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Das Handy auf dem Tisch scheint mich fies anzugrinsen. Es schweigt, aber es führt mich in Versuchung, ihn anzurufen. Doch das will ich nicht. Ich will ihm nicht hinterher telefonieren, auch wenn ich spüre, wie die Eifersucht hochkocht. Niemand muss vier Stunden einkaufen gehen, außer vielleicht wenn man eine Großfamilie zu versorgen hat. Aber wir sind zu zweit, unser Kühlschrank ist voll, weil Kevin so gut wie gar nichts isst.

       Was macht er die ganze Zeit, außer sich davor zu drücken, mir zu helfen? Kevin weiß, dass ich nicht gern allein bin. Die Wohnung kommt mir dann so still vor. Ich kann mit niemanden reden, außer mit mir selbst. Dann gehen mir immer so viele unangenehme Dinge im Kopf herum.

       Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass wir zusammen sind. Einmal abgesehen davon, dass ich ihn liebe. Da sind so viele Zweifel, ob unsere Beziehung wirklich richtig ist. Sicherlich hat Frau Schumann recht mit dieser Vertrauenssache. Ich versuche es. Ich versuche es wirklich, auch wenn es mir nicht leicht fällt. Es wäre doch für ihn eine Kleinigkeit, kurz anzurufen, zu sagen, dass es länger dauert, weil… weil er… Ich schließe die Augen und verbiete mir jeden weiteren Gedanken darüber, was er gerade machen könnte.

       Gegen das flaue Gefühl in meinem Magen nehme ich einen Schluck von meinem Cappuccino und öffne die Keksdose. Der Geruch strömt mir in die Nase und vertreibt die düsteren Hirngespinste. Ich liebe Kekse. Die Dunklen mit der Vanillecreme. Dafür könnte ich sterben. Genießerisch beiße ich von einem Keks ab und passe auf, dass ich die Krümel nicht auf dem Sofa verteile.

       »Weißes Mehl und Zucker, schneller kannst du gar nicht fett werden und sterben«, höre ich Kevins Stimme. Kekse und Kuchen isst er nicht. Wenn er sich allerdings nachts am Computer eine 300g-Tafel Schokolade reinzieht, ist das natürlich was Anderes. Leider ist an ihm auch kein Gramm Fett zuviel.

       Bei mir ist das anders. Ich habe das Gefühl, jeder Bissen würde sich direkt auf meine Hüfte beziehungsweise meinen Bauch legen. Frustriert greife ich erneut in die Dose. Ein Keks mehr oder weniger ändert nichts und Größe 28 ist noch okay.

       Ich schalte den Fernseher an. Mein Lieblingsfilm liegt noch im DVD-Player. Ich drücke die Starttaste und versuche, es mir bequem zu machen. Das ist nicht so einfach, denn entweder schmerzt mein Po oder mein Rücken… oder beides. Ich sollte noch einmal aufstehen und mir eine Schmerztablette holen.

       Als ich allerdings Meg Ryan auf ihrem Laptop tippen sehe, bleibe ich liegen und genieße stattdessen den Film. e-m@il für Dich ist Balsam für meine Seele. Dazu noch eine Massage und mein Leben wäre perfekt. Nur leider ist niemand da, der mich massieren könnte. Ich schaue zur Uhr und beobachte einen Moment lang die Zeiger, die sich unaufhörlich vorwärts bewegen.

       Das Handy halte ich schon eine ganze Weile in der Hand. Ich kämpfe und hoffe, dass ich diesmal nicht verliere. Ich verliere immer. Egal, wie sehr ich mich bemühe, irgendwann telefoniere ich ihm doch hinterher.

       Wenn ich dann seine Stimme höre, flippe ich meistens aus. Daraufhin legt Kevin einfach auf, was mich noch wütender macht, und kommt noch später zurück. Meist mit einem strahlenden Lächeln und irgendeinem Geschenk als Zeichen seiner Liebe.

       Es ist immer das gleiche Spiel. Ich meckere, er zieht sich zurück. Ich ziehe mich zurück, er kommt auf mich zu. Ich kenne die Spielregeln und falle trotzdem immer wieder darauf herein.

       Der Morgen fällt mir ein. Kevin hat sich viel Mühe gegeben. Die Rose, der gedeckte Frühstückstisch, liebevoller Sex…

       Sicher wäre es für mich noch schöner gewesen, wenn er schon gestern zärtlich gewesen wäre. Aber das liegt bestimmt an mir. Ich bin zu empfindlich! Wahrscheinlich ist niemand so zimperlich wie ich.

       Ohne Gleitgel und ohne Vorbereitung tut mir nicht nur der Hintern weh, ich habe auch tagelang Probleme mit dem Stuhlgang. Ich bewundere und beneide die, die sich problemlos einen Riesenschwanz reinschieben lassen und dabei lustvoll stöhnen. Natürlich habe ich einen Dildo im Nachtschrank, natürlich könnte ich üben, aber das kommt mir nicht richtig vor.

