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es als Probestunde.«

      Sie bedankte sich, dann hatte sie es eilig. Nachdem sie sich verabschiedet hatte, versuchte sie schnell und möglichst unauffällig zu ihrem Haus zu kommen.

      Das Glück war auf ihrer Seite.

      Nur ein kleiner weißer Hund kam ihr kläffend entgegengerannt, wollte zur Begrüßung an ihr hochspringen, merkte, dass sie nass war. Er machte eine Kehrtwendung und lief wieder davon.

      Roberta atmete erleichtert auf, als sie das Gartentor erreichte und ungesehen ins Haus laufen konnte.

      Wenn sie jemand gesehen hätte, dann hätte es sehr schnell die Runde gemacht, dass die Frau Doktor ins Was­ser­ gefallen sei.

      Und, was Gerüchte so an sich hatten, jeder, der es weiter verbreitete, schmückte es aus.

      Und es hätte Roberta überhaupt nicht gewundert, wenn ihr schließlich zu Ohren gekommen wäre, sie sei betrunken gewesen und in den See gefallen.

      Gerüchte konnten ganz übel sein.

      Es war alles gut gegangen, in jeder Hinsicht. Das Kind war viel zu kurz im Wasser gewesen, um dauerhaft einen Schaden davonzutragen, die Mutter würde künftig ganz gewiss besser auf ihr Kind aufpassen, und natürlich würde sie sich wieder ein Ruderboot ausleihen. Bis auf diesen Zwischenfall war es herrlich gewesen …

      *

      Damit der Zeitungsbote und der Briefträger nicht den langen Weg bis zum Haus machen mussten, hatten die Auerbachs ihren Briefkasten vorn am Gartentor anbringen lassen. Und Bambi hatte es übernommen, morgens die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen.

      Professor Auerbach war ganz heiß darauf, morgens seine Zeitung zu bekommen, das war ein lieb gewordenes Ritual. Doch ehe ihr Vater die Zeitung bekam, warf Bambi schon mal einen ersten Blick darauf, zumindest auf die erste Seite.

      Spannendes war meistens nicht zu lesen, weil im Sonnenwinkel nicht viel geschah. Das konnte man so oder so sehen.

      Eher aus Gewohnheit als mit einer Erwartungshaltung faltete Bambi die Zeitung auseinander, und dann blieb sie vor lauter Überraschung mit geöffnetem Mund stehen.

      Das glaubte sie jetzt nicht.

      Das konnte nicht wahr sein.

      Sie sah ein Foto von Frau Doktor Steinfeld, wie die gerade ein Kind aus dem Wasser zog.

      Und darüber stand die reißerisch aufgemachte Überschrift: Wer ist die unbekannte Frau, die diesem Kind das Leben gerettet hat, es vor dem sicheren Ertrinkenstod bewahrte?

      Bambi kam aus dem Staunen nicht heraus. Also, das musste sie jetzt noch einmal lesen. Das alles konnte ja nun überhaupt nicht wahr sein. Doch wieso unbekannte Frau – wusste derjenige, der das Foto gemacht hatte, nicht, dass es sich dabei um die neue Ärztin des Sonnenwinkels handelte? Das wusste mittlerweile ja wohl jeder.

      Als Bambi den Artikel mehr als nur einmal gelesen hatte, rannte sie ins Haus, zu ihren Eltern, die längst am Frühstückstisch saßen.

      Ihrem Vater war anzusehen, dass er ungeduldig auf die Zeitung wartete.

      »Wo warst du, mein Kind? Musste die Zeitung erst noch gedruckt werden?«, neckte er sie.

      Bambi hing an ihrem Vater, sie und er waren ein Herz und eine Seele. Sie umarmte ihn, drückte ihm ein kleines Küsschen auf die Wange.

      »Nein, Papi. Ich musste erst einmal einen Blick in die Zeitung werfen, und dann war ich fix und fertig und musste es ein zweites und ein drittes Mal lesen. Es ist nicht zu glauben, es zieht einem die Schuhe aus.«

      Bambi war jetzt in einem Alter, in dem es einem gefiel, »cool« zu sagen oder eben »es zieht einem die Schuhe aus«, aus Erfahrung wussten die Auerbachs, dass sich das schnell änderte. Wenn sie hier und da glaubten, ihrer Tochter mit einem solchen Ausspruch einen Gefallen zu tun, verdrehte Bambi nur die Augen, weil das alles längst Schnee von gestern war.

      Inge Auerbach lachte.

