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dem sich hier und da bereits ein wenig vorwitziges Grün zeigte.

      Alles sah so friedlich aus, doch der Schein trog, nichts war friedlich. In ihr brodelte ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen und alles vernichten konnte.

      Nein!

      Gerda wandte sich ab. Noch war nichts geschehen, und was sollte ausgerechnet hier passieren?

      In diesem Augenblick hörte sie in der Diele ein Gepoltere, Leonie schmiss ihre Schultasche auf den Boden und rief: »Hallo, Mami, ich bin wieder da, und ich habe einen tierischen Hunger. Was gibt es denn heute Leckeres zu essen?«

      Sie kam ins Wohnzimmer, ein wunderschönes Mädchen mit roten Locken, grünen Augen.

      Das allerdings nahm Gerda in diesem Moment kaum wahr.

      Leonie war eine Stunde zu spät nach Hause gekommen, und das musste sie ihr erklären.

      »Wo warst du?«, erkundigte Gerda sich. »Du hättest bereits vor einer Stunde hier sein müssen.«

      Leonie blickte ihre Mutter irritiert an, dann begann sie zu lachen.

      »Ich habe mich mit Manuel verquatscht. Zu dem werde ich übrigens heute Nachmittag nach Hause gehen. Er will mit mir für meine Mathe-Arbeit üben, die ich morgen schreiben werde, und er hat seine Mama auch schon gefragt. Die findet es okay, dass ich komme.«

      Oh Gott! Das konnte jetzt nicht wahr sein!

      Leonie wurde immer heimischer, fühlte sich immer wohler, und dieser Junge …, sie musste den Kontakt zu ihm unterbinden.

      Gerda glaubte zwar nicht, dass dieser Manuel ihrer Leonie etwas antun würde. Aber sie wurde immer vertrauter mit ihm, und auch wenn Leonie das meiste nicht wusste, könnte sie doch etwas ausplaudern, das nicht gut für sie wäre.

      »Ich will das nicht«, sagte Gerda, »und Mathe lernen kann ich auch mit dir. Schließlich habe ich dich jahrelang selbst unterrichtet, und du bist mühelos in die Jahrgangsstufe hineingekommen, in die du gehörst.«

      Was war denn bloß mit ihrer Mutter los?

      Seit sie im Sonnenwinkel wohnten, war sie verändert. Dabei war es hier doch so schön. Der Sonnenwinkel an sich, das Haus, ihr wunderschönes Prinzessinnenzimmer, und dann gab es auch noch Blacky, ihren schwarzen schnurrenden Prinzen.

      »Mama, ich möchte aber mit Manuel lernen, der kann es mir besser beibringen, und der hat in Mathe immer eine Eins oder eine Einsplus. Wenn es jemand kann, dann ja wohl der Manuel. Und, Mami, Manuel würde ja auch zu uns kommen. Aber du willst ja hier niemanden haben.«

      Das stimmte, aber sie konnte ihrer Tochter jetzt sehr schlecht sagen, dass sie jegliche sozialen Kontakte vermeiden wollte, weil die gefährlich werden konnten.

      »Hier ist noch nicht alles fertig«, redete Gerda sich heraus, »ich möchte Leute erst ins Haus lassen, wenn alles eingerichtet ist.«

      Leonie fiel ihrer Mutter um den Hals.

      »Mami, es ist doch alles schon so wunderschön. Du darfst nicht so kritisch sein. Und so etwas Wundervolles wie mein Prinzessinnenzimmer finden wir eh nicht mehr. Das ist nur einmalig auf der ganzen Welt. Und du hast es mir gekauft.«

      Leonie presste sich ganz eng an ihre Mutter.

      »Und du bist die allerbeste Mami auf der ganzen Welt. Ich bin ja so froh, dass ich dich habe, und ich bin auch so unendlich froh, dass wir jetzt hier wohnen. So schön war es noch nie zuvor, nirgendwo. Aber jetzt habe ich Hunger, Mami.«

      Für einen Augenblick wünschte Gerda sich, wenigstens ein wenig von der Unbeschwertheit ihrer Tochter zu haben.

      »Was gibt es denn?«, durchbrach die Stimme ihrer Tochter ihre Gedanken.

      »Spaghetti Bolognese«, antwortete Gerda, und Leonie begann vor lauter Freude zu quietschen.

