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Großmutter, die von ihren Enkelkindern heiß geliebt wurde. Ihre Mutter konnte aber auch mit Kindern besonders gut umgehen. Das wusste sie aus eigener Erfahrung, und das sah sie, wenn mal Kinder hier oben waren, auch fremde Kinder wandten sich ganz zutraulich an Marianne von Rieding.

      Wenn nun das neue Baby ihre Mutter zum Bleiben veranlassen würde? Dann wäre das ein Geschenk des Himmels. Aber das war das ungeborene Kleine für Felix und sie ohnehin. Sie konnten dieses Wunder noch immer nicht richtig fassen. Wie verzweifelt hatten sie sich bemüht, noch einmal Eltern zu werden. Es hatte einfach nicht geklappt. Erst als sie resigniert aufgegeben hatten, war es geschehen. Einfach so. Es schien wirklich etwas Wahres dran zu sein, dass es geschah, wenn man nicht mehr mit Verbissenheit bemüht war.

      Obwohl Sandra es hinreichend kannte, auch die Einstellung ihrer Mutter zum Herrenhaus, dem gesamten Anwesen, wagte sie einen weiteren Vorstoß.

      »Mama, es wäre schön, wenn du nicht daran denken würdest, hier wegzuziehen. Du gehörst hierher. Das sehen auch die Sonnenwinkler so. Niemand präsentiert sich hier oben so wie du, niemand repräsentiert so. Alle sehen in dir die Herrin vom Erlenhof. Carlo und du, ihr habt doch überhaupt noch keine richtige Perspektive, keine richtigen Pläne, was mit dem Herrenhaus geschehen soll. Man trifft sehr schnell übereilt Entscheidungen, die man hinterher bereut. Für uns kommt auf jeden Fall kein Umzug infrage. Wir bleiben in unserem Domizil. Felix hat das Haus für sehr viel Geld ganz nach unseren Wünschen umbauen lassen. Wir fühlen uns alle pudelwohl, und im Haus wäre noch Platz für mindestens fünf weitere Kinder.«

      Sie blickte ihre Mutter bittend an.

      »Mama, ist es nicht wundervoll, dass wir so dicht beieinander wohnen? Wir können uns sehen, wann wir wollen, können miteinander Kaffee trinken oder gemeinsam essen. Die Kinder laufen nur ein paar Schritte, um zu dir und Carlo zu kommen. Und wenn Not am Manne ist, kannst du auf die Kinder aufpassen.«

      Im Grunde genommen wusste Sandra, dass so etwas nicht viel brachte. Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Male. Auch vor Carlos Krankheit hatte Marianne bereits schon über einen Wegzug nachgedacht.

      Gäbe es nicht ihre Sandra und deren Familie, wäre sie längst schon weg. Natürlich würde es ihr schwerfallen, von ihrer Tochter und ihren geliebten Enkeln getrennt zu sein. Marianne mochte auch ihren Schwiegersohn sehr gern. Aber sie durfte nicht vergessen, dass sie in erster Linie ihr eigenes Leben leben musste, nicht das ihrer Familie.

      Andere Menschen lebten weit voneinander entfernt. Die Auerbachs hatten ihre beiden jüngsten Kinder beispielsweise in Australien. Und das war nicht gerade nur um die Ecke. Es war halt so, und sie mussten damit fertig werden.

      Marianne war hin und her gerissen. Es war wirklich so, dass sie längst eine Entscheidung getroffen hätte, gäbe es nicht ihre Familie gleich nebenan. Das hatte schon etwas für sich. Aber sie wusste, dass man nicht alles haben konnte.

      »Sandra, lass uns das Thema beenden. Noch ist wirklich überhaupt nichts spruchreif. Ich erinnere dich nur immer wieder daran, dass du nicht irgendwann aus allen Wolken fällst, wenn Carlo und ich eine Entscheidung getroffen haben. Komm, lass uns über das Baby sprechen, das du unter deinem Herzen trägst. Weißt du denn schon, was es sein wird?«

      Sandra schüttelte den Kopf.

      »Nein, und wir möchten es auch nicht wissen. Wir lassen uns überraschen. Wir freuen uns über einen Jungen genauso wie über ein Mädchen. Die Hauptsache ist doch, dass es gesund ist. Und danach sieht alles aus. Und dafür müssen wir dankbar sein, und das sind wir auch.«

      Das Baby war auf jeden Fall ein sehr viel spannenderes Thema als ein Wegzug, und die nächste Stunde sprachen die beiden Frauen über nichts anderes.

      Erst als sie das Herannahen eines Autos hörten, unterbrach Marianne sich.

