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beinahe unheimliche Fähigkeit in die Gedanken eines Mörders vorzudringen, während sie den Tatort untersuchte. Doch das passierte nicht immer, und gerade jetzt geschah gar nichts. Bisher blieben ihre Gedanken leer.

      Jenn erschien nun durchaus engagiert und fragte die zwei Polizeichefs alle erforderlichen Routinefragen ab. Riley wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass Jenn irgendwelche vielversprechenden Antworten bekommen würde. Riley beschloss, dass sie sich in diesem Moment genauso gut im Haus umsehen konnte, um zu versuchen irgendeine Art intuitiver Eingebung darüber zu bekommen, was hier vorgefallen war.

      Während Riley im Erdgeschoss umherwanderte, spähte sie hinab in den Keller, in dem sich augenscheinlich ein großer Hobbyraum befand. Sie ging weiter durch ein Frühstückszimmer und ein großes Wohnzimmer mit einem schönen Kamin. Auf dem Klavier und anderorts waren mehrere Familienfotos aufgestellt –– alle bildeten die Mutter und die vier Kinder im unterschiedlichen Alter ab, doch keins davon zeigte ihren Ex-Mann.

      Nicht gerade überraschend, dachte Riley.

      Sie hatte auch keine Fotos von Ryan in ihrem eigenen Haus stehen.

      Riley stieg hinauf in den ersten und zweiten Stock, wo sie feststellte, dass die Kinderzimmer seit den Jugendjahren der Kinder wohl ziemlich unverändert beibehalten worden waren.

      Sie dachte an die von Chief Shore erwähnte Tochter, die in der Nähe lebte und das Opfer regelmäßig besucht hatte, und die auch die Leiche entdeckt hatte. Riley fragte sich, wie oft die Ermordete wohl ihre anderen Kinder gesehen hatte, nachdem sie erwachsen geworden und ausgezogen waren. Sie bezweifelte, dass in einer zerbrochenen Familie wie dieser, alle Familienmitglieder regelmäßig aufeinandertrafen.

      Es war ein trauriger Gedanke. Obwohl das Haus um einiges größer war als Rileys eigenes Haus, fragte sie sich trotzdem: Wie wird es wohl sein, wenn April und Jilly weg sind?

      Würden sie beide weit wegziehen und selten zu Besuch kommen?

      Und natürlich würde auch Gabriela nicht ewig da sein.

      Wie würde Rileys Leben dann aussehen?

      Würde sie sich allein und vergessen fühlen?

      Falls ihr zuhause etwas schreckliches passieren würde, wie lange würde es dauern, bis irgendjemand mal vorbeischaute und es feststellte?

      Riley war nun wieder im Erdgeschoss und schaute ins Esszimmer hinein. Erneut kam ihr der kleine quadratische Esstisch mit seinen drei Stühlen viel zu klein für den Raum vor. Und erneut war es ein merkwürdig beunruhigender Anblick für Riley. Sie war sich sicher, dass er gekauft worden war, um einen viel größeren Tisch zu ersetzen, der zu viele Erinnerungen beherbergte, als dass Joan Cornell damit hatte leben können.

      Riley spürte, dass sie einen Kloß im Hals hatte, als sie über Joan Cornells einsame Existenz nachdachte –– und darüber, wie schrecklich ihr Leben geendet war.

      Ihre Gedanken wurden von Jenns scharfer Stimme unterbrochen, als diese sagte: „Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen.“

      Riley drehte sich um und sah, dass Jenn eine hitzige Diskussion mit Chief Shore führte, während sein älterer Kollege dastand und die beiden amüsiert beobachtete.

      „Hier gab es keinen Kampf“, fuhr Jenn fort und lief in der Küche auf und ab. „Es gibt keinerlei Anzeichen eines Kampfes, überhaupt keine Beschädigungen von irgendwelchen Gegenständen in der Küche. Der Mörder hat sie komplett überrascht. Er hat sie plötzlich ergriffen –– an den Haaren vielleicht –– und hat ihren Kopf hier gegen den Tresen gerammt. Dann schnitt er ihr die Kehle durch. Sie hatte nicht einmal begriffen, was passiert war.“

      „Aber wie ––?“, begann Chief Shore etwa.

      Jenn unterbrach ihn: „Wie hat er es getan? Vielleicht so.“

      Jenn ging um den Tresen und stellte sich auf die Seite in Rileys Nähe, welche ins Esszimmer hinausragte.

