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zwei kleinen Kindern. Rennt durch die Gegend, schlägt Fenster ein und redet Dreck. Aber ich habe zu schweigen gelernt. Habe viele Jahre Erfahrung damit zu schweigen, wenn der Narr spricht. Um es mal so zu sagen. Ich lächele tabakschwarz und tue irgendwie.

      Ellen bringt den Kaffee.

      Und schnorrt von mir einen Priem.

      Gar nicht so schlecht, denke ich. Das ist wirklich gar nicht so schlecht.

      »Das ist eine seltsame Vorstellung«, sagt sie. »Hier sind wir zur Schule gegangen. Nicht wahr, Arne?«

      »Ja, das ist schon seltsam«, sagt Arne. »Was denn eigentlich?«

      »Die Lehrerin hat hier oben im ersten Stock gewohnt«, sagt Ellen zur Erklärung zu mir. »Die alte Frau Adamsen.«

      Dann sprechen sie ein wenig darüber. Er ist nicht mehr mürrisch und folgt ihr durch die Allee der Erinnerungen. Die alte Frau Adamsen kam aus Molde und war natürlich überhaupt nicht alt, nur waren sie selbst eben so klein. Und so weiter, auf die Tour. Was ist aus dem und der geworden? Und jetzt. Genauer gesagt, bald. Die Niederländer. Hier. Oder die Holländer.

      »Denen wird es hier gut gehen«, sagt Ellen und bläst auf ihren heißen Kaffee. »Platz. Frische Luft. Stellt euch doch den Unterschied zwischen einem Vorort von Rotterdam und dem hier vor!«

      »Und kein einziger Muslim«, sagt Arne. »So weit das Auge reicht.«

      Wir wiehern.

      »Bringen wir das Fenster an Ort und Stelle!« Arne stellt seine Kaffeetasse auf den Boden und schnippt die Kippe durch das Loch in der Wand.

      »Vorsichtig«, sagt Ellen. »Es ist so trocken. Nein, schaut mal!«

      Wo vorher das Fenster war, klafft jetzt eine offene Wunde. Ein Spalt zwischen Täfelung und der getäfelten Wand. Ellen zieht eine vergilbte alte Zeitung hervor. Es ist eine Lokalzeitung von 1937. Die Lokalzeitung, die es nicht mehr gibt. Und hier stehen wir und lesen über eine Zeit, die es auch nicht mehr gibt.

      »Wir rahmen die Titelseite ein«, schlägt Ellen vor, nein, sie befiehlt es.

      Ein großartiges Geschenk für die Klerke.

       3

      Ich bewundere ihre Hände. Ich sitze am Küchentisch und sehe Berits Hände bei ruhiger Arbeit, und es ist ein schöner Anblick, ich kann nicht genug davon bekommen. Ich sehe, wie sie eine graue Locke wegstreicht, die vor ihr rechtes Auge gefallen ist, ein schlanker Zeigefinger, der die graue Locke hinter ihr Ohr schiebt, ehe sie mit beiden Händen den Topf von der Platte hebt und das Wasser von den Kartoffeln gießt. Sie stellt den Topf auf das abgenutzte Brettchen auf dem Tisch. Dann zieht sie den Fisch aus dem dampfenden Wasser, und die Möhren, die ganze Zeit sind diese soliden Arbeitshände in Bewegung, rot von Wasser und Spülmittel, aber zugleich elegant, schlank und stark. Das sage ich ihr. Ich sage, dass ihre Hände schön sind.

      »Die rechte ist ein bisschen unzuverlässig, nach dem, was geschehen ist.«

      »Her damit.«

      Sie reicht mir die Hand. Steht vor mir und lächelt auf mich herab.

      Ich nehme ihre Hand zwischen meine Hände. Blase durch eine kleine Höhlenöffnung zwischen den Daumen. »Du darfst sie nicht im Stich lassen«, sage ich. »Verstehst du das?«

      Sie lacht. »Iss jetzt. Wie war es heute da oben?«

      »Es hätte wohl besser und schlechter sein können.«

      Sie schaut mich fragend an.

      »Wir konnten das große Fenster oben auswechseln. Arne wollte es um jeden Preis die enge Treppe hochtragen, aber das konnte ich ihm zum Glück ausreden. Das hätte seinen Rücken erledigt.«

      »Stimmt was nicht mit Arnes Rücken?«

      Wir greifen zu. Ich lasse das mit Arnes Rücken erst einmal auf sich beruhen. Als sei mir etwas herausgerutscht, das ich für mich hätte behalten müssen.

