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      Wohin verirrten sich Inges Gedanken gerade? Er umarmte sie, streichelte ihr über die Haare, was sehr wohltuend für sie war.

      »Inge, Pamela hatte Glück im Unglück, das allein ist es, was zählt und wofür wir dankbar sein müssen. Quäle dich doch nicht, und so tragisch das mit Nancy und Heiner damals auch war, es muss sich nicht wiederholen, und es hat sich ja auch nicht wiederholt, weil Pamela lebt. Du bist mit den Nerven fertig, es hat dich kalt erwischt, und ehrlich mal, vielleicht solltest du mit nach Hause kommen, dich ein wenig ausruhen und dann kannst du gestärkt zurückkehren.«

      Inge machte sich aus seiner Umarmung frei.

      »Ich bleibe«, sagte sie fest, »und du gehst jetzt am besten, Werner. Guck nicht so, ich bin nicht sauer, halte dich auch nicht für herzlos, aber bitte, vergiss nicht, es meinen Eltern zu erzählen, ja?«

      Er versprach es, zögerte kurz, dann ging er tatsächlich. Es machte wirklich keinen Sinn, länger hier herumzusitzen.

      Aber Inge konnte stur sein, wenn sie etwas ganz bestimmt wollte …

      An der Tür zögerte Werner noch einmal, wollte etwas sagen, besann sich jedoch, drehte sich endgültig um, dann ging er.

      Inge war mit Pamela allein und der Stille, die sie umgab, die durch nichts unterbrochen wurde.

      Sie war erschüttert, allmählich begriff sie, was geschehen war. Sie sah Pamela vor sich, wie sie lachend und fröhlich am Morgen das Haus verlassen hatte, mit Plänen für den Nachmittag. Und nun lag sie hier. Wie schnell alles vorbei sein konnte, ohne jede Vorwarnung.

      Warum ausgerechnet Pamela?

      Sie war doch gewiss nicht die Einzige an der Bushaltestelle gewesen. Inge konnte sich das Hirn zermartern und würde doch keine Antwort auf all die Fragen bekommen, die ihr durch den Kopf gingen.

      Schicksal …

      Nein, sie wollte sich mit so etwas nicht abfinden. Inge setzte sich wieder, zog ihren Stuhl ganz eng an das Bett von Pamela heran, dann streichelte sie ihre Kleine sanft, hielt sie fest, als ihr Blick auf die Hände fiel. Es war nicht lange her, dass Pamela selbst überlegt hatte, später einmal Handchirurgin zu werden. Warum hatte die sympathische Ärztin vorhin erwähnt, dass ein Handchirurg sich Pamelas Hände ansehen müsse. Ausgerechnet die Hände, die man immerfort brauchte.

      Inge schluckte, dann begann sie zu beten, das tat sie immer, wenn sie in Not war, und das war sie augenblicklich, ja, das war sie. Inge hoffte, dass Gott ihre Gebete nicht ignorieren würde, weil sie in Normalzeiten eine ziemlich laue Christin war.

      Sie zuckte zusammen, als jemand das Krankenzimmer betrat. Es war ein junger Arzt, der sich als Doktor Greiner vorstellte und der die Ablösung war.

      Inge wollte ihm ein paar Fragen stellen, doch das blockte er sofort ab. »Tut mir leid, doch da muss ich mir erst einmal die Krankenakte ansehen, so kann ich Ihnen nichts Konkretes sagen.« Er warf einen Blick auf die Geräte, an die Pamela angeschlossen war. »Wenn es Sie beruhigt, alles sieht gut aus.«

      Er überprüfte die Lage, erkundigte sich, ob er etwas für sie tun könne, ob sie einen bequemeren Stuhl brauche oder gar ein Bett haben wolle, das man neben das ihrer Tochter schieben könne.

      Es klang verlockend, doch Inge wusste, dass sie eh kein Auge schließen würde. Also bedankte sie sich und sagte, es sei nicht nötig. Der Arzt ging, Inge war wieder allein mit Pamela, der Stille und ihrer Angst, die wahrlich kein guter Begleiter war. Sie verspürte irgendwann, wie die Müdigkeit sie übermannte, und nun bedauerte sie doch, nicht wenigstens eines der Angebote dieses netten Arztes angenommen zu haben. Der Stuhl, auf dem sie saß, der war verdammt hart. Sie ließ ihren Kopf auf den Rand der Matratze sinken, und irgendwann schlief sie tatsächlich ein.

      *

      Inge wurde durch einen Aufschrei geweckt. Für einen Augenblick hatte sie Mühe, sich zurechtzufinden, wusste nicht, wo sie war. Doch die Erinnerung kehrte sehr schnell wieder zurück.

