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lacht ihr nur. Wartet nur, bis Ellen und ich uns warm geredet haben, wartet nur, bis ich zu Bendik Haga komme und vorschlage, seine Person unter Denkmalschutz zu stellen, wartet nur, bis ich dazu aufrufe, dass wir uns als Schutzmauer um ihn aufstellen, den wir in früheren Zeiten zurückgeblieben genannt haben, den wir heutzutage aber lieber als alternative Kraftquelle bezeichnen, als einen, dessen Fähigkeiten an unerwarteten Stellen und zu unerwarteten Zeitpunkten keimen. Lasst uns alles bewahren, das anders ist, den, der mit seinem Bus gefahren kommt, mit etwas weniger Gepäck als wir anderen, die ohnehin Privatwagen oder Moped fahren, denn ohne diese, die Kleinsten unter uns, legt sich eine kühle Hand über die Gesellschaft, dann stirbt die Vielfalt, ja, genauso werde ich ihnen etwas vorheucheln.

      Kann ich mit Anders Vagles kläffendem Lachen rechnen?

      Ich glaube schon.

      Wir nehmen jetzt das Fahrrad, Magne. Nicht das Moped, sondern den alten Drahtesel, den ich nach allen Regeln der Kunst geschmiert und geölt habe, das Rad, mit dem du mit Berit auf Tour gefahren bist, als ihr noch jung wart. Es gibt ein Bild, das weißt du sicher, wo du so kess auf dem Sattel sitzt und Berit nicht weniger kess auf der Stange (wie man sagt), sie sitzt schräg über der Stange, und beide lächeln in die Kamera, das Foto ist unten am Fähranleger in Laugen aufgenommen worden, im Hintergrund kommt oder geht die Fähre, und du trägst einen Anorak und sie eine Strickjacke, und ihr lacht und seid jung, ich habe versucht auszurechnen, wo ich selbst damals war, wer ich war, aber das hat nichts genutzt, ich muss mir damals fremd gewesen sein, ein Ich, das ich nicht mehr erreichen kann. Ja, wir nehmen jetzt das Fahrrad, wir holen es hinter der Scheune, wo es am Schleifstein lehnt, und ich schiebe es vorsichtig auf die Straße, das ist nicht nötig, ich fahre, wo ich will, und wann ich will, sie mischt sich da nicht ein, es ist nicht so, dass ich mich vor ihr versteckte, ihr etwas vorenthielte, aber ich bin eben immer behutsam, das ist meine Natur. Sie könnte sich Sorgen machen, wenn sie wüsste, dass ich jetzt in der herbstlichen Dunkelheit losfahre, ohne Licht. Denn das ist meine neue Angewohnheit, genauer gesagt, eine davon. Ich fahre in der Dunkelheit von Abend und Nacht, ohne ein anderes Licht als das, was von Mond und Sternen geliefert wird, als Schatten unter anderen Schatten, tagsüber, auf dem dreirädrigen Moped, und nach Anbruch der Dunkelheit – als nächtlicher Ritter. Das ist nicht gefährlich. Ich kenne den Weg. Ich kann ihn auswendig, und es ist hier oben auf der Insel ja auch so, dass die Autoscheinwerfer auf mehrere Hundert Meter Entfernung gesehen werden können, es ist ein Kinderspiel, rechtzeitig abzusteigen, von der Fahrbahn zu gehen und stehen zu bleiben, während Fremde und Bekannte an mir vorüberjagen, ohne zu wissen, dass ich dort stehe. Aber das kommt nach halb zehn Uhr abends nicht oft vor. Ich habe mir diese Uhrzeit gemerkt, dann wird der Verkehr offenbar eingestellt, dann muss niemand an der Fähre oder von irgendwelchen Aktivitäten abgeholt werden, dann gehen die ersten Frühaufsteher zu Bett, während der Rest sich vor den Fernsehschirmen versammelt, oder sie sind im Internet unterwegs, auf der Suche nach immer mehr Information, Aktualität, oder einer Gemeinschaft, sei sie nun sexuell oder geistig, sie pflegen ihre mehr oder minder obskuren Interessen, und für mich ist das alles nichts, ich bin von einer anderen Art, ich denke so gut, wenn ich durch die Dunkelheit strampele, auf diesem Fahrrad, das du hinterlassen hast, als du die Grenze zum Tod überschritten hast, Magne, dieses Fahrrad, mit dem du und Berit Ausflüge gemacht habt, als ihr noch jung wart, und mit dem du in all den Jahren von und zu der Arbeit in der Werft unten auf Neset gefahren bist, wo Reinert jetzt nach dem Konkurs in tiefer Einsamkeit und Verwirrung regiert. Aber ich will nicht nach Neset. Heute Abend nicht. Heute Abend will ich im Gegenzeigersinn um die Insel fahren, durch Laugen und nach Norden, und ich werde bei Skurberg nicht anhalten, sondern vorübersausen, so, wie ich vor zwei Abenden vorübergesaust bin, ich steige nicht mehr bei Skurberg ab, das ist vorbei, wie so viel anderer Unsinn, unter den ich endlich ebenfalls einen Schlussstrich gezogen habe. Auf den Hängen vor Moholt muss ich mich auf die Pedale stellen und strampeln, und ich beschließe, dass es mein neues Ziel sein soll, die Hänge vor Moholt im Sitzen hochzufahren, ohne wirklichen Grund, ich habe nicht den Ehrgeiz, auf meine alten Tage noch zum Sportler zu werden, es ist nur eine Veränderung aus Liebe zur Veränderung, zu wissen, dass ich mich verändern kann, von einem zum anderen werden, durch Einstellung, Willen und Training stärker zu werden. Aber oben auf Moholt, da steige ich ab, da steigen wir beide ab, Magne, denn das hier ist etwas anderes als Skurberg, das hier ist der schönste Aussichtspunkt dieser Strecke, und von Berit weiß ich, dass ihr oft hier gesessen habt, auf der Bank an der kleinen Raststelle, um über den Sund vor Laugen hinauszublicken, den Sund zwischen Vaksøy und Binnøya, wo die Fähren an normalen Werktagen jede Stunde zweimal hin- und herpendeln, von 5.35 bis 21.05 Uhr, über den Sund, der jetzt wie ein dunkler Gürtel zwischen den etwas helleren Bergen auf beiden Ufern liegt, und ich steige vom Rad und lege es in den Kies, vorsichtig, ehe ich mich auf die Bank vor dem grob zurechtgehauenen Holztisch setze, den Raststättentisch, wo Kinder und Liebende mit Messern und Kronkorken ihre Initialen und Zinken eingeritzt haben. Und ist es nicht so, als säße ich zwischen euch? Zwischen dir und Berit? Doch. So ist das. Aber nicht als Fremder, nicht wie der, der gekommen ist, um Streit und Zwietracht zu säen, sondern als der Mann aus der Zukunft, der, über den ihr noch nichts wissen und den ihr erst recht nicht ahnen oder sehen könnt, aber wenn ich nun hier sitze, kann ich hören, wie ihr miteinander flüstert, über eine Zeit, die jetzt verschwunden ist, zurückgelegt, in die Ewigkeit verstoßen. Und es macht mir nichts aus, dich sagen zu hören, dass du sie liebst. Und es macht mir nichts aus, sie sagen zu hören, dass sie dich liebt. Und wenn es mir doch etwas ausmacht, dann tut es mir gut, dass sie, die mir später begegnen wird, eine Frau war, die geliebt wurde, die in sich, in ihrem Leben ruhte. Sie hätte mich sonst nicht aufnehmen können. Es wäre unmöglich gewesen. Damit kenne ich mich aus.