       Was wäre denn schon dabei, wenn ich das Teil jetzt zu mir aufs Sofa holen würde, um mich ein wenig zu verwöhnen oder eher um zu trainieren, während Meg Ryan sich gerade erklären lässt, was Geh auf die Matratzen bedeutet.

       Geh auf die Matratzen, kämpfe… schieb dir einen Dildo in den Arsch…

       Das kann ich nicht. So bin ich einfach nicht. Sex ist etwas Besonderes. Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand. Ich war zweimal verliebt, aber für den ersten war ich nichts weiter als eine Jungfrau, die es zu knacken galt.

       Auch für Kevin war ich am Anfang nur ein kleiner, unbedeutender Fick, während ich schon beim Chatten die Schmetterlinge im Bauch gefühlt habe. Zum Glück hat sich das geändert. Er hat sich für mich entschieden. Wir lieben uns!

       Ich nehme mir noch einen Keks und schaue zu, wie Tom Hanks mit dem Strauß Margeriten vor der Haustür steht. Ich liebe die Stelle mit den Margeriten. Seit ich den Film kenne, hat mich dieser Moment besonders beeindruckt.

       Das erste Mal habe ich ihn mit 13 gesehen, zusammen mit Kim, meiner besten Freundin. Leider ist sie ein Jahr später mit ihren Eltern nach Norwegen ausgewandert. Wir haben den Kontakt verloren. Der Film ist mir allerdings geblieben. Ich habe ihn seitdem mehrere hundert Male geguckt.

       Margeriten sind meine Lieblingsblumen. Wenn es etwas wärmer wird, kaufe ich einen Margeritenbusch für den Balkon. In den Blumenkästen will Kevin leider keine. Seiner Meinung nach gehören da Geranien rein. Manchmal ist er so spießig...

       Ein einziges Mal habe ich mir selbst einen Strauß Margeriten gekauft. Kevin ist total ausgerastet. Ich kann mich noch genau erinnern. Kevin und ich wohnten erst ein paar Wochen zusammen. Herr Brandenstein war über Nacht verstorben, während meines Diensts.

       Es war das erste Mal, dass mir der Tod wirklich begegnet war. Natürlich ist er in meinem Job ein ständiger Begleiter, natürlich haben wir während der Ausbildung viel über den Umgang damit gelernt und Routinen eingetrichtert bekommen. Aber das war irgendwie anders. Zum ersten Mal war jemand gestorben, den ich mochte.

       Der alte Herr war bis zum Schluss immer lustig gewesen, er kannte so viele Witze, so viele Geschichten. Jeden Tag ging es mit ihm ein Stückchen mehr zu Ende, aber als er dann dalag, traf es mich unvorbereitet.

       Auf dem Nachhauseweg stand vor einem Blumenladen ein Kübel mit Margeriten. Ich kaufte mir nicht nur einen kleinen Strauß, sondern nahm den ganzen Blumeneimer mit. Mein Arm tat weh, als ich zu Hause ankam. So eine große Vase hatten wir gar nicht. Ich nahm den Wischeimer und stellte ihn mitsamt den Blumen neben mein Bett. Es beruhigte mich, mit den Fingern über die Blüten zu streicheln. Es sind die schönsten Blumen der Welt!

       Kevin wollte mir nicht glauben, dass ich sie allein gekauft habe. Er hat mich beschimpft. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, dass wir uns nicht vertrauen. Dann flippte er aus, weil ich so viel Geld für Blumen ausgegeben hatte, die seiner Meinung nach weder besonders schön sind, noch eine tiefere Bedeutung haben.

       Ich weiß, dass rote Rosen das Symbol der Liebe sind. Ein Symbol, das wahrscheinlich nahezu jeder auf der Welt versteht. Auf so etwas legt Kevin viel wert. Es ist wichtig, was die Leute sagen, wie wir auf sie wirken. Er zeigt gern, was für ein perfektes Paar wir sind. Auch wenn die Realität gar nicht so perfekt ist.

       Ich würde mir viel lieber ein persönliches Symbol wünschen. Etwas, das nur uns beiden wichtig ist. Einen Strauß Margeriten, weil ich sie mag, egal, wie andere sie finden.

       Der Hund kommt im Film angerannt. Meg Ryan stellt fest, dass da der Mann kommt, den sie sich erhofft hat. Ich spüre einen Kloß im Hals und wünsche mir, dass es auch einmal so ist. Ich wünsche mir diese kitschige Liebe wie im Film. Mit einem Happy End, das erst der Anfang ist. Verstohlen schiebe ich mir einen letzten Keks in den Mund.

      ***

       Der Cappuccino ist ausgetrunken, der Film zu Ende und Kevin ist noch immer nicht da. Ich rolle mich vom Sofa und überlege, welchen Film ich mir als Nächstes angucken könnte. Während meine Augen das Regal absuchen, kann ich es nicht lassen, mit meinen Fingern über die Oberfläche

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