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      Falls das passieren würde, so hoffte sie, dass es passieren mochte, bevor sie Kinder kriegte.

      Als Lori im Flur des zweiten Stocks angelangt war, bemerkte sie, dass Moms Schlafzimmertür einen Spalt weit offenstand. Normalerweise schloss Mom die Tür, wenn sie sich hinlegte. Plötzlich kam es Lori ein bisschen komisch vor, dass Mom sie nicht hatte rufen hören. Wurde sie vielleicht langsam etwas taub? Wenn dem so war, so hatte Lori es bisher nicht bemerkt.

      Lori ging auf die Schlafzimmertür zu und stieß sie leise auf. Im Schlafzimmer war niemand und das Bett sah perfekt gemacht aus.

      Sie dachte sich, dass Mom wohl irgendwo hingegangen war.

      Und das ist wahrscheinlich gut.

      Mom saß in letzter Zeit viel zu oft eingesperrt alleine in diesem riesigen Haus rum. Als Lori vor ein paar Tagen da war, hatte Mom erwähnt, dass sie vielleicht mit ein paar Freunden ausgehen würde, mit denen sie freitags in der Kirche Bingo spielte. Lori hatte ihr geantwortet, dass sie das für eine ausgezeichnete Idee hielt.

      Aber heute war nicht Freitag, und wo auch immer Mom hingegangen sein mochte, es war besorgniserregend, dass sie die Eingangstür nicht abgeschlossen hatte. Lori begann sich zu fragen –– hatte Mom vielleicht begonnen mental etwas abzubauen? Dieser Gedanke hatte ihr in letzter Zeit oft Sorgen bereitet. Moms Erinnerungsgabe war immer außerordentlich gut gewesen, doch in letzter Zeit hatte sie begonnen Kleinigkeiten zu vergessen.

      Lori versuchte sich damit zu beruhigen, dass Mom immer noch ziemlich jung war für das Eintreten von Demenz. Jedoch wusste sie aufgrund ihrer Arbeit im Krankenhaus, dass es doch möglich war. Sie wollte gar nicht daran denken, dass sie mit Mom darüber sprechen müsste, und auch nicht daran, wie viel Leid und Sorgen mit diesem Gespräch sicherlich einhergehen würden.

      In der Zwischenzeit, so beschloss Lori, konnte sie aber ebenso gut nach Hause fahren.

      Sie stieg die Treppe wieder hinunter und hielt kurz inne, um ins Esszimmer hineinzuschauen. Ein kurzer Schmerz durchfuhr sie, als sie den langen Esstisch nicht an seinem gewohnten Platz wiederfand, wo sie, ihre Schwester und ihre Brüder leckere Mahlzeiten und die Gespräche mit ihren Eltern genossen hatten.

      So fest entschlossen Mom auch gewesen war, genauso weiterzuleben, wie sie es bisher getan hatte, so war sie gleichzeitig einfach nicht mehr in der Lage gewesen, alleine an diesem großen Tisch zu sitzen. Er bot genug Platz, um alle Familienmitglieder drum herum zu versammeln, die nicht mehr im Haus lebten, und konnte sogar ausgezogen werden, um zusätzlichen Gästen Platz zu bieten. Lori konnte verstehen, wieso Mom den Tisch loswerden wollte. Sie hatte ihr geholfen den Tisch und die dazugehörigen Stühle zu verkaufen und eine kleinere Esszimmergarnitur zu kaufen.

      Dann fiel Lori etwas Merkwürdiges auf. Normalerweise standen vier Stühle um den neuen quadratischen Esstisch herum. Doch jetzt waren es nur drei.

      Mom musste den vierten Stuhl irgendwo anders hingestellt haben, doch wieso?

      Vielleicht hatte sie ihn benutzt, um eine Glühbirne auszuwechseln, oder an ein hohes Regal zu kommen.

      Lori dachte besorgt: Eine weitere Sache, über die wir reden müssen.

      Mom besaß schließlich eine Tretleiter, die sehr viel sicherer für solche Aufgaben benutzt werden konnte. Sie sollte es besser wissen, als einen Stuhl zu verwenden.

      Lori schaute sich um und versuchte den verschwundenen Stuhl zu entdecken, als ihr Blick auf den schmalen Marmortresen fiel, der das Esszimmer von der Küche trennte. Sie sah einen rötlichen Fleck am hinteren Ende des Tresens.

