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Frau Doktor, Sie verstehen es auf ganz wunderbare Weise, einen immer wieder aufzubauen.«

      Dann ging sie, und Roberta blieb ein wenig nachdenklich zurück.

      Sie wünschte sich so sehr, dass Inge Auerbach wieder zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückfinden würde. Inge Auerbach war eine so starke, eine so liebenswerte Frau. Sie würde es schaffen, daran hatte Roberta überhaupt keinen Zweifel, aber sie musste erst einmal ihren Kopf freibekommen, und sie durfte sich vor allem nicht länger von ihren Schuldgefühlen quälen lassen.

      Ehe Roberta den nächsten Patienten hereinrief, dachte sie noch einmal kurz an das, was Inge Auerbach ihr erzählt hatte.

      Das Haus am See …

      Es interessierte Roberta nicht wirklich, wer dort wann einziehen würde und überhaupt. Ihre Gedanken gingen für einen kurzen Augenblick zurück in die Vergangenheit. Kay …, sie dachte nicht mehr sehnsuchtsvoll und zerrissen an ihn, an jenen Mann, mit dem sie eine sehr kurze, aber wundervolle Liebe erlebt hatte. Es hatte lange gedauert, aber letztlich hatte ihr Verstand gesiegt, weil es, auch wenn er geblieben wäre, mit ihm keine Zukunft gehabt hätte. Ein Abenteurer und sie, das ging überhaupt nicht. Ihre Herzen und ihre Seelen hatten zwar einen wundervollen Weg zueinandergefunden, doch ihre Welten drifteten zu stark auseinander. Es hätte mit ihnen keinen lebbaren Alltag gegeben. Und das Leben fand schließlich auf Erden statt und nicht auf Wolke Sieben.

      Der Schmerz war einer sanften Zärtlichkeit gewichen, wenn sie an ihn dachte. Das zwischen ihr und Kay war im rechten Moment geschehen, denn er hatte viel dazu beigetragen, dass sie ihre schreckliche Ehe mit Max Steinfeld vergessen konnte. Vor allem hatte Kay ihr auch wieder den Glauben daran gegeben, dass nicht alle Männer so waren wie Max.

      Ach Kay …

      Für ihn hatte sie warme, zärtliche Gefühle. Mehr nicht. Lag das daran, dass die Gedanken an einen anderen Mann in ihr herumgeisterten, den sie sogar endlich beim Namen nennen konnte … Lars Magnusson. Aber das war es auch schon, mehr wusste sie über ihn nicht. Und er hatte sich auch nicht wieder bei ihr gemeldet, und sie wusste nicht, was sie davon zu halten hatte.

      Mit einer Flasche Wein bei ihr vorbeizukommmen, war eine schöne Idee gewesen. Und sie hatten sich auch ganz wunderbar miteinander unterhalten.

      War er nur bei ihr vorbeikommen, um auszutesten, wie er auf sie wirkte? Hatte er mitbekommen, dass sie …, oh nein, es wäre gruselig, wenn er wüsste, dass sie in ihn verliebt war.

      Ursel Hellenbrink steckte den Kopf zur Tür herein.

      »Frau Doktor, alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich besorgt. Sie kannte es nicht von ihrer Chefin, dass sie zwischen den einzelnen Patienten längere Pausen einlegte.

      Oh nein!

      Roberta bemühte sich, ihrer Mitarbeiterin nicht zu zeigen, wie schlecht sie sich gerade fühlte. So etwas war ihr noch nie zuvor vorgekommen.

      Was sollte Ursel von ihr denken?

      Roberta suchte Zuflucht in einer Notlüge, obschon sie so etwas hasste.

      »Ich habe versucht, für Frau Auerbach einen Termin zu machen. Es hat nicht geklappt. Bitte, führen Sie den nächsten Patienten herein. Wer ist es denn?«

      »Herr Hagedorn, und Sie werden nicht sehr erfreut sein. Er hat mir schon gestanden, dass er seine Blutdrucktabletten nicht regelmässig und wenn, dann auch nicht pünktlich eingenommen hat. Seine Werte spielen verrückt. Als ich gerade gemessen habe, lag der systolische Wert bei 240, und der diastolische Wert war 118. Reden Sie bitte noch mal eindringlich mit ihm. Er ist doch nicht blöd, und kein Mensch setzt aus lauter Nachlässigkeit seine Gesundheit aufs Spiel.«

      Sofort war Roberta wieder bei der Sache, zumal der Patient es einfach nicht begreifen wollte, wie sehr er mit seiner Gesundheit spielte.

