Скачать книгу

gehörte sie zum Hause: beim General Hulot, bei Crevel, bei den jungen Hulots, bei Rivet, Pons' Nachfolger, mit dem sie sich wieder versöhnt hatte und von dem sie verwöhnt wurde, sowie bei der Baronin. Auch wusste sie sich überall bei den Dienstboten beliebt zu machen, indem sie ihnen von Zeit zu Zeit ein kleines Trinkgeld in die Hand drückte und immer ein Weilchen mit ihnen plauderte, ehe sie in die Zimmer trat. Diese Vertraulichkeit, durch die sie sich mit diesen Leuten auf eine Stufe stellte, verschaffte ihr deren Gewogenheit und Dienstbarkeit, etwas sehr Wichtiges für Schmarotzer, und das war sie doch nun einmal. »Sie ist eine alte gute Haut!« hieß es ganz allgemein. Ihre, besonders da, wo man sie gar nicht beanspruchte, oft grenzenlose Gefälligkeit war ebenso wie ihre scheinbare Gutmütigkeit eine natürliche Folge ihrer abhängigen Stellung. Kurzum, sie fand sich mit dem Leben ab, da sie sah, dass sie doch von aller Welt abhing. Sie hielt es mit allen. Mit den jungen Leuten war sie vergnügt; man fand sie nett und fiel allgemein auf ihre schmeichlerische Art hinein. Sie erriet und förderte alle Wünsche; sie machte sich zur Vermittlerin und spielte überall die gute Helferin. Ein Recht, selber etwas zu wollen, hatte sie ja nicht. Ihre unbedingte Verschwiegenheit schaffte ihr auch das Vertrauen von Menschen reiferen Alters; sie besaß nämlich gewisse männliche Eigenschaften. Meistenteils richten sich die Vertraulichkeiten des Menschen eher nach unten als nach oben. In geheimen Angelegenheiten werden Tieferstehende viel öfter zu Vertrauten erwählt als Höherstehende; sie werden zu Mitwissern unserer geheimsten Gedanken und zu Ratgebern bei unsern wichtigsten Überlegungen. Die arme alte Jungfer galt für so abhängig von aller Welt, dass sie wie zu ewiger Stummheit verdammt schien. Sie nannte sich selbst den »Beichtstuhl der Familie«. Nur die Baronin blieb misstrauisch. Sie konnte gewisse Schlechtigkeiten nicht vergessen, die ihr die Kusine in der gemeinsamen Kinderzeit angetan hatte. Auch aus Schamhaftigkeit mochte Adeline ihren häuslichen Kummer nur Gott allein anvertrauen.

      Für Tante Lisbeth hatte das Haus der Baronin seinen alten Glanz bewahrt. Sie stutzte nicht, wie der emporgekommene Crevel, vor dem Elend, das auf den abgenutzten Stuhlpolstern, auf den altersschwachen Vorhängen und der zerschlissenen Seide deutlich geschrieben stand. Es geht einem mit den Möbeln, mit denen man lebt, gerade wie mit einem selbst. Man macht es schließlich wie der Baron. Man schaut sich täglich an und hält sich für ewig jung und unverändert, während die andern längst bemerken, wie sich auf unserem Haupte das Haar chinchillaartig verfärbt, wie sich auf unserer Stirn die Krähenfüße mehren und unser Schmerbauch dick wird wie ein Kürbis. Die Hulotsche Einrichtung leuchtete für Lisbeth für immerdar im bengalischen Feuer der kaiserlichen Glorie.

      Mit der Zeit hatte Tante Lisbeth mancherlei recht altjüngferliche Gewohnheiten angenommen. So wollte sie sich der Mode nicht unterwerfen, sondern meinte, die Mode müsse sich nach ihren Angewohnheiten und ihrem veralteten Geschmack richten. Wenn ihr die Baronin einen hübschen neuen Hut oder ein Kleid neueren Schnitts schenkte, so hatte sie nichts Eiligeres zu tun; als alles nach ihrer Art bei sich zu Hause umzuarbeiten; so verdarb sie jedes Kleid, indem sie daraus ein Kostüm aus der Kaiserzeit oder ein Stück altlothringischer Landestracht modelte. Hüte, die dreißig Franken gekostet hatten, wurden unter ihrer Hand zu Ungetümen. In dieser Beziehung war Lisbeth geradezu bockbeinig. Nur sich selbst gefallen wollte sie, und sie fand sich wirklich reizend. Diese Manie, alles ihrer Altjüngferlichkeit anzupassen, so einheitlich es auch durchgeführt sein mochte, machte sie so lächerlich, dass man es beim besten Willen nicht fertigbrachte, sie zu größeren Festlichkeiten einzuladen.

      Der Widerspruchsgeist, das launenhafte eigenbrötlerische Wesen und die wunderliche Wildheit dieses Mädchens, das dank der Vorsorge des Barons viermal eine gute Partie hätte machen können – es traten nacheinander einer seiner Verwaltungsbeamten, ein Major, ein Geschäftsunternehmer und ein Hauptmann a. D. als Bewerber auf –, und das auch einem Posamentenhändler einen Korb gegeben hatte, der dann sehr reich wurde, gaben die Veranlassung zu dem Spitznamen »Wildkatze«, den ihr der Baron im Scherz anhängte. Dieser Spitzname sollte sich zwar nur auf Lisbeths äußerliche Eigenheiten beziehen, aber dieses Mädchen war und blieb für den schärferen Beobachter doch die Verkörperung der bäuerischen Wildheit. Wie sie als Kind der Kusine die Nase hatte abbeißen wollen, so hätte die Gealterte in Anfällen von Eifersucht sie am liebsten gemordet. Nur durch ihre Welt- und Gesetzeskenntnis zähmte Lisbeth die natürliche Wildheit, mit der Bauern wie Wilde rasch vom Gefühl zur Tat übergehen.

