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Schicksal? Auf die gleiche grauenhafte Weise wie damals?

      Inge war so durcheinander, dass sie über nichts geordnet nachdachte. Warum regte sie sich so auf? Pamela war nicht tot, nur verletzt, und niemand wusste, ob leicht oder schwer.

      Sie hatte nicht mitbekommen, dass Heinz Rückert seine Frau angerufen hatte, dass er ihr knapp erzählt hatte, was vorgefallen war.

      Auf jeden Fall musste Rosmarie geflogen sein, so schnell erreichte sie die Villa Auerbach. Sie war nicht zurechtgemacht, trug eine einfache Baumwollhose, ein Sweatshirt. Früher hätte sie so niemals das Haus verlassen, hätte in dieser Kleidung nicht einmal die Post aus dem Briefkasten geholt. Früher, das waren andere Zeiten gewesen. Sie stand jetzt über den Dingen. Es zählten in ihrem Leben ganz ­andere Dinge als früher, wo sie so oberflächlich gewesen war. Heinz machte ihr die Haustür auf, sie wechselten einen kurzen Blick miteinander, dann war Rosmarie bei Inge, nahm sie in ihre Arme und sagte: »Komm, Inge, ich fahre dich jetzt ins Krankenhaus.«

      Rosmarie war gekommen!

      Inge warf ihr einen dankbaren Blick zu, dann ließ sie sich hinausführen, wie eine Puppe in Rosmaries schnittigen Sportwagen setzen, ein Überbleibsel aus Rosmaries Vergangenheit. Rosmarie liebte schnelle Autos, und einen Spaß musste man sich doch erlauben.

      Rosmarie achtete darauf, dass Inge angeschnallt war, und dann raste sie los, als gelte es einen Grand Prix zu gewinnen. Sie sprachen kein Wort miteinander, Inge saß zusammengesunken auf ihrem Platz, und ihre Gedanken kreisten nur darum, dass Pamela im Krankenhaus lag, angefahren von einem Auto und das auch noch an der Bushaltestelle.

      *

      Heinz hatte Werner vorgewarnt, und so war der überhaupt nicht erstaunt, als Inge und Rosmarie auftauchten. Inge fiel ihrem Mann in die Arme, und jetzt löste sich ihre unnatürliche Starre, sie begann haltlos zu schluchzen.

      Rosmarie stand dabei, sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

      Obwohl Pamela nicht ihr ei­genes Kind war, konnte sie hundertprozentig nachvollziehen, was die arme Inge gerade durchmachte.

      Irgendwann beruhigte Inge sich ein wenig, wollte wissen, was mit Pamela nun eigentlich sei, doch wie von Heinz vorausgesagt, konnte Werner seiner Frau nichts Genaues sagen. Pamela wurde immer noch untersucht.

      »Rosmarie, wenn du dich um Inge kümmerst, dann versuche ich mal, einen Arzt zu erreichen.«

      Rosmarie versprach es, sie setzte sich mit Inge auf eine Bank, hielt deren Hand, während Werner eilig davonging. Irgendwie hatte man das Gefühl, dass er froh war, jetzt etwas tun zu können.

      Werner kam nicht zurück, vom Klinikpersonal zeigte sich niemand, und die Zeit ging sehr zäh dahin. Die Zeiger der großen Wanduhr schienen sich nicht zu bewegen.

      Rosmarie war froh, dass Inge keine Fragen stellte, und andererseits freute Inge sich, dass Rosmarie nicht versuchte, sie aufzumuntern. In gewissen Situationen war es einfach besser, zu schweigen, da reichte es zu spüren, dass es an seiner Seite jemanden gab, der mitfühlte.

      Nach unendlich langer Zeit kamen Werner und eine Ärztin beinahe gleichzeitig bei Inge und Rosmarie an.

      »Wer sind die Eltern?«, erkundigte sich die Ärztin. Inge sprang auf, Werner hob, wie früher in der Schule, wenn man sich meldete, den Arm. Als der Blick der Ärztin auf Rosmarie fiel, sagten Werner und Inge beinahe gleichzeitig wie aus einem Mund: »Frau Rückert gehört auch zur Familie.«

      Das traf absolut zu. Nachdem dieser Punkt geklärt war, kam die erlösende Nachricht: »Pamela hatte Glück im Unglück, sie war wohl geistesgegenwärtig beiseite gesprungen und war von dem Auto nur gestreift worden. Sie war mit Prellungen, Blutergüssen, Schnittwunden davongekommen. Am meisten hatte es ihre Hände getroffen, weil sie sich vermutlich beim Sturz mit ihnen abgestützt hatte. Doch auch da hat Ihre Tochter großes Glück gehabt, es scheint alles in Ordnung. Morgen wird sich unser Handchirurg die Hände ansehen, es sind noch ein paar Untersuchungen zu machen. Wir möchten Ihre Tochter danach gern noch zur Beobachtung für ein paar Tage bei uns behalten. Sie hatte wirklich ganz großes Glück im Unglück. Es hätte sehr viel schlimmer ausgehen können. Pamela hatte einen Schutzengel an ihrer Seite. Wenn Sie möchten, dann können Sie jetzt nach Ihrer Tochter sehen, aber bitte nicht lange, wir haben ihr etwas zur Beruhigung gegeben, viel sprechen wird sie also nicht mit Ihnen können.«