      »Was ist los, Bambi? Du bist ja reinweg aus dem Häuschen.«

      »Die Frau Doktor hat ein Kind vor dem Ertrinken ge­rettet, und das hat zufällig ein Landschaftsfotograf mitbekommen und es im Bild festgehalten. Die Frau Doktor ist jetzt berühmt.«

      »Gib her«, rief der Professor und riss seiner Jüngsten die Zeitung förmlich aus der Hand.

      Und auch Inge platzte vor lauter Neugier, was sonst nicht ihre Art war. Sie stand auf, ging um den Tisch herum, dann zog sie sich einen Stuhl heran, setzte sich neben ihren Mann und rief: »Werner, leg die Zeitung bitte so auf den Tisch, dass ich gleich mitlesen kann.«

      Werner Auerbach tat seiner Frau den Gefallen, und gemeinsam lasen sie, was Bambi ihnen vorab erzählt hatte.

      Bambi trank derweil ganz genüsslich ihren Kakao, den sie noch immer über alles liebte, wo sie doch eigentlich schon beinahe erwachsen sein wollte. Und sie tauchte ihr Croissant mitten hinein, um es sich dann voller Hingabe in den Mund zu schieben. Dass die aufgeweichte Masse teilweise zurück in den Kakaobecher plumpste, bekam ihre Mutter zum Glück nicht mit.

      Inge ließ ihrer Tochter so manches durchgehen. Was die Tischmanieren anging, da war sie streng. Und das war auch so bei ihren großen Kindern gewesen.

      Der Landschaftsfotograf war wegen einer Auftragsarbeit in den Sonnenwinkel gekommen, und als Profi hatte er sich diese Chance, auf die erste Seite zu kommen, natürlich nicht entgehen lassen. Er hatte auch Fotos von exzellenter Qualität gemacht.

      Die Rettung des Kindes sah richtig dramatisch aus, selbst ein Blinder konnte erkennen, dass es in höchster Lebensgefahr schwebte.

      Inge erhob sich.

      So spannend der Artikel auch war. Sie war informiert, wusste worum es ging.

      Jetzt hatte sie erst einmal wieder Lust auf eine Tasse Kaffee. Den Kaffee brauchte sie morgens einfach, um in die Spur zu kommen. Und sie genoss ihn, ihren ersten Morgenkaffee. Wobei gesagt werden musste, dass es bereits ihr zweiter war.

      »Also, wenn die Menschen im Sonnenwinkel jetzt noch immer nicht begreifen, welches Juwel der Doktor Riedel uns da besorgt hat, dann weiß ich nicht«, sagte sie. »Wie selbstlos unsere Frau Doktor ist, wie besonnen und tatkräftig. Stellt euch mal vor, hätte dieser Fotograf nicht auf den Auslöser gedrückt, dann hätten wir nichts von dieser Heldentat erfahren.«

      Professor Auerbach warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu, was Bambi wohlgefällig registrierte. Es machte sie sehr glücklich, dass ihre Eltern sich so gut verstanden, dass ihre Familie überhaupt intakt war.

      Von Schulkameradinnen und Schulkameraden wusste sie ­anderes. Ihre Banknachbarin, mit der sie sich sehr gut verstand, musste gerade eine schreckliche Scheidung ihrer Eltern erleben, in der nicht nur um Hab und Gut gestritten wurde, sondern auch um das einzige Kind.

      So etwas würde bei ihnen niemals eintreten, und das machte sie sehr froh.

      Professor Auerbach sagte: »Es ist wirklich großartig, was unsere Frau Doktor da gemacht hat. Aber die Sonnenwinkler wären auch irgendwann so dahinter gekommen, was für eine großartige Frau sich hier bei uns als Ärztin niedergelassen hat. Ich könnte darauf wetten, dass sie jetzt natürlich alle in die Praxis strömen werden, was mich für Frau Dr. Steinfeld auch sehr freut. Sie hat es verdient. Doch sag mal, mein Schatz, dann ist doch nun die Begrüßungsparty bei den Münsters überflüssig geworden, oder?«

      Der Professor, als Wissenschaftler weltweit noch immer sehr gefragt, war froh, wenn er es sich daheim gemütlich machen konnte. Er vermied, wenn es ging, gesellschaftliche Zusammenkünfte, weil er davon mehr hatte als ihm lieb war.

      Natürlich wusste seine Frau das. Wenn man so lange zusammen war wie die beiden, dann kannte man sich, wusste um jede Marotte, um die Vorlieben und das, was man nicht so schätzte.

      Sie lachte.

      »Oh nein, mein Lieber. Ich finde, jetzt gibt es erst recht einen Anlass für dieses Fest. Das muss gebührend gefeiert werden.«

      Jonny

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