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Esszimmer und bemerkte, dass einer der Esstischstühle weg war. Das erschien mir merkwürdig. Ich habe einen Fleck am Küchentresen bemerkt und habe in die Küche geschaut und...“

      Sie zuckte heftig zusammen und sprach angespannt weiter.

      „Und dort lag sie auf dem Boden. Was danach geschah ist wie im Traum. Ich erinnere mich vage daran, den Notruf gewählt zu haben, dann gefühlt eine sehr lange Zeit gewartet zu haben, obwohl es wahrscheinlich nur ein paar Minuten waren. Dann war die Polizei da und...“

      Ihre Stimme verstummte erneut.

      Dann sprach sie ruhiger und sagte: „Ich weiß nicht, wieso ich in so einen Schockzustand geraten bin. Ich habe schreckliche Dinge in meiner Arbeit gesehen, besonders in der Notaufnahme. Schreckliche Wunden, viel Blut, Menschen, die in grauenhaften Schmerzen starben, oder sich wünschten zu sterben, bevor wir ihre Schmerzen lindern konnten. Ich habe immer damit umgehen können. Selbst als ich meine erste Leiche gesehen hatte, habe ich nicht so heftig reagiert. Ich hätte besser damit umgehen sollen.“

      Jenn schaute verdutzt zu Riley rüber. Riley vermutete, dass Jenn von der scheinbaren Distanz in Loris Stimme überrascht war. Doch Riley konnte es ziemlich gut verstehen.

      Über die Jahre hatte Riley es mit vielen Menschen zu tun gehabt, die mit noch frischen traumatischen Erfahrungen konfrontiert waren. Sie wusste, dass diese Frau immer noch versuchte die Realität dessen, was geschehen war, zu verarbeiten. Lori hatte bisher immer noch nicht ganz die Tatsache fassen können, dass ihre Mutter ermordet worden war, und nicht irgendein Notaufnahmepatient, den sie nie zuvor gesehen hatte.

      Am allerwenigsten hatte Lori akzeptiert, dass ihr eigener Stoizismus Grenzen hatte.

      Riley fragte sich, ob es wohl Menschen in Loris Leben gab, die ihr helfen würden, mit all dem klarzukommen.

      Sie sagte zu Lori: „Soweit ich weiß, sind sie verheiratet.“

      Lori nickte benommen.

      „Roy ist Inhaber einer Wirtschaftsprüfungskanzlei hier in Springett. Er hatte mir angeboten, heute mit mir zuhause zu bleiben, aber ich habe ihm gesagt, dass ich auch alleine klarkomme und dass er zur Arbeit gehen soll.“

      Dann fügte sie mit einem kleinen Schulterzucken hinzu: „Das Leben geht weiter.“

      Riley schreckte hoch, als sie Lori dieselben Worte sagen hörte, die sie selbst laut ausgesprochen hatte, nachdem Blaine gestern das Haus verlassen hatte. Zu hören, wie jemand anders das sagte, war verstörend. Sie begriff, was für ein vollkommenes Cliché der Ausdruck war. Schlimmer noch, es stimmt nicht einmal.

      Rileys ganzes Leben war um die schreckliche Tatsache herum aufgebaut, dass jedes Leben früher oder später mit dem Tod endete.

      Wieso bestanden Menschen also auf dieser Redewendung?

      Wieso hatte sie selbst sie gerade erst gestern verwendet?

      Ich nehme an, es ist bloß eine dieser Lügen, an denen wir uns festkrallen.

      Lori schaute hin und her zwischen Jenn und Riley und sagte: „Die Polizei hat mir gesagt, dass es vor einigen Wochen ein weiteres Opfer gegeben hatte –– einen Mann, drüben in Petersboro.“

      „Das stimmt“, sagte Jenn.

      Lori fügte hinzu: „Sie haben gesagt, dass aus seiner Esszimmergarnitur ebenfalls ein Stuhl abhanden gekommen sei, genau wie bei Mom. Ich verstehe es nicht. Was bedeutet das? Wieso würde irgendjemand einen anderen Menschen wegen einem Esszimmerstuhl umbringen?“

      Riley antwortete nicht, Jenn auch nicht.

      Wie konnten sie diese Frage auch beantworten?