      Für Inge klang das wie Musik in ihren Ohren, sie hätte am liebsten die Ärztin umarmt. Allerdings brachte sie in ihrer Aufregung gerade mal ein knappes »Danke« heraus.

      Werner fragte nach der Zimmernummer, darauf wäre Inge jetzt nicht gekommen.

      Wenig später standen sie zu dritt, Rosmarie hatte sich diskret zurückhalten wollen, doch das war für die Auerbachs überhaupt nicht infrage gekommen, vor Pamelas Bett.

      Beim Anblick ihrer Tochter in diesem Krankenbett musste Inge an sich halten, um sich jetzt nicht auf Pamela zu stürzen, sie in ihre Arme zu nehmen. Und sie hielt auch ganz gewaltsam ihre Tränen zurück.

      Pamelas Augen waren geschlossen, ihr schmales Gesicht wurde von ihren wilden braunen Locken umrahmt.

      Ein Vergleich drängte sich Inge auf. Pamela lag da wie Schneewittchen im Sarg, nur, dass es kein Sarg, sondern ein Bett war. Pamela hatte das Märchen geliebt und es als kleines Mädchen immer wieder hören wollen.

      Schlief Pamela?

      Wusste sie, dass ihre Eltern hier waren?

      Eine Krankenschwester kam herein, warf einen prüfenden Blick auf Pamela.

      »Sie schläft«, sagte sie, »und das wird in den nächsten Stunden auch so bleiben. Gehen Sie nach Hause, hier können Sie erst einmal nichts ausrichten. Ihre Telefonnummer haben wir ja, sollte sich am Zustand Ihrer Tochter etwas verändern, rufen wir Sie sofort an.«

      Sie überprüfte hier und da noch etwas, dann nickte sie den Besucherinnen und dem Besucher zu und verließ das Krankenzimmer.

      Werner, Inge und Rosmarie blieben zurück.

      »Ich bleibe auf jeden Fall hier«, entschied Inge. »Ich möchte bei ihr sein, wenn Pamela wieder aufwacht.«

      »Das kann Stunden dauern«, wandte Rosmarie ein, doch Inge war von ihrer Entscheidung nicht abzubringen.

      »Ja, dann gehe ich jetzt«, sagte Rosmarie, »wenn du was brauchst, ruf mich einfach an, ja?«

      Inge nickte, bedankte sich, schaute Werner an, dem anzusehen war, dass auch er jetzt am liebsten gegangen wäre, sich nur nicht so richtig traute. Konnte er Inge in diesem Zustand allein bei Pamela lassen? Würde sie ihm grollen, wenn er ging?

      Inge erlöste ihn von seinen Qualen.

      »Du musst nicht hierbleiben, Werner, fahr nach Hause. Das Essen steht auf dem Ofen, du musst es nur warm machen, oder geh zu meinen Eltern, die müssen eh erfahren, was passiert ist. Sie werden aus allen Wolken fallen. Und noch etwas, Werner, die Hunde sind im Garten, die musst du ins Haus lassen, und fressen müssen sie auch.«

      Man sah Werner an, dass er mit diesen Hinweisen total überfordert war. Das hatte natürlich auch Rosmarie gemerkt. »Werner, ich kümmere mich um alles. Ich fahr schon mal vor, du rufst kurz an, und ich komme vorbei, einverstanden?«

      Und ob er das war, Werner war so richtig erleichtert.

      Rosmarie verabschiedete sich von Inge, warf einen letzten Blick auf die schlafende Pamela, nickte Werner aufmunternd zu, dann ging sie.

      »Es ist richtig nett von Rosmarie«, sagte Inge nach einer Weile.

      Er nickte.

      »Ja, das ist es, und du …, ich meine, es macht dir wirklich nichts aus, wenn ich jetzt gehe? Etwas tun für Pamela können wir augenblicklich eh nicht, und beide hier herumsitzen …«

      Sie erhob sich, legte einen Arm auf seine Schulter.

      »Werner, du musst kein schlechtes Gewissen haben, wirklich nicht. Es ist ganz gut, dass ich erst einmal allein hier sitze. Ich muss mir vor Augen führen, was passiert ist und was alles

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