      Jenn sagte: „Er hätte genau hier stehen können, wo ich stehe. Vielleicht hat er das Opfer um ein Glas Wasser gebeten. Sie ging rüber in den Küchenbereich und er griff über den Tresen und ...“

      Sie spielte nach wie der Mörder die Frau an den Haaren gegriffen haben und ihren Kopf vorgezogen haben könnte, bevor er ihn gegen den Tresen schmetterte.

      „Genauso ist es passiert, könnte ich wetten“, sagte Jenn. „Sie sollten den Gerichtsmediziner bitten, die Kopfhaut des Opfers genauer zu untersuchen, um zu sehen, ob ihr Haare ausgerissen wurden.“

      Chief Shore blinzelte und sagte: „Was wollen Sie damit sagen? Dass das Opfer ihren Mörder gekannt hatte? Dass sie ihm vertraute?“

      Jenn antwortete ungeduldig: „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das etwas, was sie versuchen sollten herauszubekommen. Vielleicht sollten sie in diese Richtung ermitteln.“

      Der beißende Sarkasmus in Jenns Stimme alarmierte Riley. Sie hatte dieses Verhalten auch früher bei Jenn beobachtet und es war natürlich keine gute Art die Zusammenarbeit mit der lokalen Polizei zu beginnen. Riley wusste, dass sie das sofort unterbinden musste.

      Bevor ihre jüngere Partnerin noch etwas sagen konnte, melde Riley sich scharf zu Wort: „Agentin Roston.“

      Jenn drehte sich mit einem überraschten Gesichtsausdruck zu ihr hin.

      Riley versuchte so zu tun, als würde sie das Gespräch nicht absichtlich unterbrechen und sagte zu ihr: „Ich denke, wir haben alles was wir brauchen gesehen. Gehen wir.“

      Dann sagte Riley zu Chief Shore: „Ich würde gerne die Tochter des Opfers befragen –– diejenige, die die Leiche entdeckt hat. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?“

      Shore nickte und sagte: “Sie hat mir gestern gesagt, dass sie heute zuhause bleiben wird. Ich kann Ihnen ihre Adresse und eine Anfahrtsbeschreibung geben.“

      Riley hörte ihm zu und notierte die Adresse und die Wegbeschreibung. Sie tauschte Nummern mit den Polizisten aus, damit sie alle im engen Kontakt bleiben konnten. Dann dankte Riley ihnen für ihre Hilfe und sie und Jenn verließen das Haus.

      Als sie zu ihrem Leihfahrzeug liefen, fauchte Riley Jenn an: „Was sollte denn das eben werden?“

      Jenn knurrte: „Ich wollte nur was klarstellen, sonst nichts. Die zwei Kerle haben keine Ahnung. Sie sollten in der Lage sein den Fall ganz alleine noch vor Tagesende zu lösen. Sie sollten unsere Hilfe gar nicht brauchen. Wir verschwenden hier nur Zeit und Steuergelder.“

      „Wir sind die Verhaltensanalyseeinheit“, sagte Riley. „Der lokalen Polizei zu helfen ist ein großer Teil unserer Arbeit.“

      „Ja, in ernsten Fällen, zum Beispiel bei echten Serienmördern“, sagte Jenn. „Das ist kein solcher Fall und ich denke wir wissen das beide. Es ist nur ein dummer Einbrecher, der sich verzetteln und auffliegen wird, noch bevor er es schafft, weiteren Schaden anzurichten.“

      Als sie ins Auto stiegen und Riley den Zündschlüssel drehte, riss sie sich zusammen, um nicht zu sagen: „Ich weiß nicht, ob das stimmt.“

      In Wirklichkeit hatte sie ein ziemlich starkes Gefühl, dass die zwei Morde bloß der Anfang von einer richtig grässlichen Geschichte waren.

      KAPITEL VIER

      Während Riley durch Springett fuhr, entschloss sie sich direkt zu sein. Sie sagte Jenn: „Du hast uns womöglich einen Rückschlag beschert.“

      Jenn knurrte etwas unverständliches vor sich hin.

      „Wir sind hier, um der örtlichen Polizei zu helfen, nicht um mit ihr zu streiten“, sagte Riley. „Gegenseitiges Vertrauen zu wahren kann unter den besten Umständen schwierig sein. Und es ist verdammt wichtig. Du hast die Grenze vorhin total überschritten.“

      „Komm schon, Riley“, antwortete Jenn ungeduldig. „Shore hat sich

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