      »Das wird Carlo sein. Dann will ich jetzt mal gehen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass du jetzt über Krankheiten reden möchtest. Und davon wird Carlo anfangen, weil er schließlich von Frau Doktor Steinfeld kommt.«

      Marianne stand auf.

      »Darf ich es Carlo sagen?«, erkundigte sie sich.

      Dagegen hatte Sandra nichts einzuwenden. Carlo gehörte zur Familie, er war der Mann an der Seite ihrer Mutter. Und er war wirklich ein Glücksfall. Niemand hätte für möglich gehalten, dass ihre Mutter noch einmal eine späte Herzensliebe erleben würde. Ihre Mutter sperrte sich gegen das alles hier oben, dabei hatte sie Carlo doch erst hier kennengelernt. Das vergaß sie manchmal.

      Marianne von Rieding um­armte ihre Tochter.

      »Ach, mein Kind, du weißt überhaupt nicht, wie sehr ich mich freue.«

      Ehe Sandra etwas antworten konnte, verließ ihre Mutter das Haus. Draußen hörte Sandra sie mit Carlo sprechen. Die beiden pflegten einen sehr liebevollen Umgangston miteinander.

      »Schön, dass du wieder da bist, mein Schatz«, rief Marianne. »Ich muss dir etwas erzählen, das wird dich vom Hocker reißen.«

      Carlo würde sich ebenfalls freuen, davon war Sandra überzeugt. Sie strich sich behutsam über ihren gewölbten Leib. Sie und Felix würden ein Baby haben …, etwas Schöneres konnte es nicht geben.

      *

      Gerda Schulz lief wie ein gefangener Tiger durch das Haus. Es störte sie gerade die Fliege an der Wand, und Blacky, den schwarzen Kater, mit dem sie sich mittlerweile abgefunden hatte, bekam ihre schlechte Laune zu spüren.

      »Hau ab!«, rief Gerda, »schleich nicht andauernd um mich herum.«

      Blacky zog sich beleidigt zurück und verschwand unter dem Tisch.

      Gerda blickte auf ihre Armbanduhr.

      Wo Leonie nur blieb! Sie hätte bereits seit einer Stunde daheim sein müssen.

      Ob ihr etwas passiert war?

      Gerda spürte, wie ihr Herz sich verkrampfte und wie die Panik in ihr sich immer breiter machte.

      Sie war nicht mehr sie selbst, seit sie und Leonie in dieses Haus im Sonnenwinkel gezogen waren. Seither hatte sie das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen, und sie glaubte die drohende Gefahr förmlich zu spüren.

      Es war keine gute Entscheidung gewesen!

      In all den Jahren ihrer Wanderschaft, ob es nun in England, Frankreich, Spanien, Portugal, Schottland oder Irland gewesen war, hatte sie ein solches Gefühl niemals verspürt.

      Sie hätte nicht nachgeben sollen!

      Wie konnte eine Heranwachsende denn darüber entscheiden, welcher Wohnsitz gut war oder nicht.

      Leonie hatte im Internet das Haus und den Sonnenwinkel entdeckt, und da war sie außer Rand und Band gewesen, hatte unbedingt in genau dieses Haus ziehen wollen.

      Und was hatte sie getan?

      Getrieben von einem schlechten Gewissen, hatte sie ihrer Tochter diesen Wunsch erfüllt. Und anfangs hatte sie sogar geglaubt, dass es so hatte sein sollen. Sie hatte, nicht wie ursprünglich vorgesehenen, das Haus kaufen müssen, sondern man hatte es ihr vermietet. Und obwohl es mehrere Interessenten gegeben hatte, hatte die Vermieterin sich für sie und Leonie entschieden.

      Seit sie hier eingezogen war, hatte sie keine Ruhe mehr gefunden, ja, sie fühlte sich manchmal regelrecht verfolgt. Und wenn sie an das Theater dachte, das sie damals veranstaltet hatte, als die Vase zerschlagen auf dem Boden gelegen hatte. Mit einem Messer bewaffnet war sie durch das Haus gezogen, um schließlich festzustellen, dass die Geräusche und das Zerschlagen der Vase eine schwarze Katze verursacht hatte, die einfach so ins Haus gekommen war. Blacky. Er hatte sie gesucht, denn er schien offensichtlich zu niemandem zu gehören. Und Leonie war überglücklich gewesen.

      Ach ja, ihre Leonie, die blühte förmlich auf, und sie sagte ihr mehr als nur einmal täglich, wie glücklich sie doch war.

      Und musste sie sich damit nicht zufriedengeben?

      Sie tat doch alles für ihr Kind, sie wollte, dass Leonie glücklich war. Und hier war sie es, das war keine

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