      Vielleicht besteht allein hierin der Unterschied zwischen dem Natur- und dem Kulturmenschen. Der Barbar hegt nur Gefühle, der zivilisierte Mensch Gefühle und Gedanken. Darum empfängt das Gehirn des Wilden sozusagen nur schwache Eindrücke von außen; er unterliegt völlig den Gefühlen, die in ihm herrschen, während das Herz des zivilisierten Menschen von der Überlegung beeinflusst und verändert wird. Hier wirken tausend Interessen und vielerlei Empfindungen in einer Menschennatur vereint; im Wilden dagegen gedeiht nur ein einziger Gedanke auf einmal. Tante Lisbeth, im Grunde hinterlistig und eine echte wilde Lothringerin, gehörte zu diesem Schlage von Charakteren, die man unter dem Volke häufiger findet, als man denkt, und die uns das Verhalten der Massen in Revolutionszeiten verständlich machen können.

      Zu der Zeit, wo unsere Geschichte beginnt, wäre Tante Lisbeth salonfähig und annehmbar gewesen, wenn sie sich modischer hätte kleiden lassen und sich wie die Pariserinnen daran gewöhnt hätte, nur immer das Allerneueste zu tragen. Graziös war sie allerdings nie und nimmermehr. Und in Paris ist eine Frau ohne Grazie überhaupt keine Frau. Ihr schwarzes Haar, ihre schönen ernsten Augen, die scharfen Gesichtszüge, ihre matte dunkle südländische Hautfarbe, die sie mit den Frauengestalten auf den Bildern Giottos gemein hatte und die sich eine wahre Pariserin gar wohl zunutze gemacht hätte, und vor allen Dingen ihr sonderbarer Anputz verliehen ihr ein so wunderliches Aussehen, dass sie manchmal an jene Äffchen in Frauenkleidern erinnerte, die die kleinen Savoyarden mit sich führen. Da man sie jedoch in allen dem Hause befreundeten und verwandten Familien gut kannte, und da sie ihren gesellschaftlichen Verkehr auf diesen Kreis beschränkte und am allerliebsten bei sich zu Hause blieb, so störten ihre Eigentümlichkeiten niemanden mehr. Außer dem Hause verschwand sie im Riesentrubel des Pariser Straßenlebens, wo man nur die hübschen Frauen anblickt.

      Hortenses Lachen in jenem Augenblicke hatte seine Veranlassung in einem Triumphe, den sie eben über Tante Lisbeths Starrsinn davongetragen hatte. Sie hatte ihr ein Geständnis entlockt, das sie ihr drei Jahre lang nicht hatte entringen können.

      Mag ein älteres Mädchen noch so verstockt sein, es gibt doch eine Eigenschaft, die ihr Schweigen zu brechen imstande ist: die Eitelkeit. Hortense, seit drei Jahren in gewissen Dingen außerordentlich neugierig geworden, bestürmte ihre Verwandte andauernd mit allerlei Fragen, die übrigens völliger Unschuld entsprangen. Sie wollte wissen, warum sie sich nicht verheiratet hatte. Sie kannte die Geschichte von den fünf abgewiesenen Freiern. Daraus hatte sie sich einen kleinen Roman zurechtgemacht und meinte, Tante Lisbeth müsse eine heimliche Liebe haben. Das gab ihnen fortwährend Anlass zu übermütigen Streitereien. Hortense pflegte zu sagen: »Wir jungen Mädchen!«, wenn sie von sich selbst und ihrer Tante redete, und Lisbeth hatte wiederholt in scherzendem Tone geantwortet: »Weißt du denn, ob ich nicht einen Verehrer habe?« So war der wahre oder der erdichtete Liebhaber Tante Lisbeths zum Gegenstande harmloser kleiner Neckereien geworden. Schließlich aber hatte Lisbeth nach zweijährigem Scheinkampf auf Hortenses Nachfrage: »Na, wie geht es denn deinem Schatze?« doch einmal geantwortet:

      »Ach, er ist ein wenig leidend, der arme junge Mann.«

      »So? Er ist wohl sehr zarter Natur?« hatte sich die Baronin lächelnd in die Unterhaltung gemengt.

      »Ja, ja! Wie die Blonden nun einmal sind! Ein schwarzes Mädel wie ich kann doch nur einen blonden Mann lieben, einen mondscheinblassen!«

      »Na, was ist er denn eigentlich? Was macht er?« war Hortenses Frage. »Er ist gewiss ein Fürst?«

      »Ein Fürst in seinem Handwerk, so wie ich eine Königin der Nadel bin. Wie sollte ich armes Mädchen von einem reichen Manne, der ein Haus und Staatsrenten hat, oder von einem Herzog und Standesherrn geliebt werden! Oder gar von einem Prinzen Gnadenreich aus deinen Märchenbüchern?«

      »Oh, ich möchte ihn zu gerne einmal sehen!« rief Hortense lachend.

      »Wohl um zu wissen, wie der beschaffen sein mag, der sogar die alte Wildkatze lieben kann?« war Tante Lisbeths Antwort.

Скачать книгу