      Geräucherter Schellfisch. Das dampfende gelbweiße Fleisch. Perlmutt. Der Rauchgeruch. Gekochte mehlige Kartoffeln, auch sie duften. Zerlassene Butter. Knallrote Möhrenwürfel. Und dann Salz. Das gesegnete Salz. Ein heiliges Stück Alltagsnorwegen, denke ich, und dann denke ich weiter an all den Unfug, mit dem Zeitungen und Illustrierte gefüllt sind, die vielen krankhaften gastronomischen Bocksprünge, die versnobten Auslandswörter und die fremden Gewürze, ich denke an französische Bauernhofhähnchen mit Boladaise, gefüllt mit Zitronengras und sonnengetrockneten Trüffeln in Ingwergelee. Solche Dinge. An die Leber von zu Tode gequälten Gänsen. Und den ganzen anderen Blödsinn. Im Vergleich zu dem hier.

      »Mit Arnes Rücken ist doch hoffentlich alles in Ordnung?«

      »Sicher. Ich habe nur daran gedacht, was hätte passieren können.«

      »Ja, diese Treppe ist steil.«

      »Ich konnte ihm zum Glück klarmachen, dass wir es an der Wand hochhieven könnten.«

      Ich erkläre ihr den Trick mit Flaschenzug und Seilen.

      »Danach habe ich es mit Holzkeilen gesichert. Jetzt würde es sogar ein Erdbeben überstehen.«

      Sie nickt und versteht.

      Ich sehe wieder ihre Hände an, während ich mir den Mund mit diesem leicht geräucherten Fischfleisch fülle, mit den guten Kartoffeln und Möhren, ich sehe, wie ihre Hände Messer und Gabel bewegen, wie sie das Wasserglas heben und die zerlassene Butter weiterreichen. Was haben diese Hände schon alles mitgemacht? Und meine eigenen … was machen die Hände eines Menschen in einem langen Leben so alles mit? Woran haben wir uns schon festgehalten? Haben es umfasst oder von uns gestoßen? Ich weiß noch, wie wir uns zum ersten Mal begegnet sind, und wie unsere Hände sich zu einem höflichen Guten Tag zusammengefunden haben. Und jetzt hier, an einem normalen Tag, mit gesunder schlichter Kost auf dem Tisch. Morgen vielleicht Rinderleber. Oder Rentierragout. Und unsere Hände, die einander die ganze Zeit begegnen und sich miteinander verschränken wie gute Freunde. Wenn sie schläft, kommt es vor, dass ich ihre Wange streichele, und dann lächelt sie in der Dunkelheit, aber sie wacht nicht auf, bisher ist das jedenfalls noch nicht vorgekommen. Sie liegt da und schläft und lächelt.

      Sie lächelt auch jetzt, als sie den Tisch abräumt und den Topf mit den beiden übrig gebliebenen Kartoffeln auf den Herd stellt, die Fischreste, Haut und Gräten in den Katzennapf wischt – kaum hat sie das getan, da kommt der Kater angestürzt, wie aus der Kanone geschossen, laut murrend, hungrig wie immer. Ja, sie lächelt mich an und sie lächelt den Kater an, aber ich glaube im Grunde, dass sie vor allem sich selber anlächelt, denn es ist ein etwas vages Lächeln, eine Art Kräuseln an der Oberfläche. Es ist wohl etwas, das irgendwo in ihrer geheimen Tiefe vor sich geht, davon bin ich überzeugt. Und diese Tiefe soll sie für sich behalten dürfen, da wir abgemacht haben, nicht in den gegenseitigen Tiefen herumzufischen, wir haben nach vielem Hin und Her festgestellt, dass es besser so ist. Dass nicht alles an die Oberfläche geholt werden muss, um seziert und diskutiert zu werden, denn so war es anfangs, in der schwierigen Anfangszeit, als ich beschlossen hatte, dass das hier mein neues Zuhause sein sollte, während sie sich nicht ganz so sicher war. Jetzt verlangen wir voneinander keine Erklärungen mehr für alles zwischen Himmel und Erde. Aber dennoch: Habe ich etwas gesagt? Getan? Ist dieses Lächeln nicht ein klein wenig herablassend?

      Nein. Nicht. Kein Wort.

      Jetzt bringt sie den Nachtisch, den norwegischen Alltagsnachtisch, sollte ich wohl sagen, es ist ein alter Bekannter aus meiner Kindheit, ein Werktagsfavorit, und zwar Knäckebrot mit Milch, und für mich mit sehr viel Zucker, Mengen von Zucker, während sie so vorsichtig und maßvoll ist … Und während sie gleich mit Essen anfängt, wenn das Knäckebrot noch knusprig und hart ist, mache ich es wie damals, mache ich es wie in Kinderzeiten zu Hause am Küchentisch, ich warte, bis die zerbrochenen Brotscheiben die Konsistenz von feuchter Pappe angenommen haben, ja, wie vom Meer ans Ufer geschwemmte Pappkartons, und Zucker wie Sand, denke ich, Zucker wie Sand, und die süße Milch in der Mundhöhle, es ist so schlicht und genial, und für einen Moment sehe ich vor mir,

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