      War es möglich, dass sie tatsächlich nach einem Irren fahndeten, der Menschen wegen ihrer Möbel umbrachte? Es erschien zu absurd, um es glauben zu können. Doch sie wussten noch so wenig zu diesem Zeitpunkt ihrer Ermittlungen.

      Jenn stellte die nächste Frage.

      „Hatte ihre Mutter zufällig einen Justin Selves aus Petersboro gekannt?“

      „War das das andere Opfer?“, fragte Lori.

      Jenn nickte.

      Loris Augen wurden schmal und sie sagte: „Der Name kommt mir nicht bekannt vor. Ich weiß nicht, ob sie Freunde oder Bekannte außerhalb von Springett hatte. Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sie nicht genug rauskäme. Sie verbrachte nicht genug Zeit mit Leuten.“

      Riley sagte: „So wie ich verstehe, hat sie also nicht außerhalb des Hauses gearbeitet.“

      Lori sagte: „Nein, sie lebte von den Zahlungen ihrer Scheidungsvereinbarung.“

      Jenn fragte: „Ist ihre Mutter... mit jemandem ausgegangen?“

      Lori kicherte traurig.

      „Um Gottes Willen, nein. Ich glaube, sie hätte es mir gesagt. Sie hat das Haus selten verlassen, außer um ab und zu in die Kirche zu gehen. Oh, und sie ist auch zu den Bingoabenden an der Kirche gegangen. Die hat sie nie verpasst. Jeden Freitag gibt es einen Spieleabend in der Westminster Presbyterian Kirche. Sie hat mich mal mit Cupcakes bewirtet, die sie eines Abends dort gewonnen hatte. Sie hatte sich sehr darüber gefreut.“

      Lori schüttelte den Kopf und sagte: „Sie verbrachte zu viel Zeit alleine. Das Haus war zu groß für sie. Ich habe ihr immer wieder gesagt, sie solle in eine kleinere Wohnung ziehen. Sie wollte nicht auf mich hören.“

      „Was passiert nun mit dem Haus?“, fragte Jenn.

      Lori seufzte und sagte: „Meine Schwester, meine Brüder und ich werden es erben. Das wird ihnen wohl nicht viel bedeuten. Da sie alle so weit weg wohnen, wird es jetzt wohl eigentlich mir gehören.“

      Dann wurden ihre Augen schmal, so als ob ihr auf einmal ein besonders dunkler Gedanke gekommen war.

      „Das Haus wird mir gehören“, wiederholte sie. „Und Roy.“

      Sie erhob sich hastig aus ihrem Sessel.

      „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne keine weiteren Fragen mehr beantworten.“

      Riley spürte, dass sich Loris geistige Verfassung plötzlich verändert hatte. Sie schaute sich erneut in der großen, aber merkwürdig leeren Wohnung um und erinnerte sich dann an das geräumige Haus, in dem das Opfer ermordet wurde. Und da begann ihr etwas klar zu werden.

      Jenn beugte sich vor und sagte: „Ma’am, wenn Sie uns nur noch ein paar Minuten Ihrer Zeit geben könnten ––“

      „Nein“, unterbrach Lori. „Nein. Ich würde jetzt gerne allein sein.“

      Riley konnte sehen, dass auch Jenn die Veränderung in Loris Verhalten bemerkt hatte. Riley wusste auch, dass ihre Partnerin auf Antworten drängen würde –– womöglich auf eine zu aggressive Art und Weise.

      Riley erhob sich und sagte: „Wir danken Ihnen für ihre Zeit, Ms. Tovar. Unser herzliches Beileid.“

      Die Frau seufzte und sagte: „Danke.“ Dann fügte sie erneut hinzu: „Das Leben geht weiter.“

      Wenn das nur stimmen würde, dachte Riley. Oder zumindest nicht so kurzweilig wäre.

      Als sie und ihre Partnerin die Wohnung verließen und die Stufen hinunterstiegen, beschwerte Jenn sich: „Wieso sind wir gegangen? Da war was, was sie uns nicht sagen wollte.“

      Ich weiß, dachte Riley.

      Doch sie hatte keinerlei Absicht Lori Tovar dazu zu zwingen ihnen zu sagen, was es war.

      „Ich erkläre es dir im Auto“, sagte Riley.

      KAPITEL FÜNF

      Als Riley von Lori Tovars Wohnhaus davonfuhr, stellte sie fest, dass ihre junge Partnerin immer noch aufgeregt

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