wetter – wie es sich in Wirklichkeit also nicht ergeben wird; auf den Bus mit allen Klatschbasen und -vettern zu verzichten, den Bus zu ignorieren, ihn wegfahren zu sehen, Gesichter mit fragenden Mündern hinter den versalzenen Fenstern, die undeutlichen Umrisse der Insulaner hinter den Busfenstern, und die vielen Gesichter hinter den Fenstern der Privatwagen, den Wagen, die mit der Fähre von Binnøya gekommen sind, und denen, die am Anleger gestanden haben, um Reisende abzuholen, Geliebte

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