      Und dann hatte sie erst einmal Mühe, sich zu sortieren, sie glaubte, durch einen Fleischwolf gedreht worden zu sein, jeder Knochen tat ihr weh.

      Aber das war schnell vergessen, sie wandte sich Pamela zu, von der der Aufschrei gekommen war.

      »Pamela, Liebes, alles ist gut.«

      Inge hatte keine Ahnung, woran Pamela sich erinnern konnte, was der Grund für diesen Schrei gewesen war.

      »Nichts ist gut«, schrie Pamela. »Meine Hände, was ist mit meinen Händen.«

      Inge versuchte, ihre Tochter zu beruhigen.

      »Nichts weiter. Alles wird wieder gut.«

      Pamela hielt ihre Hände hoch.

      »Und was ist das hier?«, wollte sie wissen, und ihre Stimme war immer noch ungewöhnlich laut.

      »Liebes, es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, ein Handchirurg wird sich das alles ansehen.«

      Ach, hätte sie das jetzt bloß nicht gesagt, Pamelas Stimme wurde jetzt richtig hysterisch.

      »Handchirurgin«, schrie Pamela, »das kann ich nun nicht mehr werden.«

      Was sollte Inge darauf antworten?

      »Pamela …«

      Pamela ließ ihre Mutter überhaupt nicht zu Wort kommen, sie jammerte, sie weinte. Inge musste sich das hilflos mit ansehen. Sie versuchte, ihre Tochter zu beruhigen, dabei hatte sie jetzt auf nichts mehr Lust als auf einen schwarzen Kaffee, der ihre Lebenskräfte wieder erwecken sollte.

      Das Frühstück wurde gebracht, für Pamela allerdings, und beinahe gleichzeitig war Visite. Chefarztvisite diesmal. Der Chefarzt war ein Mann mittleren Alters, der von Pamelas Geschrei in keiner Weise beeindruckt war, sondern sich erkundigte: »Was ist los, junge Dame? Nach Freudengebrüll sieht das nicht gerade aus, dabei solltest du froh sein, noch einmal so glimpflich davongekommen zu sein. Du weißt überhaupt nicht, was für ein Glück du hattest. Und du kannst stolz auf dich sein. Von der Polizei haben wir nämlich gerade erfahren, dass es dich überhaupt nicht getroffen hätte, wenn du nicht hinzugesprungen wärest, um ein paar von den kleineren Schülerinnen und Schülern zur Seite zu schubsen. Die hätte es ohne deine Heldentat voll erwischt, du selbst wurdest dabei leider noch gestreift.«

      Davon hatte Inge überhaupt nichts gewusst, ihre Pamela war also eine Lebensretterin. Das war etwas, worauf man stolz sein konnte, vielleicht später, jetzt wollte Inge ihre Tochter erst einmal beruhigen, doch das ging erst nach der Visite, sie konnte da­ nicht einfach dazwischenfunken.

      Offensichtlich hatte Pamela ihre Ohren auf Durchzug gestellt, denn sie wirkte in keiner Weise stolz wegen des Lobes. Sie blickte vielmehr den Arzt an und rief: »Und meine Hände?« Sie hielt sie ihm klagend entgegen.

      »Die dürften dein kleinstes Problem sein, junge Dame. Da sind andere Körperteile ganz anders betroffen. Weswegen machst du wegen deiner Hände ein solches Geschrei? Hast du Angst, dass deine Fingernägel abgebrochen sind?«

      Pamela schüttelte den Kopf, dass die Locken nur so flogen. »Nein, aber ich möchte Handchirurgin werden, und für diesen Beruf sind die Hände nun einmal der wichtigste Körperteil.«

      Jetzt herrschte allgemeines Erstaunen.

      »Soso, Handchirurgin werden willst du«, sagte der Professor. »Und wie kommst du bitte schön auf diesen doch sehr speziellen Beruf?«

      Pamela richtete sich ein wenig auf, ihr Gesicht war dabei schmerzverzerrt, dann aber sagte sie voller Stolz: »Weil meine Schwägerin die allerbeste Handchirurgin der Welt ist, und deswegen möchte ich das auch werden.«

      Der Professor lachte.

      »Dann lass das mal unseren Doktor nicht hören, der hält sich nämlich auch für den allerbesten Handchirurgen der Welt.« Pamela blieb unbeeindruckt.

      »Aber Charlotte ist es wirklich, sie hat sogar Behandlungsmethoden entwickelt, über die sie vor ganz vielen Kolleginnen und Kollegen einen Vortrag halten durfte.«

      »Beeindruckend«,

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