      Das war wirklich merkwürdig. Mom hatte den Haushalt schon immer äußerst sorgfältig geführt, und war besonders besessen darauf, ihre Küche blitzblank zu halten. Es sah ihr gar nicht ähnlich, etwas zu verschütten und es nicht sofort wegzuwischen.

      In Lori begann sich Panik breitzumachen.

      Irgendetwas stimmt nicht, dachte sie.

      Sie eilte zum Tresen und schaute hinein in die Küche.

      Dort auf den Boden lag ihre Mutter, ausgestreckt in einer Blutlache.

      „Mom!“, schrie Lori mit heiserer Stimme auf.

      Ihr Herz raste und sie spürte, wie ihre Arme und Beine kalt und taub wurden. Sie wusste, dass sie in Schock war, aber sie musste versuchen Herrin ihres Verstandes zu bleiben.

      Lori kniete sich nieder und sah, dass die Augen ihrer Mutter geschlossen waren. Auf ihrem Kopf befand sich eine tiefe Wunde. Lori kämpfte gegen die Gefühle der Ungläubigkeit, des Horrors und der Verwirrung an. Ihre Gedanken waren ganz wirr, während sie versuchte zu begreifen...

      Was war geschehen?

      Mom musste gestolpert sein und sich beim Sturz mit dem Kopf am Tresen gestoßen haben.

      Ihre Medizinerreflexe arbeiteten nun und Lori fasste an Moms Hals, um nach ihrem Puls zu fühlen.

      Und das war als Lori sah, dass Moms Kehle durchgeschnitten war.

      Eine ihrer Halsschlagadern war durchtrennt, aber kein Blut kam heraus.

      Das Gesicht ihrer Mutter war bleich und gänzlich leblos.

      Lori spürte, wie eine vulkanische Kraft aus den Tiefen ihrer Lungen ausbrach.

      Dann begann sie zu schreien.

      KAPITEL EINS

      Ein Schuss fiel ganz in der Nähe.

      Riley Paige machte auf dem Absatz kehrt, als das Geräusch durch ihren Flur hallte.

      April! dachte sie und ein Schock ging durch ihren Körper.

      Riley rannte zu ihrem Schlafzimmer.

      Ihre sechzehnjährige Tochter April stand da und zitterte von Kopf bis Fuß, doch sie schien unverletzt.

      Riley konnte wieder ausatmen.

      Auf dem Boden vor Aprils Füßen lag eine Ruger SR22 Pistole. Daneben war die blaue Vinylbox, in der die Pistole aufbewahrt wurde.

      Aprils Stimme zitterte, als sie sage: „Es tut mir leid. Ich wollte sie in den Safe im Schrank legen, als sie schoss und ich sie fallen ließ. Ich wusste nicht, dass sie geladen war.“

      Riley fühlte ihr Gesicht rot anlaufen. Ihr Schreck wandelte sich nun zu Wut.

      „Was soll das heißen, du wusstest es nicht?“, sagte sie. „Wie konntest du das nicht wissen?“

      Riley hob die Pistole auf, entfernte das Magazin und fuchtelte vor April damit herum.

      „Das Magazin sollte nicht mal in der Pistole drin sein“, sagte sie. „Du hättest es bereits auf dem Schießplatz entfernen müssen.“

      „Ich dachte, dass ich alle Kugeln verschossen hatte“, sagte April.

      „Das ist keine Entschuldigung“, sagte Riley schrill. „Du nimmst immer das Magazin raus, nachdem Du mit dem Schießtraining fertig bist.“

      „Ich weiß”, sagte April. “Es kommt nicht wieder vor.“

      Das kannst du laut sagen, dachte Riley sich. Sie begriff, dass sie auch auf sich selbst wütend war, weil sie den Raum verlassen hatte, bevor April die Pistole weggesperrt hatte. Aber sie hatten bereits mehrere Trainings auf dem Schießplatz hinter sich, und zuvor war alles glatt gelaufen.

      Sie schaute sich im Zimmer um.

      „Wohin hat sie gefeuert?“, fragte sie.

      April zeigte auf die hintere Wand des Zimmers. Wie erwartet, konnte Riley ein Kugelloch entdecken. Eine erneute Welle der Panik überrollte sie. Sie wusste, dass die Wände zwischen den Zimmern in ihrem Haus nicht dick genug waren, um eine Kugel aufzuhalten –– nicht einmal eine aus einer .22er Pistole.

      Sie drohte April mit dem Finger und sagte: „Du bleibst genau wo du bist.“

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