      Am Hang oberhalb der Kirche setzt die sparsame Straßenbeleuchtung von Laugen ein, sie sieht aus wie eine zerrissene Perlenkette, wie sie sich da im Zickzack am kurvenreichen Weg ins Zentrum hinzieht. Ja, nun habe ich auch das erlebt. Dass die zerstreute Bebauung unten am Anleger als Zentrum bezeichnet wird. Supermarkt. Gemeindehaus. Lensmannsbüro. Vielleicht zwanzig Läden. Die Wohnsiedlungen, die sich auf beiden Seiten bis zur Schule und zum stillgelegten Hallenbad hinfressen. Es ist kein Zentrum und es ist keine Stadt, denke ich, aber trotzdem sind das meine Stadt und mein Zentrum, so ist es geworden, so und nicht anders. Hierher bin ich an einem Frühlingstag vor zwei Jahren gekommen. Mit Hut. Es ist fast nicht zu glauben. Ich glaube es nicht, Magne! Da kam der Stadtmann mit seinem Hut auf dem Kopf und machte sich an die Wanderung den Strand entlang, mit Halbschuhen, Koffer und Tasche, in dem Glauben … Ich merke, dass ich noch immer rot werden kann, wenn ich daran denke, also sitze ich jetzt hier und glühe in der Dunkelheit, während ich unter mir die elektrischen Lampen funkeln sehe. Was für eine Vorstellung! Mit Hut und Halbschuhen. Koffer. Ein kleiner Abstecher in Richtung Viken. Über zwanzig Kilometer durch lockeren Sand, dazu Hagelschauer vom Meer her. Ohne Geld und unangemeldet. Aber, denke ich – das muss wohl auch erwähnt, mit in Betracht gezogen werden: mit reinem Herzen. Geläutert durch die Fahrt den Oridongo hinauf.

      Ich steige wieder auf das Rad und wir strampeln weiter nach Norden, jetzt durch den vom Wind geschundenen Wald, es geht ein wenig abwärts, ich lege ein gutes Tempo vor, ich liege über dem Lenker und genieße die kühle Herbstluft, die mir entgegenströmt, und ich denke an meinen nackten Schädel als an einen Stein in einem reißenden Fluss, die Wassermassen, die mich langsam abschleifen, kleine Partikel, die von mir abgerissen werden und mit der Strömung verschwinden, denn so ist es im Grunde doch: Ich fahre durch die Nacht, aber auch durch die Zeit, die mir zugewiesenen Stunden und Sekunden auf Erden, während mein Körper langsam aber sicher zersetzt wird, Molekül um Molekül, irgendwo habe ich gelesen, dass das, was wir normalerweise einfach Hausstaub nennen, in Wirklichkeit aus toten Zellen von Menschenkörpern besteht, Haufen von toten Zellen, von denen Milben und andere mikroskopisch kleine Tiere sich ernähren, die sie verzehren und hinten aus sich herauspressen, wie wir das mit Schweinebraten und Kartoffeln machen, so denke ich auf dem Hang hinab zu Kirche und Friedhof, wo du begraben bist, ehe der Weg sich langsam im Talinneren wieder hebt, ich lasse Laugen hinter mir, die Lichter verschwinden.

      Und bei Skurberg steigen wir nicht ab, das tun wir nicht, im Idealfall würden wir vorüberjagen, rasch und geschmeidig, aber was passiert, ist, dass das Tempo gedrosselt wird, mehr allerdings nicht, während ich die leuchtenden Fenster des Hauses dort unten suche, aber alle Lampen sind gelöscht, nur die Hoflampe über der Treppe brennt, dann will er wohl früh los, der alte Dachs, das ist eine

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