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      Es war nicht die erste Person, die Bill oder Riley über die Jahre bei der Ausübung ihrer Dienstpflichten getötet hatten, doch Bill nahm es dieses Mal mehr mit als sonst. Es war das erste Mal, das er Gewalt mit möglicher Todesfolge angewendet hatte, seitdem er letzten April versehentlich einen unschuldigen Mann angeschossen hatte. Der Mann hatte überlebt, aber Bill wurde immer noch von diesem Fehler verfolgt.

      „Agentin Roston wird schon passen“, sagte Riley zu Meredith. Die junge Afro-Amerikanische Agentin war in den letzten Monaten zu Rileys Protegé geworden. Riley hatte eine hohe Meinung von ihr.

      „Ich werde ein Flugzeug für Sie von Quantico nach Philly bereitstellen, sobald Sie beide hier sind“, sagte Meredith. „Wir treffen uns auf der Landebahn.“

      Sie legten auf und Riley saß noch einige Momente auf dem Bett und starrte ihr Telefon an.

      Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? fragte sie sich.

      Sollte sie wirklich einfach so davonfliegen, wenn hier Zuhause gerade alles so unsicher war?

      Die Frage rief dieselbe Wut hervor, die sie schon gestern gespürt hatte.

      Erneut ärgerte sie sich, so viel über die Wünsche und Bedürfnisse anderer nachdenken zu müssen –– besonders da sie so oft vergaßen, an sie zu denken.

      Sie könnte hier bleiben und ihr Bestes geben, um Jilly und April zu besänftigen, indem sie sich für Dinge entschuldigte, die eigentlich überhaupt nicht ihre Schuld waren, oder sie könnte da rausgehen und sich nützlich machen. Und in diesem Moment hatte sie einen Job zu tun –– einen Job, den, wenn überhaupt, dann nur wenige so gut wie sie machen konnten.

      Sie schaute auf die Uhr und sah, dass es immer noch sehr früh am Morgen war. Sie wusste, dass Gabriela bereits wach sein würde, um das Frühstück zuzubereiten, dass die Kinder aber immer noch schliefen. Riley war nicht danach, den Kindern ihre Entscheidung zu erklären, doch sie wusste, dass Gabriela es verstehen würde, wenn sie runtergehen und es ihr sagen würde. Riley konnte für den Weg etwas zu Essen mitnehmen und losfahren, und Gabriela würde es den Mädchen sagen, bevor sie sie zur Schule schickte.

      Jetzt musste Riley sich erstmal anziehen und ihre Reisetasche packen. Als sie aus dem Bett steig und ins Bad ging, fühlte sie, dass sie sich seit Tagen nicht mehr so gut gefühlt hatte, wie jetzt.

      Bald würde sie etwas tun, worin sie gut war –– selbst, wenn es überaus gefährlich sein konnte.

      KAPITEL DREI

      Als das FBI Flugzeug in Quantico startete, begann Riley die Unterlagen zum Fall auf ihrem Tablet Computer durchzugehen. Sie wollte gerade einen bestimmten Punkt kommentieren, als sie bemerkte, dass Jenn Roston, die neben ihr saß, nicht aufpasste. Jenn starrte aus dem Fenster, offensichtlich verloren in ihren eigenen Gedanken.

      „Ich denke, wir sollten beginnen“, sagte Riley.

      Doch sie erhielt keine Antwort von ihrer jungen Partnerin.

      Riley sagte: „Hast du mich gehört, Jenn?“

      Erneut bekam sie keine Antwort.

      Riley sagte nun lauter: „Jenn.“

      Jenn schaute sie aufgeschreckt an.

      „Was?“ sagte sie.

      Es erschien Riley fast so, als hätte Jenn vergessen, wo sie sich befand.

      Was ist los mit ihr? fragte Riley sich.

      Sie hatten sich vorhin beeilen müssen, um zum Flugzeug zu kommen. Meredith hatte die beiden Agentinnen nicht einmal in sein Büro eingeladen, um sie in den Fall einzuführen. Stattdessen hatte er sie neben dem wartenden Flugzeug auf der Landebahn getroffen. Kurz bevor sie ins Flugzeug gestiegen waren, hatte Meredith Riley hastig erklärt, wie sie die relevanten Polizeiberichte runterladen konnte. Sie hatte grade noch geschafft das zu tun, bevor das Flugzeug abgehoben war.