      »Ich liebe Spaghetti«, rief sie im Brustton der Überzeugung. »Hoffentlich hast du davon genug gemacht.«

      Als sie gemeinsam in die Küche gingen, bückte Leonie sich und nahm Blacky auf den Arm, der sie schnurrend umstrich.

      »Und du, mein Schöner, worauf hast du denn Lust?«, wollte Leonie wissen. »Etwa auf Thunfisch?«

      Als habe er sie verstanden, begann Blacky noch mehr zu schnurren.

      »Mami, ich bin so froh, dass Blacky uns gefunden hat und dass sich niemand gemeldet hat, der ihn zurückhaben möchte. Ich glaube, alles hat so sein sollen, wie es gekommen ist. Schöner geht es nicht.«

      Sie waren in der Küche angekommen, Leonie schnupperte und rief: »Mami, wie köstlich das schon riecht.«

      Sie wollte sich hinsetzen, doch Gerda bestand darauf, dass ihre Tochter sich erst einmal die Hände wusch.

      Leonie grinste.

      »Ach, Mami, dich kann man wirklich nicht überlisten. Du hast ja recht, ich gehe rasch ins Badezimmer, und derweil kannst du mir eine Riesenportion auf den Teller tun.«

      Als sie die Spaghetti aus dem Topf holte, zitterte ihre Hand so stark, dass sie erst einmal innehalten musste.

      Was war bloß los mit ihr?

      Warum freute sie sich nicht?

      Alles war doch gut.

      Wie gern würde sie das glauben, wie gern würde sie diesen Satz als ein Mantra benutzen.

      Nichts war gut!

      Alles war auf Sand gebaut!

      Leonie kam zurückgerannt, und Gerda zwang sich, zu funktionieren.

      Mit Begeisterung stürzte Leonie sich auf die Spaghetti, Gerda hatte keinen Appetit, aber sie konnte unmöglich vor einem leeren Teller sitzen. Also tat sie sich ein paar Spaghetti auf den Teller.

      Als Leonie das sah, rief sie: »Mami, das kann doch jetzt nicht wahr sein. Du isst wie ein Vögelchen, und es ist überhaupt kein Wunder, dass du immer dünner wirst. Muss ich mir Sorgen machen?«

      »Musst du nicht«, antwortete Gerda und legte notgedrungen noch etwas nach. Wie sie das allerdings herunterkriegen sollte, war ihr ein Rätsel. Sie fühlte sich wie zugeschnürt und glaubte, keinen Bissen herunterbekommen zu können.

      Das konnte man von Leonie nicht behaupten.

      Die aß voller Behagen, und die Portion auf dem Teller wurde immer kleiner.

      Sie musste etwas verändern, dachte Gerda, die lustlos in ihren Nudeln herumstocherte. Wenn sie so weitermachte, dann steuerte sie in eine Depression hinein. Und dann?

      Sie wurde abgelenkt, weil Leonie ihr von der Schule zu erzählen begann und dass es ihr dort sehr gut gefiel.

      »Mami, es ist so schön, unter anderen Kindern zu sein. Du hast es ja auch ganz toll gemacht, und ich habe eine ganze Menge bei dir gelernt. Aber mit Kindern, das macht so viel mehr Spaß. Irgendwann darf ich auch Mädchen zu uns einladen, nicht wahr? Ich möchte allen doch so gern mein Prinzessinnenzimmer zeigen.«

      Es war zu verstehen, Leonie hatte noch niemals zuvor ein Zimmer mit eigenen Möbeln gehabt.

      »Irgendwann, mein Kind«, versprach Gerda. »Wir müssen nichts überstürzen.«

      Das verstand Leonie zwar nicht so ganz, aber sie wollte ihre Mutter auch nicht verärgern. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie war hoffentlich nicht krank. Aber der Manuel hatte gesagt, dass es im Sonnenwinkel eine supertolle Ärztin gab. Dahin sollte ihre Mami einmal gehen. Ihr durfte nichts passieren. Sie hatte doch sonst niemanden auf der ganzen Welt, und sie liebte ihre Mami über alles …

      Auch wenn sie besorgt war, hinderte es Leonie nicht daran, um eine weitere Portion Spaghetti Bolognese zu bitten.

      Gerda stocherte noch immer in ihrer ersten Portion herum. Aber das bekam Leonie zum Glück nicht mit, sie hatte viel zu erzählen, und es schmeckte ihr ja so gut!

      *

      Roberta sah die Krankenakte von Inge Auerbach auf ihrem

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