      »Ich rede mit ihm«, sagte Roberta. »Bitte, schicken Sie ihn zu mir.«

      Das geschah, und jetzt war Roberta nur noch die Ärztin, die sehr um den Gesundheitszustand ihres Patienten besorgt war. Sie verschwendete keinen Gedanken mehr an Kay und an Lars Magnusson ebenfalls nicht. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie sich für einen Moment hatte ablenken lassen. So etwas durfte einfach nicht vorkommen.

      *

      Leonie Schulz war ganz aufgeregt, als es an der Haustür klingelte, und Manuel Münster kam, um sie abzuholen. Zum Glück meckerte ihre Mutter nicht mehr, dass sie mit Manuel bei ihm daheim für die Mathearbeit lernen wollte. Manchmal war ihre Mami wirklich komisch, und Leonie wusste nicht, warum. Jetzt war doch alles gut. Sie wohnten im Sonnenwinkel in einem wunderschönen Haus, und Leonie konnte jetzt sogar schon auf dem Fahrrad fahren, das hatte Manuel ihr beigebracht, und sie durfte auch das Fahrrad seiner Stiefmutter erst einmal benutzen. Das war richtig lieb, und Leonie würde sie gleich kennenlernen und konnte sich bei ihr bedanken. Ein bisschen aufgeregt war sie schon.

      Sie umarmte ihre Mutter, dann riss sie die Haustür auf. Es war wirklich Manuel, und er sagte: »Hi, Leonie. Können wir?« Sie nickte aufgeregt, dann sagte sie: »Hi, Manuel.«

      Sie hatte vereinbart, dass sie mit dem Fahrrad hinauf zum Erlenhof fahren würde, und Leonie war schon ein bisschen aufgeregt. Bis zum Erlenhof, das war ein ganz schöner Berg, und bislang hatte sie ihre Fahrkünste nur auf den ebenen Wegen am See bewiesen.

      Würde sie das schaffen?

      Sie musste es. Sie konnte sich vor Manuel unmöglich eine Blöße geben.

      Leonie holte ihr Fahrrad aus der Garage, und dann radelten sie los. Es war herrlich und machte so unglaublich viel Spaß. Und den hatten auch sie, als sie sich miteinander unterhielten.

      Zuerst war es überhaupt kein Problem, es ging nur ganz allmählich bergan. Aber dann wurde es steil. Es war ganz schön schwierig. Leonie war sich nicht sicher, ob sie das schaffen würde, kräftig in die Pedalen zu treten und gleichzeitig die Spur zu halten.

      Plötzlich stieg Manuel von seinem Fahrrad, was sie ebenfalls anhalten ließ. »Was ist los?«, wollte Leonie wissen.

      Er fuchtelte an seinem Fahrrad herum, murmelte etwas vor sich hin, dann richtete er sich wieder auf: »Mist, mit meiner Luft am Hinterreifen stimmt etwas nicht, und ich habe leider keine Luftpumpe dabei. Ich fürchte, ich muss mein Fahrrad jetzt schieben.«

      Leonie hätte am liebsten gejubelt, denn lange hätte sie es nicht mehr durchgehalten. Und sie konnte sich doch vor Manuel keine Blöße geben.

      »Dann schieb ich mein Fahrrad auch«, sagte sie.

      Als sie das breite Grinsen auf seinem Gesicht bemerkte, war sie ein wenig verunsichert, und sie fragte sich, ob Manuel das alles nur inszeniert hatte, weil von ihm bemerkt worden war, dass sie schwächelte.

      So etwas passte zu Manuel!

      Und wenn es wirklich so war, dann war es so etwas von peinlich.

      Aber sollte sie jetzt auf ihr Fahrrad steigen und losradeln?

      Sie sah den immer steiler werdenden Berg vor sich. Nein, auf keinen Fall. Sie hätte ihm jetzt sogar die Luftpumpe von ihrem Fahrrad anbieten können, die übersah sie besser.

      Manuel begann ihr das eine oder andere zu erklären, und irgendwann waren sie vor der Dependance angekommen, in der Manuel mit seiner Familie wohnte.

      Leonie wusste überhaupt nicht, wohin sie zuerst blicken sollte, zu diesem neuen Haus oder dem herrschaftlichen Herrenhaus, in dem seine Großmutter und deren Mann wohnten.

      Aus ihrer Zeit in England, Irland und Schottland kannte Leonie Herrensitze, allerdings nur aus der Ferne. So nahe dabei war sie noch nie gewesen.

      Sandra Münster kam aus dem Haus, sie wollte die Zwillinge gerade nach Hohenborn bringen.

      Sie begrüßte Leonie, und Leonie war hingerissen. Seine Stiefmutter sah nicht nur toll aus, nein, sie war ja auch so unbeschreiblich nett.

      »Du bist also Leonie«, sagte sie und reichte Leonie die Hand.

      »Manuel hat schon viel von dir erzählt.

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