      Jetzt, wo das Flugzeug an Flughöhe gewann, hatte sie die Erwartung, den Fall mit ihrer Partnerin besprechen zu können. Doch Jenn schien gerade nicht sie selbst zu sein.

      Mit ihrer dunklen Haut, ihren kurzen glatten Haaren und ihren großen, eindringlichen Augen, hinterließ Rileys Partnerin den Eindruck einer Frau, die wusste, was sie tat. Und normalerweise stimmte das auch, doch heute schien Jenn abgelenkt zu sein.

      Riley deutete auf ihren Computer und sagte: „Wir haben einen Fall, an dem wir arbeiten sollten.“

      Jenn nickte hastig und sagte: „Ich weiß. Was haben wir bereits?“

      Während sie die Polizeiberichte überflog, sagte Riley: „Nicht viel, zumindest noch nicht. Vor einer Woche gab es einen Mord in Petersboro, einem Vorort von Philadelphia. Justin Selves, Ehemann und Vater, wurde in seinem Haus ermordet. Ihm wurde die Kehle aufgeschnitten.“

      „Was war das Motiv?“, fragte Jenn.

      Riley sagte: „Zuerst hatte die Polizei angenommen, dass es ein missglückter Einbruch sei. Doch erst gestern wurde eine Frau namens Joan Cornell tot in ihrem Haus in Springett, einem anderen Vorort direkt neben Petersboro, aufgefunden. Auch ihr wurde die Kehle durchgeschnitten.“

      Jenn neigte den Kopf zur Seite und sagte: „Vielleicht war das auch nur ein vermasselter Einbruch. Die Todesursache könnte bloßer Zufall sein. Sollte für die dortige Polizei doch auch ohne unsere Hilfe einfach zu klären sein. Klingt nicht nach einer Serie.“

      Riley schaute die Berichte weiter durch und sagte: „Vielleicht auch nicht, außer einem merkwürdigen Detail. Von jedem Tatort wurde ein Stuhl geklaut.“

      „Ein Stuhl?“, fragte Jenn.

      „Ja, ein Esszimmerstuhl.“

      „Was macht das denn für einen Sinn?“, fragte Jenn.

      Riley sagte: „Bisher keinen vielleicht. Es ist unsere Aufgabe, dahinter zu kommen.“

      Jenn schüttelte den Kopf und murmelte: „Stühle. Wir ermitteln wegen geklauten Stühlen.“

      Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Ich wette, es ist nichts. Jedenfalls nichts, womit sich die Verhaltensanalyseeinheit befassen müsste. Bloß ein paar dumme und scheußliche Morde. Ehe wir uns versehen, werden wir wahrscheinlich auf dem Weg zurück nach Quantico sein.“

      Riley wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht die Gewohnheit sich eine Meinung zu bilden, bevor sie einen Fall überhaupt erst begonnen hatte. Und es sah auch Jenn nicht ähnlich, das zu tun, aber aus irgendeinem Grund schien Jenn gerade untypisch gleichgültig zu sein.

      Riley fragte vorsichtig: „Jenn, stimmt irgendetwas nicht?“

      „Nein“, sagte Jenn. „Wieso fragst du?“

      Riley suchte nach den richtigen Worten.

      „Naja, es ist nur so...dass du irgendwie...“

      Riley hielt inne und sagte dann: „Du würdest es mir sagen, wenn irgendwas nicht stimmen würde, oder?“

      Jenn lächelte schwach.

      „Was soll schon nicht stimmen?“, fragte sie Riley. Dann drehte sie sich wieder weg und starrte erneut aus dem Fenster.

      Riley bekam von Jenns ausweichender Antwort ein unruhiges Kribbeln. Sie fragte sich, ob sie auf der Sache beharren sollte. Jenn konnte sensibel reagieren, wenn Menschen zu viele bohrende Fragen stellten. Riley versuchte sich einzureden, dass alles in Ordnung war. Es war möglich, dass es nur eine vergängliche Laune von Jenns Seite aus war.

      Und doch.

      Riley wusste viel über Jenn –– besonders über ihre Vergangenheit. Sie wusste, dass Jenn in einer sogenannten „Pflegefamilie“ aufgewachsen war, die von einer genialen und bösen Frau, die sich „Tante Cora“ nannte, geleitet

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